Vanessa Sacchet im Gespräch mit Isabelle Gerber

  08.10.2022 Steig

Isabelle Gerber, geboren am 21. April 1978 in Zürich, wuchs zusammen mit ihrem Bruder in Elgg auf. Die gelernte Physiotherapeutin ist verheiratet und Mutter von Zwillingen. In der Freizeit ist sie gerne mit zwei ihrer Pferde und dem Fuhrwerk unterwegs. Als solches bezeichnet man eine Kutsche, die von Zugtieren gezogen wird. Die 44-Jährige erzählt mir, wie sie zu diesem speziellen Hobby gekommen ist:
«Ich bin in Elgg neben dem Reitstall von Paul Weiher aufgewachsen. Meine Mutter ist geritten und ich habe bereits mit acht Jahren damit angefangen. Auch mein Mann wuchs mit Pferden auf, da seine Eltern schon immer welche besassen. Diese haben sie früher gebraucht, um mit dem Fuhrwerk auf dem Bauernhof Arbeiten zu erledigen. Später hielten sie sie nur noch als Hobby. Ich wusste, dass ich die Pferde irgendwann übernehmen werde. Das hat mich dazu bewogen, mich näher mit dem Kutschenfahren zu befassen. Dazu kommt, dass mir meine Eltern 2003 zum Abschluss meiner Ausbildung eine Fahrkurswoche geschenkt haben.
Zusammen mit meiner Mutter bin ich nach Ebbs in Österreich gefahren. Nach dem Kurs hat mich das Fieber vollends gepackt, sodass ich zu Hause öfter mit meinem Schwiegervater und dem Gespann mitgefahren bin. Mir war klar, dass ich das Fuhrwerkfahren seriös von Grund auf lernen möchte, da mir die Sicherheit sehr wichtig ist. So kam es, dass ich 2005 das Fahrbrevet in Trachselwald absolvierte. Für den einwöchigen Kurs benötigt man gewisse Vorkenntnisse. Wir gingen vor Ort jeden Tag fahren und ich musste für die Theorie lernen. Am Ende der Woche gab es eine theoretische und eine praktische Prüfung. Das Anschirren in der richtigen Reihenfolge sowie das Verhalten im Verkehr waren ein Teil davon. Mit dem Fuhrwerk nimmt man im Strassenverkehr teil und muss somit die Regeln kennen», erklärt Gerber und ergänzt: «Noch heute nehme ich immer mal wieder einige Fahrstunden beim Kutschfahrlehrer Rudolf Signer aus Turbenthal. Er ist schweiz- und europaweit Kutsche gefahren und hat enorme Erfahrung. 2006 durften wir den Hof der Schwiegereltern übernehmen, inklusive zwei Ponys und zwei Pferden. Als diese altersbedingt starben, kauften wir 2018 die beiden vierjährigen Pferde Domino und Diabolo, inklusive einer Kutsche.»

Nostalgische Kutschenfahrt

«Die Spannbreite verschiedener Kutschen ist gross. Ich fahre zweispännig mit Brustblattgeschirr. Kein schweres Kummet, das man über den Kopf stülpt wie früher. Es ist leichter und wird im Fahrsport gebraucht. Die Wagonette ist eine kleine Kutsche. Der Kutschbock ist mit einer Luftfederung ausgestattet und am Sitz kann das Gewicht des Fahrers eingestellt werden. Sie besitzt eine Einzelradfederung und ist somit optimal fürs Gelände und mit den Luftreifen viel weniger hart wie die früheren eisenbereiften Kutschen. Zuerst dachte ich, dass sie zu schwer ist mit ihren 400 Kilogramm. Doch die beiden Pferde mögen sie sehr gut ziehen. Sie ist mit guten Scheibenbremsen ausgerüstet, was mir sehr wichtig ist. Der Deichsel kann blockiert werden und ich so gut rückwärtsfahren. Hinten hat es Platz für vier Erwachsene, vorne für den Fahrer und eine weitere Person. Die Kutsche ist nicht so gross wie ein Planwagen oder ein Gesellschaftswagen, dafür wendiger. Die Wagonette kostete gut 10‘000 Franken. Wir haben sie zusammen mit dem Fahrgeschirr beim Pferdehändler gekauft. Theoretisch darf jede Privatperson mit einer Kutsche fahren. Es ist jedoch ratsam, eine Ausbildung zu absolvieren. Man liest oft über Unfälle mit Kutschen. Sicherheit ist das A und O – sowie gut ausgebildete Pferde, denn sie sind Fluchttiere. Eine heikle Situation hatte ich bis jetzt noch nie.»
Gerber betreibt das Fuhrwerkfahren als Hobby und erzählt, dass sie nicht wirklich angetan ist von der Vorstellung, jedes Wochenende an irgendeinem Kutschenanlass teilzunehmen. Sie nahm jedoch schon zwei Mal an einem Kutschen-OL (Orientierungslauf) teil und erklärt: «Die Pferde können viel lernen. Der OL stellt für die Tiere eine neue Situation dar. Domino und Diabolo sind noch jung und müssen das alles einmal erlebt haben. Es ist eine gute Ausbildung für die beiden. Es geht mir darum, dass sie solche Situationen kennenlernen und es macht auch mir enorm Spass, etwas Neues auszuprobieren. Ich habe auch schon an einer Nostalgie-Kutschenfahrt teilgenommen, die in Weinfelden stattfand. Dazu passten wir unsere Kleider dem Alter der Kutsche aus dem 19. Jahrhundert an. Da unsere Kutsche nicht alt ist, stellte mir mein Fahrlehrer Rudolf Signer eine zur Verfügung. Ich habe nur meine Pferde und das Geschirr mitgebracht. Anmelden musste man sich im Voraus, damit klar war, wie viele Teilnehmer wir sind und die Reihenfolge festgelegt werden konnte, weil nacheinander gestartet wird. Es fuhren jeweils vier Gespanne zusammen los. Die Route war vorgeplant und markiert. Es begann in Weinfelden und den ersten Halt machten wir auf dem Ottenberg bei einem Weingut, wo wir einen Apéro genossen. Danach ging es weiter. Am Mittag assen wir draussen, während die Pferde ausgespannt wurden und ebenfalls Verpflegung erhielten. Danach ging es zurück zum Hof in Weinfelden, wo alles begonnen hatte.»
Gerber fuhr ausnahmsweise auch an der Gewerbeausstellung in Elgg mit. Sie erklärt: «Alois Seiler aus Maischhausen war engagiert, um den Besuch von Wenigzell aus Österreich herumzufahren. Da es mehr Leute waren wie gedacht, wurde ich angefragt, ob ich nicht auch fahren könnte. Der Apéro fand in der ‹Guhwilmühle› unweit von unserem Hof statt. Ich fuhr dorthin, lud die Gäste auf und wir machten eine Runde. Danach brachte ich sie nach Elgg und fuhr wieder nach Hause.»

Aktive Erholung

«Von Steig aus kann ich mit dem Fuhrwerk in alle Richtungen fahren. Je nach Witterung oder Temperatur entscheide ich, ob ich im Wald oder eher über Land unterwegs sein möchte. Wenn die Pferde etwas hitzig sind, gehe ich eher Richtung Geretswil, Huggenberg, damit sie zuerst die Kutsche bergauf ziehen müssen. Ich bin gerne auf Waldwegen unterwegs, fahre aber auch durch Ortschaften wie Ettenhausen, Tänikon, Aadorf und über Elgg wieder zurück. Für mich bedeutet dieses Hobby aktive Erholung. Ich merke, dass die Pferde die Kutsche gerne ziehen. Das Arbeiten bereitet ihnen Freude. Mir gefällt die Zusammenarbeit mit den Pferden – sei dies beim Reiten, Fahren oder bei der Bodenarbeit. Das alles hat mich von Anfang an fasziniert. Mein Hobby mit meinen eigenen Pferden ausleben zu können, bedeutet mir viel.
Mein Mann begleitet mich vor allem an den Wochenenden, da ich nicht allein fahren möchte. Meine 13-jährige Tochter kommt ebenfalls gerne mit und nimmt jeweils ihr Pony als Handross mit oder reitet hinterher. Mit der Wagonette unterwegs zu sein, macht richtig Spass. Als Geschenk haben wir meiner Schwiegermutter und ihrem Partner zum 70. Geburtstag eine Kutschenfahrt geschenkt: von Steig aus zum Restaurant Säntisblick in Eschlikon. Dort angekommen, konnten wir die Pferde bei einem Bauern im kühlen Stall einstellen. Sie wurden ausgespannt und mit Heu und Wasser versorgt, während wir das Mittagessen geniessen konnten. Danach ging es wieder zurück.»
Auf meine Frage, ob der Unterhalt der Kutsche teuer ist, meint die 44-Jährige: «Die Kutsche ist das Billigste und gibt kaum Arbeit. Hin und wieder muss das Öl gewechselt werden. Unser Nachbar ist Landmaschinenmechaniker, was enorm praktisch ist. Er hat schon mal einen Ölwechsel gemacht oder die Bremsen kontrolliert. Wir besitzen die Wagonette seit vier Jahren und hatten bis jetzt noch keine grösseren Reparaturen. Regelmässig muss auch der Luftdruck der Pneus kontrolliert werden. Dafür ist mein Mann Roger zuständig, der sich damit viel besser auskennt als ich.»

VANESSA SACCHET


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