Vanessa Sacchet im Gespräch mit Catharina Maissen
22.04.2023 Aadorf, Leute aus der RegionCatharina Maissen, geboren am 17. Juli 1979 in Niederuzwil, wuchs zusammen mit vier Geschwistern in Aadorf auf. Die gelernte Hebamme ist verheiratet und hat vier Kinder. Über ihren spannenden Beruf, den sie seit mehr als 20 Jahren ausübt, gibt mir die 43-Jährige Auskunft.
Catharina Maissen, geboren am 17. Juli 1979 in Niederuzwil, wuchs zusammen mit vier Geschwistern in Aadorf auf. Die gelernte Hebamme ist verheiratet und hat vier Kinder. Über ihren spannenden Beruf, den sie seit mehr als 20 Jahren ausübt, gibt mir die 43-Jährige Auskunft.
«Als ich mich in der 6. Klasse mit der Berufswahl auseinandersetzte, war für mich klar, dass ich in Richtung Pflege gehen möchte. Es stellte sich dann die Frage, ob ich als Pflegefachfrau auf der Wochenbettstation arbeiten möchte oder als Hebamme im Gebärsaal. Mit 14 Jahren schnupperte ich im Spital Wil und erhielt Einblick in den Gebärsaal. Dort durfte ich bei einer Geburt dabei sein. Mir gefiel, dass ich bei diesem Erlebnis die Eltern betreuen und begleiten durfte. Dieses Wunder gemeinsam mit ihnen zu erleben, war unbeschreiblich. Von da an war mir klar, dass ich Hebamme werden möchte.
Spezielle Vorkenntnisse, um diesen Beruf zu lernen, braucht es nicht. Ich besuchte in Chur die Hebammenschule. Wir hatten immer blockweise über mehrere Monate Schule und besuchten verschiedene Spitäler, um ein paar Monate das Gelernte praktisch umzusetzen. Die Schule dauerte drei Jahre. Heute ist es anders und man benötigt ein Studium an der Fachhochschule. Nach der Ausbildung hatte ich das Glück, dass ich für fünf Jahre im Kantonsspital Frauenfeld im Gebärsaal arbeiten konnte. Danach wechselte ich in ein Privatspital nach Zürich, da ich meinen Horizont als Hebamme erweitern wollte. Wiederum nach fünf Jahren wechselte ich nach St. Gallen in ein Privatspital. Dort arbeite ich nach wie vor seit zwölf Jahren im Gebärsaal und mache nebenbei die Wochenbettbetreuung, wo ich zu den Leuten nach Hause gehe.
Das Spannende an meinem Alltag ist, dass er unglaublich abwechslungsreich ist. Ich bin nicht die Person, die Tag für Tag dieselben Abläufe mag. Es ist toll zu arbeiten und nicht genau zu wissen, was mich erwartet. Seit der Geburt meines vierten Kindes im März vergangenen Jahres, arbeite ich 30 bis 40 Prozent im Spital und 20 bis 30 als freiberufliche Hebamme.»
Jede Geburt ist einzigartig
«Im Spital sind wir im Dreischichtbetrieb engagiert, achteinhalb Stunden pro Schicht. Ich arbeite nur nachts in der Dauernachtwache. Beginnt eine Geburt mitten in der Nacht, kann es vorkommen, dass ich die werdende Mutter begleite und die Geburt bei Schichtende noch nicht stattfand. Dann übernimmt eine Arbeitskollegin. Was mir an meinem Beruf besonders gefällt ist, dass ich nie ausgelernt habe. Ich lerne dauernd dazu, auch nach über 20 Jahren Berufstätigkeit. Das motiviert mich immer wieder aufs Neue.
Bei der Geburtshilfe gibt es nichts, was es nicht gibt, und jede Geburt ist einzigartig. Ich empfinde es als wunderschön, dieses besondere Erlebnis mit den Eltern zu teilen. Der Anspruch an mich selbst ist, diesen speziellen und einzigartigen Moment zu einem noch schöneren Erlebnis für die werdenden Eltern zu gestalten, damit sie das Spital verlassen und die Geburt in guter Erinnerung behalten. Als Hebamme betreue ich die Frauen ab Eintritt ins Spital. Der Arzt selbst ist nur bei der Geburt dabei. Ich betreue die Mütter über die Geburt hinweg. Nach dem Ereignis bleiben sie für zwei Stunden im Gebärsaal, wo wir uns um die Kontrolle des Neugeborenen kümmern, so wie dem Ansetzen beim Stillen. Danach kommen sie aufs Wochenbett, wo sich die Pflegefachfrauen weiter um Frau und Kind kümmern.
Wenn die Frauen in der Region wohnen, ist es so, dass wir freiberuflich bis zu 15 Kilometer Weg auf uns nehmen. Da ich in St. Gallen arbeite und nicht dort wohne, mache ich weniger Nachbetreuung am Wochenbett, sondern kümmere mich eher um Frauen in der Region Aadorf.»
Freud und Leid liegen manchmal nahe beieinander
«Als Hebamme gehe ich drei bis vier Tagen nach der Geburt bei den frischgebackenen Eltern auf Hausbesuch. Dort spüre ich wie es in den verschiedenen Familien abläuft. Was ich zu sehen bekomme ist nicht immer einfach. So lernte ich, eine gewisse Distanz zu wahren und versuche, das Ganze nicht allzu nahe an mich heranzulassen – gerade die tragischen Geschichten. Bei einer Geburt, bei der Komplikationen auftreten, nimmt mich das immer noch mit, auch nach so langer Zeit. Dort Distanz zu wahren fällt mir sehr schwer. Ich bin zu fest mit dem Herzen dabei. Traurige Situationen nehme ich auch mit nach Hause und bange mit der Familie mit. Gerade weil ich selbst Mutter von vier Kindern bin und weiss, was es bedeutet, wenn es einem Kind nicht gut geht. Sterben Babys bei der Geburt, sind das die traurigsten Geschichten, die man als Hebamme miterlebt. Da habe ich dann schon zu beissen.
Ich hatte mal Dienst im Spital als sich eine werdende Mutter meldete, da sie ihr Kind nicht mehr spürte. Wir mussten feststellen, dass es nicht mehr lebte. Hin und wieder kommt das vor. Dann ist man als Hebamme bei der Totgeburt dabei. In solchen Situationen ist es wichtig für mich, mit dem Hebammenteam immer und immer wieder darüber zu sprechen. Auch mein Glaube hilft mir dabei, alles zu verarbeiten. Was mich ganz schnell wieder zurück in die Realität holt, sind meine vier Kinder und die Aufgabe die ich als Mami habe. Ich spaziere sehr oft und gerne im Wald – ob mit oder ohne Kinder.»
Von Catharina Maissen möchte ich wissen, ob es im Spital einen Ort gibt, wo all die Geburtsanzeigekarten aufbewahrt werden. Sie antwortet lachend: «Ja, den gibt es. Sie hängen an verschiedenen Schnüren bei uns im Gebärsaalgang. Zu Hause sieht es anders aus. Als freiberufliche Hebamme bekomme ich unglaublich viele Karten, die ich alle behalte und in einer speziellen Kiste aufbewahre. Nach so vielen Arbeitsjahren ist das eine ganze Menge. Ab und zu muss ich sie wieder aussortieren. Es gibt gewisse Geburten oder Familien, die einem ein Leben lang in Erinnerung bleiben, weil damals eine spezielle Situation oder Bindung entstand. Diese Karten liegen einem besonders am Herzen. Mit Frauen, die ich begleitete, sind vereinzelt wirkliche Freundschaften entstanden, da ihre Kinder im selben Alter sind wie meine.
Als Hebamme habe ich meinen absoluten Traumberuf gefunden. Ich würde ihn jederzeit wieder wählen. Die Idee ist, bis 65 Jahre als Hebamme im Gebärsaal zu arbeiten. Nach der Pension möchte ich ambulant das Wochenbett betreuen und das Grossmuttersein geniessen.»
VANESSA SACCHET