Vanessa Sacchet im Gespräch mit Gottfried «Godi» Schmutz
09.08.2025 Leute aus der Region, HagenbuchGodi Schmutz, geboren am 26. Oktober 1954 in Olten, wuchs zusammen mit vier Geschwistern auf. Der gelernte Landmaschinenmechaniker ist verheiratet und hat zwei erwachsenen Söhne. Seine Frau hat ebenfalls zwei erwachsene Kinder. Der ehemalige Schweizer Radrennfahrer gewann während ...
Godi Schmutz, geboren am 26. Oktober 1954 in Olten, wuchs zusammen mit vier Geschwistern auf. Der gelernte Landmaschinenmechaniker ist verheiratet und hat zwei erwachsenen Söhne. Seine Frau hat ebenfalls zwei erwachsene Kinder. Der ehemalige Schweizer Radrennfahrer gewann während seiner Profikarriere von 1977 bis 1987 dreimal die Schweizer Strassenmeisterschaft 1978, 1980 und 1985. Sein neunter Platz beim Giro d’ Italia 1979 zählt zu seinen bemerkenswertesten Ergebnissen. Heute geniesst er das Pensioniert sein und erzählt, wie er sich im Jahr 2018 auf den Jakobsweg gemacht hat und was er in den drei Monaten, die er unterwegs war, alles erlebt hat.
«Im Jahr 2011 hatte ich eine Auszeit, sprich ein Firmenjubiläum und nutzte die Gelegenheit für eine längere Wanderung. Ich hatte 28 Tage zur Verfügung. Bei meinen Recherchen stiess ich auf den Jakobsweg. Ursprünglich wollte ich vom Bodensee zum Genfersee wandern. Doch da der Jakobsweg vor allem in der Schweiz besonders gut beschildert ist, und es ausreichend Übernachtungsmöglichkeiten gibt, entschied ich mich spontan dafür. Nach drei Wochen erreichte ich bereits Genf und setzte die Wanderung noch ein Stück in Frankreich fort.
Diese Erfahrung hat mich tief beeindruckt und von diesem Moment an war klar: Mein erster Tag nach dem Berufsleben führt mich direkt auf den Jakobsweg. 2018 war es schliesslich so weit. Ich begann jedoch bewusst nicht dort, wo ich 2011 aufgehört hatte. Stattdessen entwickelte sich die Idee, direkt von meiner Haustür in Hagenbuch bis nach Santiago de Compostela zu laufen, und das am Stück. Zur Vorbereitung lief ich zwei Paar Schuhe ein und unternahm an den Wochenenden längere Wanderungen. Da ich körperlich fit war, konzentrierte ich mich bei der Ausrüstung vor allem auf geringes Gewicht. Einen Wanderstock hatte ich ebenfalls dabei, keinen modernen Walkingstock, sondern einen schlichten Holzstock, wie ihn Pilger früher nutzten. Er diente mir als Stütze und als Schutz, falls ein Hund meinen Weg kreuzen sollte».
Freiheit auf Zeit: Mein Aufbruch von Hagenbuch nach Santiago
«Als ich in Hagenbuch aufbrach, war es das erste Mal, dass meine Frau und ich so lange voneinander getrennt sein würden. Diese Situation war für uns beide besonders. Ich lief los und wusste, dass ich über Fischingen, Rapperswil, Einsiedeln quer durch die Schweiz laufe. Da ich die Strecke vom ersten Mal ein wenig kannte, hatte ich nichts im Voraus reserviert. Ich wollte frei sein. Ich war lange genug von Terminen und Planungen bestimmt und wollte nicht dorthin laufen, wo mir eine Reservierung den Weg wies.
Mein Plan war, so lange zu laufen, wie ich konnte, und dort zu übernachten, wo es mir gefiel und wo es eine Möglichkeit gab. Im Durchschnitt lief ich 25 Kilometer pro Tag, das wenigste war Null und das meiste 45 Kilometer. Beim Übernachten probierte ich alles aus: Ich schlief bei Privaten, in Pilgerherbergen, in einem Kloster, in B&Bs und in Frankreich und Spanien übernachtete ich in grossen Städten wie Burgos und León in Hotels. Manchmal brauchte ich einfach eine Auszeit für mich selbst, ein schönes Bett und eine erfrischende Dusche. Das heisst aber nicht, dass es in den Pilgerherbergen nicht auch diese Annehmlichkeiten gegeben hätte. Dort war es jedoch oft voller und man war ständig von anderen Menschen umgeben».
Wenn der Weg dich trägt und Menschen deinen Rhythmus teilen
«Zu Beginn meiner Wanderung wurde ich in den ersten zwei bis drei Tagen von einem Wanderfreund begleitet. In der Schweiz war ich dann meist allein unterwegs, da es nur wenige andere Wanderer gab. Ich traf höchstens abends in Herbergen oder Jugendherbergen jemanden. In Frankreich war deutlich mehr Betrieb, sodass ich dort öfter mit anderen gemeinsam lief. Viele trifft man immer wieder, da sich das tägliche Wandertempo meist bei 20 bis 30 Kilometern einpendelt. Nur wenige schaffen 50 Kilometer täglich. Besonders in Frankreich bestimmen die Abstände zwischen den Übernachtungsmöglichkeiten die Etappenlänge. Man weiss oft schon morgens, ob man 24 oder 32 Kilometer laufen wird.
So kam es, dass ich mit manchen nur einen halben Tag unterwegs war, mit anderen mehrere Tage. Die einen starten früh, andere spät, und man trifft sich unterwegs wieder, etwa beim Znüni auf einer Bank. Es waren Menschen aus vielen Nationen unterwegs: Deutsche, Österreicher, Slowenen, Tschechen, Südtiroler und besonders viele Italiener. Vor allem gegen Ende auf dem spanischen Jakobsweg. Auch viele Koreaner, Kanadier und allein reisende Frauen waren unterwegs. Die grösste Herausforderung war das Wetter. Der Sommer 2018 war extrem heiss, vor allem im Südwesten Frankreichs, wo viele Abschnitte über Teerstrassen führen. Regen gab es kaum. Nur ein oder zwei Tage mit leichtem Niederschlag. Aufgeben war nie ein Thema, obwohl es anstrengend war. Überraschend für mich war jedoch, dass ich in der Mitte der Reise Heimweh bekam. Ein neues Gefühl».
Drei Monate, ein Ziel, ein Neustart
«So lange von meiner Frau und Familie getrennt zu sein, war das erste Mal und eine besondere Herausforderung. Ich war nahe daran, aufzugeben. Mein Handy hatte ich zwar dabei, aber meist ausgeschaltet. Nur abends nutzte ich es, um mit meiner Frau zu telefonieren. Tagsüber schaltete ich es selten ein. Als ich in Frankreich unterwegs war, wo der Jakobsweg dem Fernwanderweg 65 folgt und während der Ferienzeit viele Pilger unterwegs sind, hatte ich es eingeschaltet, um manchmal am Vorabend eine Unterkunft zu reservieren. Oder ich meldete mich kurz, wenn ich meine Frau am Abend nicht erreichen konnte. Insgesamt legte ich in den drei Monaten 2340 Kilometer zu Fuss zurück, so steht es auch auf meiner Urkunde. Als ich schliesslich in Santiago de Compostela ankam, war das ein emotionaler Moment, der schwer in Worte zu fassen ist. Es gibt die unterschiedlichsten Motivationen, diesen Weg zu gehen. Auch wenn man nicht tiefgläubig ist, zieht einen Santiago an wie ein Magnet. Am Ende fügt sich alles: Man startet, läuft drei Monate lang mit einem Ziel vor Augen und wenn man ankommt, ist es überwältigend. Ich bin den Jakobsweg nicht gegangen, um bei mir eine Veränderung zu erzielen, sondern um nach meiner Pensionierung einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Das ist mir gelungen. Der Alltag war weit weg».
Begegnungen, Erinnerungen und ein Weg, der nie ganz zu Ende geht
«Dieses Jahr haben meine Frau und ich eine längere Reise mit dem Wohnmobil unternommen. Wir waren in Marokko, und auf dem Rückweg sind wir bewusst quer durch Frankreich gereist. Immer wieder haben wir dabei den Jakobsweg gekreuzt. Es fühlte sich an wie im Jahr 2018, als wäre ich erst gestern losgelaufen. Es ist alles noch so präsent! Noch heute pflege ich Kontakt zu drei Menschen, denen ich auf dem Jakobsweg begegnet bin. Einem Mann, etwa in meinem Alter, der von Vevey aus gestartet ist, mit ähnlicher Motivation. Einer Frau aus dem Allgäu und einer jungen Südtirolerin.
Diese Begegnungen bedeuten mir bis heute viel. Auf den Jakobsweg würde ich wieder gehen. Allerdings nicht mehr von Hagenbuch bis nach Santiago de Compostela. Drei Monate sind lang, und diesen Abschnitt habe ich für mich abgeschlossen. Aber ich habe mir überlegt, vielleicht noch einmal ein Teilstück zu gehen. Zum Beispiel von Porto nach Santiago oder von Assisi nach Rom. Allen, die mit dem Gedanken spielen, sich auf den Jakobsweg zu begeben, kann ich nur einen Rat geben: Nicht zu viel nachdenken, einfach losgehen! Ich kenne so viele Menschen, die sagen: Das möchte ich auch einmal machen. Dann mach es! Es ist eine einmalige, fantastische Erfahrung».
VANESSA SACCHET