Vanessa Sacchet im Gespräch mit Florian Fiechter
01.07.2023 HuggenbergFlorian Fiechter, geboren am 24. April 1990 in Winterthur, wuchs mit einer Schwester und einem Halbbruder in Huggenberg auf. Der gelernte Lastkraftwagenführer ist heute als internationaler Chauffeur bei einer Transportfirma tätig und fährt weit über die Landesgrenze hinaus.
Florian Fiechter, geboren am 24. April 1990 in Winterthur, wuchs mit einer Schwester und einem Halbbruder in Huggenberg auf. Der gelernte Lastkraftwagenführer ist heute als internationaler Chauffeur bei einer Transportfirma tätig und fährt weit über die Landesgrenze hinaus.
«Die Lehre fing ich als Schmied an und brach sie nach knapp drei Jahren ab. In meinem Kollegenkreis gab es einige Chauffeure und so kam ich auf die Idee, in der Firma Holenstein in Wil diesen Beruf zu lernen. Bis man die Theorie- und Lkw-Prüfung absolviert hat, arbeitet man in der Logistik. Ist die Theorieprüfung geschafft, erhält man einen Ausbildner. Der fährt im Lastwagen mit, bis man selbst genug praktische Erfahrung gesammelt hat, um die Prüfung zu absolvieren. Hat man diese bestanden, ist man auf sich selbst gestellt.
Als ich zum allerersten Mal mit einem Lkw fuhr, war das ein unvergessliches Erlebnis. Ich genoss das Vertrauen der Firma und trug die Verantwortung. Ich fuhr mit einem Volvo FA2, ein Motorenwagen mit 460 Pferdestärken. Später kam ein Anhängerzug dazu. Ein grosser Traum von mir war es, einmal international zu fahren. Die Lkw-Fahrer-Romantik kommt erst richtig auf, wenn man lange Distanzen fährt. Im Ausland erwarten einem ganz andere Abenteuer und Herausforderungen. So zum Beispiel die Sprachen. Ich rede fliessend Englisch, Französisch und ein wenig italienisch. Nach der Lehre blieb ich für ein Jahr und nahm danach diverse Fahrerjobs an. Für drei Jahre war ich im Abbruch tätig und absolvierte die Rekrutenschule.
Bei der Firma Schürch AG in Pfungen, die heute nicht mehr existiert, hatte ich am 6. Dezember 2015 mein erstes Erlebnis mit einer Auslandfahrt. Daran erinnere ich mich, als wäre es gestern gewesen. Ich fuhr von Sulgen nach London, wo ich im ‹The Shard›, einem Wolkenkratzer mit 310 Metern Höhe, eine Designerküche ablieferte. Damals herrschten grosse Unruhen und Flüchtlinge aus Calais wollten nach England. Sie beschädigten viele der Lkws. Chauffeure zu finden, war damals nicht leicht. Ich hatte keine Angst und liess mich auf das Abenteuer ein.»
Hauptsächlich in Italien unterwegs
«Fahre ich nach Italien, bin ich fast die ganze Woche weg von zu Hause. Wir beliefern bis auf die Inseln alle Regionen. Unterwegs bin ich auch in Deutschland, Frankreich, Österreich, Spanien, Holland, Belgien, Dänemark, Schweden, Norwegen, Russland und Kroatien – eigentlich überall da, wo man mit dem Lkw hinkommt. Schon dreimal war ich in Schweden am Polarkreis. Das war das Nonplusultra. Wildnis und Freiheit pur, einfach der Wahnsinn! Das bedeutet jedoch fünf Tage hochfahren und ebenso lange wieder zurück.
Ich bin nicht der Typ, der auf Raststätten übernachtet. Sie sind weniger schön und es herrscht eine Massenabfertigung. Ich führe eine halbe Küche mit», meint Florian Fiechter lachend und ergänzt: «So kann ich selbst kochen. Ich besitze einen Stromumwandler, eine Heissluftfritteuse und einen Grill. Die Kaffeemaschine darf ebenfalls nicht fehlen. Mein Lastwagen ist sozusagen ein kleines Wohnmobil. Koche ich mal nicht, gehe ich in die alten Routiers. Das sind sogenannte Lkw-Fahrer-Restaurants, die man in ganz Europa antrifft. Sie befinden sich abseits der Autobahn, in der Nähe einer Ausfahrt und bieten 50 bis 100 Parkplätze. Man isst gut und günstig und hat die Möglichkeit, zu duschen. Eines der Merkmale ist, dass sie mit Einzeltischen ausgestattet sind.
Wir Chauffeure sind ein offenes, aufgeschlossenes Volk und kommen schnell in Kontakt. Um Routiers zu finden, fragt man sich am besten durch. Vor allem die Älteren unter uns wissen, wo sich welche befinden. Es gibt auch Pläne, in welchen sie aufgelistet sind. Man hat seine Lieblingslokale, wo einem das Servierpersonal oder der Koch kennt. Es kommt vor, dass man auf dieselben Chauffeure trifft. Wir halten auch auf den Strassen Kontakt. Kreuzen wir uns, gibt man sich Zeichen mit der Lichthupe oder funkt sich gegenseitig an. Dazu hat man etwa fünf Minuten Zeit. So werden wichtige Informationen ausgetauscht wie, ob Stau zu erwarten ist oder es Unfälle und Radarkontrollen gibt.»
Auf meine Frage hin, wo er nach einer langen Fahrt übernachte, meint der 33-Jährige lachend: «Immer in meinem eigenen Lastwagen. Dieser ist komplett mit Leder ausgestattet, mit eigenem Design, Licht, Vorhängen und allem, was man sich vorstellen kann. Sogar mit eigenem eingesticktem, beleuchtetem Logo. Im Lkw verbringe ich mehr Zeit, als in meinem zu Hause in Huggenberg. Ich parke meistens bei den Routiers. Es kommt vor, dass ich es zeitlich nicht schaffe und im Nirgendwo anhalten muss. Dann bewege ich mich in einer Grauzone. Eigentlich ist das verboten. Jedoch bin ich dazu gezwungen, meine Stunden, die das Gesetz vorschreibt, einzuhalten. Wenn man unterwegs in einen Stau geraten ist oder eine Panne hatte, geht das zeitlich nicht immer auf und man muss auf einem Kiesparkplatz am Waldrand parken und dort übernachten. Oder in einem Industriegebiet. Fahre ich über die erlaubte Zeit hinaus weiter, kostet das viel Geld.»
Wilde, freiheitsliebende Ausland-Lkw-Fahrer
«Wichtig ist, dass einem das Alleinsein nichts ausmacht und man sich gut mit sich selbst beschäftigen kann. Ansonsten ist es der Horror, zehn Tage allein unterwegs zu sein. Von meinem Chef erhalte ich den Auftrag und die Adresse, weiss also, von wo nach wo ich die Ware transportieren muss. Für den Rest bin ich selbst verantwortlich und muss alles allein organisieren. Bei der Verzollung kommt es drauf an, wie gut das Ganze vorbereitet ist und ob du all deine Sachen beisammenhast. Manchmal kann das nervenaufreibend sein. Es gibt schlechte Tage, an denen ich es nicht so toll finde, auf der Strasse unterwegs zu sein. Aber solche hat jeder, egal in welchem Job.
Meine Tätigkeit bezeichne ich nicht als normale Arbeit. Es ist eine Leidenschaft, für die ich Geld erhalte. Man muss bedenken, dass ich 60 bis 70 Stunden pro Woche arbeite und davon nur 48 bezahlt bekomme. Oft können wir nicht nach Hause zu unseren Liebsten. Während der Pandemie gingen wir Chauffeure vergessen. Alle Restaurants, WCs sowie Duschanlagen wurden geschlossen und wir zu Selbstversorgern. In unserem Beruf gibt es wirklich einsame Zeiten. Doch die schönen Momente überwiegen eindeutig.
Ein absolut unvergessliches Erlebnis hatte ich, als ich 4000 Kilometer von Daheim in Schweden am Polarkreis unterwegs war. Du fährst stundenlang und es gibt weder Häuser noch Zivilisation, einfach gar nichts – ausser Wildnis. Und plötzlich rennen Rentiere und Elche über die Strasse. Ebenfalls unvergesslich bleibt die erste Fahrt mit dem Lkw ans Meer. Mittlerweile fahre ich fast jede Woche hin und finde es immer wieder faszinierend. Ich stehe jeden Morgen mit einem Lächeln im Gesicht auf, und wenn ich im Lastwagen sitze, ist meine kleine Welt in Ordnung. Es ist fast eine Art Therapie. Ich würde jedem, dem es nicht gut geht, anraten, sich einmal in einen Lastwagen zu setzen und mitzufahren. Allein schon wegen der Perspektive. Es ist anders, dort oben zu sitzen und über alles hinwegschauen zu können.»
Zum Schluss interessiert mich, wie es sich für den Ausland-Lkw-Fahrer anfühlt, tagelang auf den Strassen die Freiheit zu geniessen und dann in den Huggenberg zurückzukehren? Lachend meint Fiechter: «Ich komme immer wieder gerne nach Hause. Es ist mein zweites kleines Paradies. Jedoch dauert es nie lange, dann bekomme ich den Basiskoller. Spätestens nach einer Woche Ferien gehe ich allen auf die Nerven und muss mich entweder in mein Auto setzen, mit der Harley eine Runde drehen oder mich einfach in den Lastwagen begeben. Es ist wie eine Sucht. Hat sie dich einmal in den Bann gezogen, lässt sie dich nicht mehr los.»
VANESSA SACCHET