Vanessa Sacchet im Gespräch mit Jacqueline Köhler

  27.08.2022 Geretswil

Jacqueline Köhler, geboren am 11. Januar 1971 in Winterthur, wuchs zusammen mit zwei älteren Brüdern auf. Sie ist verwitwet, hat eine Tochter und lebt in einer Partnerschaft. Autos spielten schon immer eine wichtige Rolle in ihrem Leben. Heute ist sie eidgenössisch diplomierte Fahrlehrerin und hat sich mit ihrem Beruf einen Traum erfüllt. Wie es dazu kam, erzählt mir die 51-Jährige.
«Bereits als Kind spielte ich lieber mit Autos wie mit Puppen. Einen bestimmten Grund dafür gab es nicht. Mein Vater schaute oft Autorennen. Vielleicht hatte das einen Einfluss auf mich. Oder weil ich mit den Spielsachen meiner Brüder spielte. Man machte in der Erziehung keinen allzu grossen Unterschied zwischen Mädchen und Buben und so trug ich auch die Kleider, die meinen Brüdern zu klein waren. Meine Mutter erzählte mir später: Wenn man mich in irgendwas hineinsetzte das fuhr, habe das eine enorme Faszination auf mich ausgeübt. Das ist noch heute so. Ich kann mich überall hineinsetzen, habe keine Berührungsängste und finde mich sehr schnell zurecht.
Als ich 18 Jahre alt wurde begann ich gleich mit den Fahrstunden und im Mai hatte ich die Prüfung bereits im Sack. Meine Mutter wollte, dass ich Krankenschwester werde. So absolvierte ich eine Ausbildung beim Schweizerischen Roten Kreuz, was mir jedoch nicht wirklich gefiel. Ich meldete mich bei einer Transportfirma und absolvierte die Lastwagenprüfung. Später kam das Fahren mit Anhänger dazu und ich machte die Carprüfung. Mein Ziel war es, Car zu fahren. In den 80er-Jahren geriet ein Unfall mit einem Car, der von einer Chauffeuse gesteuert wurde, in die Schlagzeilen. Ich rief bei zwei Carunternehmen an und fragte, ob sie eine offene Stelle für mich hätten. Es hiess: ‹Glauben sie die Senioren steigen in einen Car, wenn dieser von einem Fräulein gefahren wird?› So war es für mich damals unmöglich, einen Job als Chauffeuse zu erhalten.
In den 80er-Jahren als ich bei Ernst Daniel’s Erben arbeitete, war ich mit einem Volvo-F10-Anhängerzug unterwegs. Da musste ich mir oft Sprüche wie ‹du gehörst hinter den Herd› oder ‹du möchtest diesen Beruf machen, also mach› anhören. Zur damaligen Zeit hatte man als Frau einen schweren Stand. Auch waren die Fahrzeuge nicht so modern ausgestattet wie heute. Irgendwann überlegte ich mir, ob das wirklich der richtige Beruf für mich ist, den ich bis zum Pensionsalter ausüben möchte, und absolvierte nachträglich die Handelsschule.»

Von der Chauffeuse zur Disponentin

«Ich bewarb mich als Transportdisponentin und musste dreimal zum Vorstellungsgespräch. Damals zählte ich mit einer anderen Frau, die in Genf arbeitete, zu den einzigen weiblichen Transportdisponentinnen der Schweiz. Es war eine grosse Umstellung, zuerst immer auf den Strassen unterwegs gewesen zu sein und jetzt plötzlich im Büro sitzend. Ich war jeden Tag vor den Chauffeuren dort und am Abend ging ich sehr spät nach ihnen. Die Präsenzzeiten waren wahnsinnig lange und stressig. Wir notierten einmal wie viele Telefonate wir an einem Tag tätigen und kamen auf insgesamt 80 Anrufe – mit Kunden, Lieferanten und Chauffeuren. Es war ein sehr hektischer Beruf und verlangte viel von einem ab. An den Wochenenden unterrichtete ich die Chauffeure im Lastwagenfahren mit Anhänger. So kam ich auch selbst immer wieder zum Fahren. Manchmal packte mich die Lust, mit dem Lastwagen eine Fuhre selbst zu machen und ich sprang ein, wenn Not am Mann war», erinnert sich Jacqueline Köhler zurück.
Autos spielen auch heute noch eine grosse Rolle in ihrem Leben. Bis auf die grosse Motorradprüfung besitzt sie sämtliche Führerscheinklassen: A, B, C, D, BE, CE DE. Vom Geschicklichkeitsfahren über Autoausstellungen bis zum Oldtimerrestaurieren dreht sich bei ihr alles ums Auto. Der Wunsch, die Ausbildung zur eidgenössisch diplomierten Fahrlehrerin zu absolvieren, entstand als sie damals als Disponentin den Chauffeuren das Fahren mit Anhänger beibrachte. Köhler erzählt: «Für die Ausbildung hätte ich 23 Jahre alt sein, drei Jahre Fahrpraxis vorweisen und die Fahrlehrerfachschule absolvieren müssen. Die Schule war damals privat und kostete 15‘000 Franken. Geld, das ich nicht hatte. Als ich 40 Jahre alt war fand ein Wechsel in meinem Leben statt und mein Partner bestärkte mich, das Ganze in Angriff zu nehmen. Der richtige Zeitpunkt war gekommen, das Geld kein Hindernis mehr und es passte alles.»

Fahrstunden geben fordert Geduld

«In den Fahrstunden ist höchste Konzentration gefordert. Es gibt immer wieder brenzlige Situationen in denen ich eingreifen muss. Die erste Stufe ist das verbale Eingreifen. Nütz das nichts, oder ein Fussgänger wird übersehen, ist eine schnelle Reaktion gefordert und ich trete aufs Bremspedal. Dafür bin ich da. Ich fahre den ganzen Tag hoch konzentriert auf der Strasse. Dazu kommt, dass jeder Fahrschüler, jede Fahrschülerin anders lernt. Die einen haben etwas länger, die anderen sind schneller in der Auffassungsgabe und Umsetzung. Ausschlaggebend ist auch, ob jemand die Möglichkeit hat, privat zu üben. Die meiste Anzahl Fahrstunden, die jemand bei mir in Anspruch nahm, lag bei 94. Diese Person hatte die Möglichkeit für privates Üben leider nicht. Es spielt auch eine grosse Rolle, ob jemand wirklich Fahren lernen möchte. Es gibt Leute, die kommen aus beruflichen Gründen zu mir. Sie müssen Autofahren lernen, wollen es aber unter Umständen gar nicht. Dann ist die Motivation relativ gering. Im Grossen und Ganzen erlebe ich den Alltag recht positiv, wenn ich mit meinen Fahrschülerinnen auf der Strasse unterwegs bin. Im Feierabendverkehr bemerke ich, dass der eine oder andere Autofahrer nicht mehr so viel Geduld aufbringt und es ihm zu wenig schnell vorwärts geht. Jedoch sind die meisten recht tolerant und verständnisvoll. Wir begannen alle einmal so.
Fahrlehrerin zu sein, ist mein absoluter Traumberuf. Ich bin dort angelangt, wo ich immer hinwollte. Ich arbeite mit Menschen und mag die Abwechslung innerhalb dieses Berufs. Meine Leidenschaft gilt dem Auto und dem Unterrichten. Wenn die Fahreignung bestätigt ist, bin ich davon überzeugt, dass jeder das Autofahren lernen kann. Ich kann es nicht, gibt es nicht. Ich bin von Natur aus ein sehr geduldiger Mensch. Den Ausgleich zum Fahrstunden geben bietet mir Calea, meine Shih-Tzu-Hündin. Wir sind viel draussen in der Natur. Auch besitzen wir Hühner sowie Wachteln und ich halte mich oft in unserem Garten auf. Ich bezeichne mich als sehr naturverbundenen Menschen. Auch male und drechsle ich gerne. Ich bin die Basteltante schlechthin. Privat bin ich viel zu Fuss oder mit dem Velo unterwegs, eher wenig mit dem Fahrzeug. Wenn doch, dann mit unserem kleinen Auto, mit dem wir am Sonntag gerne herumfahren. Ich liebe den kleinen Flitzer über alles.»

VANESSA SACCHET


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