Vanessa Sacchet im Gespräch mit Martin Fehr

  05.02.2022 Leute aus der Region

Martin Fehr, geboren am 23. September 1974 in Winterthur, wuchs zusammen mit einer Schwester auf. Der gelernte Zimmermann hat zwei erwachsene Kinder und ist heute als Erwachsenenbildner tätig. Das Bogenschiessen ist seine grosse Leidenschaft.
«So wie die meisten interessierte ich mich bereits als kleiner Junge für das Bogenschiessen. Ich besass einen Haselnussstecken mit Schnur dran und spickte meine selbst geschnitzten Pfeile herum. Da war ich sieben Jahre alt. An mein allererstes Turnier kann ich mich sehr gut erinnern. Das war 1999/2000. Man könnte es fast als Grümpelturnier bezeichnen – so ganz nach ‹Freestyle›-Art. Ich nahm mit einem Recurvebogen ohne Visier und Einrichtung Teil und besass Pfeile ab der Stange.» Was er damals gewonnen habe, frage ich ihn. Fehr lacht laut und meint: «Nichts. Ich gewann absolut nichts, war einfach dort und machte mit – sozusagen für Ruhm und Ehre.»
Als Fehr älter war übte er verschiedene Sportarten wie Eishockey, American Football und Kampfsport aus. Erst mit 25 Jahren kam er zum Bogenschiessen. Er erklärt: «Ich fing im Bogenclub Polygon in Frauenfeld damit an, einem wirklich coolen Club mit lässigen Leuten. Sie bieten super Trainingsmöglichkeiten an. Irgendwann merkte ich vom Leistungsniveau her, dass ich nicht weiterkomme und wechselte deshalb zum Bogenclub Thurland in Wängi – einem der grössten Clubs in der Ostschweiz. Die Trainingsmöglichkeiten sind hervorragend. Ich habe sieben Tage die Woche, rund um die Uhr, Schiessmöglichkeiten auf dem Aussenplatz sowie drinnen in der Halle, die 54 Meter lang ist. Wenn man leistungsorientiert arbeiten will, braucht man eine solche Infrastruktur – vor allem Hallen, in denen man die Möglichkeit hat, grosse Distanzen zu schiessen.»
Ich möchte von Fehr wissen, ob das Bogenschiessen ein teures Hobby sei. er antwortet: «Das Bogenschiessen für Anfänger ist nicht teuer. Es ist wie bei allen anderen Sportarten auch: Man kann sich steigern bis hin zum Exzess. Wenn jemand Junges Interesse am Bogenschiessen hat, kann man mit wenig Mittel und Aufwand ganz passable Resultate erreichen. Ich rate aber niemandem, einfach in ein Geschäft zu gehen und etwas zu kaufen, oder sich im internet etwas zu bestellen. Weil man meistens das erhält, was nicht zu einem passt. Ich empfehle jedem, in einen Club zu gehen, oder ein Sommerangebot wie den Ferienplausch zu besuchen. So erhält man Kontakt zu jemandem, der eine Ahnung hat vom Ganzen und bekommt die richtige Ausrüstung zur Verfügung gestellt.
Meine besteht mittlerweile aus zwei Turnierbögen, die ich im Wechsel betreiben kann. So gibt es keine Trainingsunterbrüche, wenn es zu technischen Problemen kommt, die man beheben muss. Meine zwei Bögen mit Visier sind absolut identisch. Einer kostet etwa 4000 Franken. Dann kommen Pfeile dazu, Köcher, Kleidung und Taschen. Die Bögen halten eigentlich ewig. Wir wechseln sie jedoch viel zu häufig.»

Die Faszination des Treffens

«Ich kenne niemanden, der beim Bogenschiessen nicht treffen möchte. es braucht extrem viel Training, um wiederholbare Treffer zu erzielen. Dabei spielt es keine Rolle auf welchem Niveau man schiesst. Ich habe einen guten Sportkollegen, der schiesst mit einem Langbogen wie man ihn aus den Robin-Hood-Filmen kennt. Er ist mehrfacher Schweizer- und Europameister und hat an den Weltmeisterschaften geschossen. Solche Schützen sind überspitzt gesagt mit ihren ‹Holzstecken› auf genau gleich hohem Niveau wie wir. Meine Bögen sind eher technische Geräte mit Übersetzung, die wie eine Art Flaschenzug funktioniert. Sie besitzen eine extrem hohe Schussleistung, Visierungen, die wie Zielfernrohre vergrössern und Treffer auf einem anderen Niveau ermöglichen. Die Faszination bleibt immer dieselbe: zu treffen, egal auf welchem Niveau man schiesst.
Physiologisch gesehen ist das Bogenschiessen ganz klar ein Kraftsport. Mein Bogen besitzt rund 30 Kilogramm Zuggewicht. Der Bogen selbst wiegt deren fünf, die ich stillhalten muss. Es benötigt viele Schüsse, vor allem am echten Bogen, eine Menge Krafttraining sowie ein gewisses Mass an Grundkondition, weil man den Kreislauf im Griff haben muss. Während des Schiessens darf man teilweise nicht oder nur ganz gezielt atmen. Auch sollte eine mentale Grundstärke vorhanden sein, wenn man ganz allein irgendwo in einer Halle mit unzähligen Zuschauern rundherum steht und fokussiert auf ein Ziel hinarbeiten muss, um einen guten Treffer zu landen. Das sind enorme Belastungen für das mentale Kostüm und benötigen genauso Training in der Vorbereitung und eine Strategie im Wettkampf.
Ich investiere täglich mehrere Stunden in meine verschiedenen Trainings. Zurzeit bin ich mitten in den Vorbereitungen für die Europameisterschaft in Finnland, die Mitte März stattfindet – wenn Corona es zulässt. Dort möchte ich mich gerne von meiner besten Seite zeigen. Im Aufbautraining betreibe ich Kardio-, Kraft- und Mentaltraining und leiste jeden Tag 120 bis 200 Schuss. An dieser Stelle möchte ich den Leserinnen und Lesern noch etwas Wichtiges mitteilen: Viele Leute wissen nicht, dass ein Bogen grundsätzlich keine Waffe ist. Ein Bogen kann keine Energie speichern. Man kann ihn nicht geladen in die Ecke stellen, was bei einer Schusswaffe der Fall ist. Ein Bogen kann nur Energie speichern, wenn derjenige der schiesst, dahintersteht.»

Fehr hat schon international Medaillen gewonnen

«In Budapest stand ich auf dem Podest und gewann Bronze. Vom Bogenschiessen leben kann man jedoch nicht. Ich habe ganz tolle Sponsoren. Allen voran mein Chef Martin Lörtscher, der mir das alles überhaupt ermöglicht. Ohne die Unterstützung der Firma Hugelshofer ginge es nicht, was ich ganz klar erwähnen möchte. Dank meines Chefs bin ich frei in meiner Tageseinteilung. Dadurch ermöglicht er mir mein Training, das ich sonst gar nicht verwirklichen könnte. Auch die Unterstützung meines Nachbarn Martin Weilenmann ist für mich enorm wertvoll, weil ich meine Scheiben auf seinem Land aufstellen darf. So besitze ich hinter dem Haus meinen eigenen Parcour. Das ermöglicht mir, dass ich daheim winkelkorrigierte Schüsse im Gelände simulieren kann.
Beim Schiessen im Gelände ist die Herausforderung nochmals um einiges grösser, kann man doch nicht immer bequem stehen. Der Bogen muss gegen abschüssiges Gelände gehalten werden, oder stark nach oben, in einem Winkel, der nicht optimal ist. So habe ich die besten Voraussetzungen, um intensiv auch solche Situationen zu trainieren. Ohne diese Unterstützung könnte ich nicht auf diesem Niveau Bogenschiessen. Im vergangenen September nahm ich in Zuckenriet an der Schweizermeisterschaft Teil, wo ich den undankbaren 4. Platz belegte. Aber mit dem damaligen Trainingsstand war das in Ordnung, da coronabedingt keine Turniere stattfanden.
Ich betreibe diesen Sport, weil er mir Freude bereitet. Es gibt auch immer wieder lustige Momente, an die ich mich gerne zurückerinnere. Wie an die Europameisterschaft in Budapest: Wir waren in einer riesigen Industriehalle, einem ehemaligen Traktorenwerk neben einem grossen Messegelände. Die Halle war circa 800 Meter lang. Dort drin fand das Turnier statt. Es war eine super Sache. Das Problem war, dass die Halle nur einen einzigen Ein- und Ausgang sowie bloss ein WC hatte. Und das für etwa 200 bis 300 Teilnehmer, inklusive der Zuschauer. Wir in unserer Kategorie schossen ganz am Ende der Halle. Nach der ersten Hälfte des Wettkampfs gab es eine 15-minütige Pause, in der wir bis zum anderen Ende der Halle hätten gehen müssen, um die Toilette aufzusuchen und pünktlich wieder zurück zu sein fürs weitere Schiessen. Wir standen völlig verloren herum und schauten zu, wie sich die ganze Menschenmasse auf den Weg zum Ausgang machte. Das war extrem lustig mitanzusehen», erinnert sich Martin Fehr zurück.
Sein grösster Traum sei es, auf allen Kontinenten an einem Wettkampf teilzunehmen und Bogen zu schiessen. «Diesen Traum würde ich gerne verwirklichen. Auch bei einem Weltcup mitzuschiessen wäre spitze. Das ist jedoch finanziell für ein Schweizer kaum möglich.»

VANESSA SACCHET


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