Vanessa Sacchet im Gespräch mit Livio Stieger

  18.06.2022 Hofstetten

Livio Stieger, geboren am 19. Februar 2012, wächst zusammen mit seiner älteren Schwester Alina in Hofstetten auf. Seine Eltern besitzen ein Motorradgeschäft. Schon als kleiner Junge verbrachte er viel Zeit dort und setzte sich vom einen Töff auf den nächsten. Auch liess er keine Gelegenheit aus, mit seinem Laufrad durch den Laden zu flitzen. Heute fährt der Zehnjährige im SJMCC, dem schweizerischen Jugendmotocross Club.
Wie es dazu kam, erzählen mir seine Eltern Daniela und Andreas Stieger. Sie erinnern sich zurück: «Am Anfang besassen wir einen Elektro-Töff. Wenn Livio jeweils vom Kindergarten nach Hause kam, kurvte er mit diesem noch vor dem Mittagessen eine halbe Stunde um unser Haus herum. Gehört hat man davon nicht viel, da es sich wie bereits erwähnt, um einen Elektro-Töff handelte. Livio fuhr einfach aus Plausch in der Gegend herum. Nachdem wir merkten, dass es ihm wirklich Spass macht, liehen wir von Bekannten einen kleinen Cross-Töff aus, mit dem er bei uns auf dem Hof im Feld seine Runden drehen konnte. Da er am Fahren einen Narren gefressen hatte, kauften wir den kleinen Töff. Später lösten wir ihm eine Lizenz zum Motocross fahren. So begann alles.
Livio war fünf Jahre alt als er im SJMCC begann. Dort fahren Kinder bis zu ihrem 20. Lebensjahr. In den ersten Jahren trainierte er nicht viel. Er fuhr meistens bei uns auf dem Feld herum oder wir gingen nach Begingen, um auf der Cross-Piste zu üben. Pro Jahr finden etwa zwölf Rennen statt – in Italien, Österreich, Deutschland und in der Schweiz. Die meisten sind am Samstag oder Sonntag. Es gibt auch Rennen, die zwei Tage dauern. Dann heisst es für uns, dass wir bereits am Freitag anreisen müssen – gleich nach der Schule. Ist es allen möglich, fahren wir als ganze Familie hin. Wenn zum Beispiel Alina etwas anderes geplant hat, ist das nicht der Fall. Wir können nicht von ihr verlangen, dass sie immer mitkommt und ihre eigenen Interessen zurückstecken muss. Dann bleibt Daniela zu Hause und ich fahre mit Livio allein. Oder wir organisieren die Grosseltern. Alina selbst ist auch schon Motorrad gefahren und hat einige Runden auf dem Feld gedreht. Sie wurde jedoch nicht vom Töff-Fieber gepackt und widmet sich lieber dem Geräteturnen.»

Die Anspannung vor dem Rennen ist gross

Livios Vater erzählt: «Im Geschäft schaue ich, dass der Töff läuft. Wir laden alles gemeinsam. Livio arbeitet seine Liste ab und muss unter anderem all seine Kleider richten. Zu Beginn fuhren wir mit dem Auto und einem kleinen Anhänger zu den Rennen. Mit jedem Mal wurde dieser grösser, da ich ebenfalls einige Rennen mitfahre und wir so öfters zwei Töff mitnehmen. Der grosse Anhänger wurde von mir so umgebaut, dass man auch zu viert darin übernachten kann. Wenn wir als ganze Familie zu einem zweitägigen Rennen gingen, kam es schon mal vor, dass wir das Wohnmobil von Danielas Eltern auslehnten.»
Auf meine Frage, ob er als Motorradgeschäftsbesitzer immer ein halbes Ersatzteillager mitführt, meint Stieger lachend: «Nein, im Gegenteil. Ich habe sehr wenig mit dabei und schaue im Voraus, dass unsere Maschinen gut in Schuss sind. Sollte wir mal etwas benötigen, haben die anderen alles mit dabei. Das kam aber in den letzten fünf Jahren nie vor.» Um an den Rennen teilnehmen zu können, investiert die Familie viel Zeit und Aufwand. Sie sind stolz auf ihren Sohn. Vor allem, dass er das Rennen fahren nicht allzu verbissen sieht. Ich frage Livio, ob er sich jeweils die Motorradrennen im Fernsehen anschaue. Er meint: «Nein, das interessiert mich weniger. Ich fahre einfach gerne selbst Rennen.»
So träumt der Zehnjährige auch nicht davon, einmal Profirennfahrer zu werden. Seine Mutter betont: «Livio findet es schön, an den Rennen teilzunehmen, da man sich untereinander kennt. Es gibt auch Mädchen, die nicht fahren, und so hat auch Alina ihre ‹Gspändli› mit denen sie spielen kann. Wir Mütter kennen uns untereinander und sind meist am Mitfiebern und Anspornen. Das sind genau die Dinge, die uns gefallen. Wenn Livio allein trainiert und auf dem Feld seine Runden dreht, ist es eher etwas schwierig für ihn, die Motivation und den Ehrgeiz dafür aufzubringen. Wenn jedoch seine ‹Gspändli› oder mein Mann an den Trainings mit dabei sind, dann bereitet es Livio grossen Spass, weil er etwas Konkurrenz um sich hat. Wenn er mit anderen zusammen trainieren kann, steigt er erst vom Töff, wenn sein Vater ihn ruft oder kein Benzin mehr drin ist. Auch etwas trinken oder aufs WC gehen kommt währenddessen nicht infrage. Dafür findet er absolut kein Gehör, denn dann läuft etwas und es herrscht Action.»

Schlimme Stürze blieben bis jetzt aus

«Den einzigen Unfall, den Livio hatte, war in Zuckenried ganz zu Beginn. Er stürzte in einer Kurve, fiel hin und verlor seinen Zahn, der bereits wackelte. Das war eines der grössten Erlebnisse, wenn er dort ein Rennen fährt. Dann sagen wir jeweils: ‹Schau, hier hast du deinen ersten Zahn verloren.› Dass ihm dieser herausfiel, merkte er erst viel später, als ihm die Zahnlücke auffiel. Deshalb konnten wir seinen ersten Zahn auch nicht aufbewahren. Der liegt irgendwo auf dem Feld begraben.» Wenn es mal Blessuren oder andere Verletzungen gab, zog sich Livio diese nicht bei einem Töff-Rennen zu, sondern in seiner Freizeit. Die Mutter erzählt: «Im Kindergartenalter musste er das Kinn nähen lassen, weil er mit dem Velo über eine Schanze fuhr. Das mit dem Arm war ein typischer Trampolinunfall und den Fuss verknackte er sich beim Laufen am Äschliumzug. Somit können wir bis jetzt zum Glück sagen, dass das Motorradfahren gar nicht so gefährlich ist.»
Zurzeit fährt Familie Stieger mit ihrem Camper-Van und einem kleinen Anhänger zu den Rennen. «Es ist alles so einfach wie möglich gehalten und wir grillieren oft. Livio isst aber am liebsten Spaghetti ohne etwas. Da er vor einem Rennen nervös ist, mag er meistens gar nichts essen. Nach dem Rennen hat er keine Zeit dafür, da er mit seinen Kollegen spielt. Livio ist ein sehr sozialer Mensch. Wenn wir an einem Trainingswochenende sind, das oft in Italien stattfindet, entpuppt sich unser Sohn als absoluter Gentleman. Wenn zum Beispiel ein ‹Gspändli› stürzt, legt er sofort seinen Töff ab und rennt hin, um zu helfen. Springt ein Töff von jemandem nicht an, ist er ebenfalls sofort zur Stelle. Wir sagen dann jeweils: ‹Zum Glück tat er das noch nie in einem Rennen›», meint die Mutter lachend und ergänzt: «Beim Training ist er sehr hilfsbereit und wurde von seinen Kollegen schon oft mit Schokolade zum Dank verwöhnt. Auch von den anderen Eltern erhielt Livio schon viel Lob. Sie sind immer froh, wenn er zur Stelle ist und sie nicht von weither hinrennen müssen, um zu helfen.
Man kann sagen, dass Livio, wenn es um Herzensangelegenheiten geht, den 1. Platz belegt. Er ist auch absolut kein Draufgänger, wie teilweise andere Jungs. Am Anfang der Saison ist er eher vorsichtig unterwegs, fährt überlegt und mit Bedacht. Im letzten Rennen, das jeweils im Oktober in Wängi stattfindet, gibt er dann so richtig Vollgas. Ist die Saison zu Ende, stellt er seinen Töff in die Ecke. Er gehört nicht zu den Kindern, die im Winter extra nach Spanien fahren, um dort zu trainieren. Im November und Dezember hat er anderes vor, nämlich mit der ganzen Familie Skifahren, bevor Ende März wieder die ersten Töff-Rennen beginnen.»

VANESSA SACCHET


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