Vanessa Sacchet im Gespräch mit Liz Prohaska
03.12.2022 ElggLiz Prohaska, geboren am 9. November 1965 in Winterthur, wuchs mit drei jüngeren Brüdern auf. Die gelernte kaufmännische Angestellte ist verheiratet, hat vier Kinder und sechs Enkelkinder. Mit 17 Jahren wagte sie einen Fallschirmsprung und interessierte sich später fürs ...
Liz Prohaska, geboren am 9. November 1965 in Winterthur, wuchs mit drei jüngeren Brüdern auf. Die gelernte kaufmännische Angestellte ist verheiratet, hat vier Kinder und sechs Enkelkinder. Mit 17 Jahren wagte sie einen Fallschirmsprung und interessierte sich später fürs Gleitschirmfliegen. Mittlerweile absolvierte die Gleitschirmpilotin mehr als 540 Flüge.
«Mein Vater Peter wurde 1940 geboren und war schon früh fasziniert von der Fliegerei. Er besass jedoch kein Geld, um sich seinen Traum mit uns vier Kindern zu verwirklichen. 1987 kam das Gleitschirmfliegen auf. Peter fragte mich und meinen Mann Mark, ob wir gemeinsam mit ihm an einem Schnupperkurs teilnehmen möchten. So konnten wir ausprobieren, ob uns das Gleitschirmfliegen gefällt. Ich war begeistert, konnte es mir jedoch zum damaligen Zeitpunkt nicht vorstellen, da unser erstes Kind auf der Welt war. Mein Vater begann mit diesem Hobby und war einer der ersten Piloten, der das Brevet absolvierte. Immer wenn ich ihn fliegen sah, verspürte ich ebenfalls den Wunsch dazu.
2006, als unser jüngster Sohn acht Jahre alt war, meldeten Mark und ich uns bei einer Flugschule an. Wir absolvierten die theoretische Prüfung, welche folgende Fächer beinhaltete: Fluglehre, Meteo, Materialkunde und Gesetzgebung. Vor der praktischen galt es mindestens 50 Höhenflüge in fünf verschiedenen Fluggebieten zu absolvieren. Dabei mussten wir verschiedene Flugmanöver durchführen und Landungen in einem abgesteckten Kreis von 30 Metern machen. Start und Landungseinteilung hängen stark von den Windverhältnissen ab. Um genau dort zu landen, wo man möchte, braucht es viel Übung.
Die Ausbildung bei der Gleitschirmschule kostet etwa 3000 Franken. Ist man einmal im Besitz des Brevets gilt dies für immer. Man muss keine bestimmte Anzahl an Flugstunden pro Jahr vorweisen. Um nicht aus der Übung zu kommen, empfiehlt es sich jedoch, regelmässig zu fliegen. Ansonsten kann es gefährlich werden. Schliesslich hängt man sein Leben an einen solchen Schirm.»
Im November 2021 kam es zu einem Unfall
«Die Ausrüstung besteht aus Gleitschirm, Gurtzeug, Notschirm und Helm. Alles zusammen kostet zwischen 4500 bis 6500 Franken. Den Notschirm sollte man jährlich von einer Fachperson falten lassen, damit er nicht zusammenklebt und in einer Notsituation möglichst schnell öffnet. Ist man Vielflieger, sollte man seinen Schirm jedes Jahr testen lassen. Dabei wird er auf Risse sowie Porosität geprüft und ob die Leinen reissfest sind. Werden die Kriterien nicht erfüllt, sollte man einen neuen Schirm kaufen.
Das Schöne am Gleitschirmfliegen ist, dass man es überall ausüben kann. Dafür braucht es die passende Ausrüstung und es muss darauf geachtet werden, dass die Wetterverhältnisse stimmen. Es darf absolut kein Fön herrschen, nicht zu viel Wind und der Hang sollte steil genug sein. Das Fliegen ist vom Gefühl her vergleichbar mit einem Adler, der seine Flügel ausbreitet und in die Luft hinausgleitet. Einfach unbeschreiblich schön!
Etwas weniger toll war, als ich mich letzten November verletzte. Das Wetter passte und es herrschte nur ein wenig Rückenwind. Ich war auf der Ebenalp im Appenzellerland, wo ich sicher schon mehr als 400 mal startete. Ich kenne den Berg in und auswendig. Mir war bewusst, dass ich beim Starten intensiv rennen muss. Der Schirm war zwar oben, doch es reichte nicht um vom Boden wegzukommen. Ich dachte mir, ich muss einfach noch vehementer rennen. Das hätte ich nicht tun dürfen. Ich trat auf der Wiese, wo Kühe weideten, brachial in ein Erdloch, fiel zu Boden und der Schirm kam runter. Ich merkte sofort, dass mit meinem Fuss etwas nicht stimmte. Er fühlte sich ganz dumpf an. Mark war gottseidank noch nicht gestartet, kam zu mir und trug meinen Schirm hoch, während ich auf allen vieren den Berg hinaufkroch.
Die Bergbahn war nicht allzu weit entfernt und als wir unten ankamen, fuhren wir direkt zum Notfall in Winterthur. Ich ging davon aus, dass meine Bänder gerissen sind. Sie machten Röntgenbilder und eine Computertomografie, was mir komisch vorkam. Als der Chirurg mir mitteilte, dass mein Fuss verschoben, mehrfach gebrochen und der Knochen zertrümmert sei, schaute ich ihn ungläubig an und dachte mir, ob er wohl wirklich von meinem Fuss spricht. Er meinte, dass er das nicht operieren könne und einen Spezialisten kontaktieren müsse. Das war mein Glück. Ich bin dem Facharzt unendlich dankbar, da er meinen Fuss unglaublich gut hinbekam. Dass dieser nun mit acht Schrauben versehen ist, sieht man von aussen kaum.
Für mich war von Anfang an klar: Sobald alles verheilt ist, werde ich im Sommer wieder mit dem Gleitschirmfliegen beginnen. Nicht aber auf der Ebenalp, sondern in Österreich, in einem Gebiet, dass ich sehr gut kenne und wo es keine Kühe gibt», meint Liz Prohaska lachend und ergänzt: «Anfangs Juni wagte ich meinen ersten Flug nach dem Unfall und hatte grossen Respekt davor. Alles klappte wunderbar und ich war unfassbar glücklich. Ich liebe das Gleitschirmfliegen. Etwa zwei Wochen später fuhren wir zur Ebenalp, unserem Hausberg, und ich startete auch von dort problemlos. Der Unfall lehrte mich, dass es reine Kopfsache ist und man sein Ziel nie aus den Augen verlieren soll.»
Die einzigartige Freiheit des Gleitschirmfliegens
«Ich war schon an manchen Orten mit dem Gleitschirm: in Südfrankreich, in Österreich im Stubaital, in den Dolomiten und in Flims-Laax, da wir in Falera eine Ferienwohnung besitzen. Dort fliegen wir auch im Winter. In einem Büchlein trage ich jeden Flug ein und notiere, wie lange dieser dauerte. Ich bin keine Streckenfliegerin die zwei Stunden in der Luft ist und von A nach B und wieder zurückfliegt, da ich nicht gut bin im Thermik finden.
Seit 2006 absolvierte ich mittlerweile 540 Flüge. Das Fliegen bedeutet mir sehr viel und die Welt ist aus der Vogelperspektive eine ganz andere. Vieles wirkt friedlich, schön und still. Ich liebe es, in der Natur zu sein. Da wir bei Regen nicht starten können, herrscht immer schönes Wetter beim Fliegen. Ich geniesse die unglaubliche Schönheit der Natur und das Privileg, von oben herab Dinge zu sehen, die anderen verborgen bleiben. Wenn man einen Hügel oder eine Krete überfliegt, gelangt man an traumhaft schöne Orte. Über allem zu schweben, empfinde ich als grosses Glück.
Es ist schön, dass ich all das gemeinsam mit Mark erleben darf, da wir in der Regel gemeinsam fliegen. Dann kommunizieren wir über Funk miteinander – jeder an seinem Schirm. Auch dass mein Vater mit seinen 82 Jahren immer noch fliegt, ist keine Selbstverständlichkeit. Es gibt nicht viele Leute in seinem Alter, die dieses Hobby noch ausüben. Als ich mit dem Fliegen begann, kam Peter viel mit uns mit und war derjenige, der mich unterstützte. Ich konnte von seiner langjährigen Erfahrung profitieren. Wenn wir heute zusammen fliegen, sorge ich dafür, dass er zuerst startet. Wir schauen, dass er gut wegkommt, da er nicht mehr so stark rennen mag. Wenn er einen Start abbrechen muss, tragen wir ihm sein Material den Hügel hinauf und legen den Schirm aus, sodass er erneut starten kann. Einmal in der Luft, ist er derjenige, der am längsten oben bleibt, weil er es mit der Thermik voll im Griff hat.
Peter brach sich vor einigen Jahren als wir zusammen flogen den Fuss. Damals teilte er mir mit, dass er mit dem Fliegen aufhören möchte. Ich sagte ihm, dass das keine Option sei und gar nicht infrage komme. Letzthin bedankte er sich bei mir, weil ich ihn damals motivierte, weiterzufliegen. Er ist froh, nicht aufgehört zu haben. Aussergewöhnlich ist auch, dass wir drei Generationen sind die Gleitschirm fliegen: mein Vater, ich und mein ältester Sohn. Familie ist für mich ein grosses Thema. Es bereitet mir enorm Freude, wenn wir zusammen Zeit verbringen und den Plausch haben. Was gibt es Schöneres?»
VANESSA SACCHET