Vanessa Sacchet im Gespräch mit Daniela Stieger

  23.04.2022 Leute aus der Region

Daniela Stieger, geboren am 11. Oktober 1980 in Hofstetten, wuchs zusammen mit drei Geschwistern auf. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und wohnt in der vierten Generation auf dem Bauernhof. Die gelernte Lebensmittelverkäuferin arbeitet zusammen mit ihrem Mann als Sachbearbeiterin im eigenen Geschäft und rief mit ihrer Arbeitskollegin Bettina Huber im Jahr 2013 eine Wald- und Bauernhofspielgruppe ins Leben.
«Ich spielte schon immer mit dem Gedanken, Kindergärtnerin zu werden. So wie meine Arbeitskollegin Bettina Huber, mit der ich beim selben Arbeitgeber tätig war. So lag es nahe, dass wir in Oerlikon die einjährige Ausbildung zur Spielgruppenleiterin gemeinsam begannen. Diese fand jeweils am Samstag im Alfred Adler Institut (Individualpsychologie SGIPA) statt. Am Ende mussten wir über ein Thema eine Arbeit schreiben. Im September 2011 schloss ich die Ausbildung ab. Bettina begann noch während der Ausbildung in einer Spielgruppe zu arbeiten. Für mich war es zu früh, da ich zum zweiten Mal schwanger war. Ich steckte mitten in der Familienplanung. Im Februar 2012 kam mein Sohn zur Welt.
Bei Bettina in der Spielgruppe gab es eine Veränderung. Da kam die Idee auf, dass wir auf unserem Hof genügend Platz hätten und für mich nun der Zeitpunkt gekommen sei, eine Spielgruppe zu leiten. So wurde das Ganze im Frühling mit Bettina besiegelt, sodass wir im August 2013 starteten. Die Wald- und Bauernhofspielgruppe findet bei uns auf dem Hof statt. Bettina und ich wuchsen beide auf einem Bauernhof auf, wodurch uns die Natur sehr am Herzen liegt. Wir sind überzeugt, dass die Liebe zur Natur, dem Wald und dem Bauernhof die Kinder stärker, mutiger und selbstbewusster macht. Gleichzeitig können sie die Natur mit allen Sinnen erleben und die vielen Geheimnisse von Wald und Bauernhof kennenlernen.
Die Waldspielgruppe findet das ganze Jahr bei jedem Wetter statt. Bei extremen Verhältnissen haben wir einen trockenen Unterschlupf. Unser Gedanke ist, dass wir beides, Bauernhof und Wald, miteinander verbinden möchten. Zuerst starten wir auf dem Hof und gehen anschliessend in den Wald. Die Kinder sind in der Regel drei Jahre alt, teilweise etwas jünger. Es ist gerade im Winter eher streng, draussen zu sein. Die Kinder kommen einmal in der Woche von 8.30 bis 11.30 Uhr zu uns – jeweils am Donnerstag oder Freitag.»

Freude an der Natur

«Wenn die Kinder morgens kommen, starten wir bei unserem Treffpunkt unterhalb des Hofs, wo das Logo unseres Igels ‹Gwunderfitz› auf den Boden gemalt ist. Nach einer kurzen Info sagen wir unser ‹Morgensprüchli› auf und verabschieden uns von den Eltern. Im Morgenkreis auf dem Hof bringen wir den Kindern Themen wie Pflanzen und Tiere näher. Wir erzählten auch schon mal eine Geschichte über den kleinsten Tannenbaum und schauten anschliessend im Wald nach, ob wir ihn finden. Im Herbst begutachteten wir auf einem Plakat Obstbäume und Sträucher, um zu sehen, was für Früchte darauf wachsen. Danach gingen wir auf den Hof und konnten direkt vor Ort die Früchte auf den Bäumen und Sträuchern betrachten. Mit den gesammelten Früchten bereiteten wir im Wald ein Birchermüsli für den Znüni zu.
Auch besitzen wir ein Buch mit den verschiedenen Jahreszeiten, damit sie lernen, dass es jetzt Frühling ist, wonach Sommer, Herbst und Winter kommen. Sie lernen was die Tiere in den verschiedenen Jahreszeiten alles machen. Es ist uns wichtig, den Kindern solche Dinge zu vermitteln. Wir besuchen auch die Zwerggeissen, Zwerghasen, Hühner und Enten hier auf dem Hof. Es wird noch ein wenig Rutschbahn gefahren und geschaukelt, bis wir uns nach dem Morgenritual auf den Weg zu unserem Waldplatz machen.
Die Kinder wissen genau, wohin sie springen dürfen und wo sie auf uns warten müssen. Bevor wir den Wald betreten, begrüssen wir diesen. nach der Ankunft heisst es: Rucksack ablegen und jeder sucht sich einen Platz. Dann haben sie Zeit zu spielen, entdecken, klettern und mit ‹Kesseli, Schüfeli und Garrette› auf Entdeckungsreise zu gehen. Wir bauten ein Waldsofa, das jedoch viel Arbeit benötigte, um es aufrechtzuerhalten. Jetzt haben wir halbe Baumstämme zum Sitzen und einen Holzrugel als Tisch um die Feuerstelle gestellt. Ein Znüni muss nicht mitgebracht werden. Wir möchten den Kindern zeigen, was man hier draussen alles zubereiten kann – ob mit oder ohne Feuer. Im Winter versuchten wir Griess auf dem Feuer zu machen, was uns auch gelang. Nur hatte ihn keines der Kinder gerne und niemand wollte davon essen», meint Stieger lachend und fügt bei: «Da kamen die Cervelats vom Feuer schon besser an.»

Bei jeder Witterung draussen

«Uns ist es wichtig, den Kindern eine gewisse Selbständigkeit zu vermitteln. Wir lernen sie mutiger und sicherer zu werden, gerade wenn sie motorisch noch nicht so weit vorangeschritten sind. Wir möchten ihnen auch die Natur ans Herz legen und aufzeigen, wie schön es ist, einfach draussen zu sein und mit wenig Dingen zu spielen. Wir erleben immer wieder lustige Sachen. So rief einmal ein deutscher Junge, als er einen Regenwurm entdeckte: ‹Ein Erdwurm.› Die Kleinen helfen auch tatkräftig mit und unterstützen uns. Letztens liessen wir einen Sack einfach stehen und ein Mädchen rief: ‹Ihr habt den Sack vergessen.› Es ist schön zu sehen, wie sie mitdenken. Für uns Leiterinnen ist es so, dass wir vieles wieder selbst mit Kinderaugen sehen. Auch die Natur betrachtet man intensiver, bleibt mal stehen oder kriecht auf dem Waldboden herum. Da entstehen viele Momente, in denen man die eigene Kindheit wieder aufleben lässt. Im Winter, wenn es der Schnee zulässt, sind wir oft mit dem Teller-Bob am Schlitteln. Auch Bettina und ich sausen dann den Hügel hinunter. Die Kinder schätzen es sehr, wenn wir auch mitmachen. Ein weiteres Ritual nach dem Aufräumen, so um 11 Uhr, ist das Geschichtenerzählen, bevor wir zum Hof zurückkehren, wo die Eltern warten.»
Ich stelle Daniela Stieger die Frage, wie es für sie sei, zu wissen, dass die Kleinen das Kindergartenalter erreicht hätten und man Abschied von ihnen nehmen müsse. Gibt es da auch Tränen? Die Spielgruppenleiterin meint: «Auf jeden Fall. Plötzlich ist es Sommer und man weiss, dass die Kleinen weiterziehen und nicht mehr in die Spielgruppe kommen. Dann heisst es Abschied nehmen. Nicht nur von den Kleinen, auch von den Eltern, an die man sich ebenfalls gewöhnt hat. Das tut schon weh und gab schon oft ein, zwei Tränen beim Abschied. Vor allem, wenn es supertolle Kinder waren, die einem extrem ans Herz gewachsen sind. Doch wo etwas zu Ende geht, entsteht etwas Neues. Nach den Sommerferien kommen andere Kinder und alles beginnt wieder von vorne. Man lässt sich darauf ein und so ist es immer wieder, Jahr für Jahr, ein Neustart mit neuen Kindern und Eltern, die man kennen- und schätzen lernt.»

VANESSA SACCHET


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