Vanessa Sacchet im Gespräch mit Bruno Wolfer
15.03.2025 ElggBruno Wolfer, geboren am 10. September 1954, wuchs mit drei Geschwistern auf. Der gelernte Spengler Sanitär-Installateur hat drei Töchter. Schon früh war klar, dass er Radrennfahrer werden möchte. Wie es dazu kam, erzählt der heute 70-Jährige.
...Bruno Wolfer, geboren am 10. September 1954, wuchs mit drei Geschwistern auf. Der gelernte Spengler Sanitär-Installateur hat drei Töchter. Schon früh war klar, dass er Radrennfahrer werden möchte. Wie es dazu kam, erzählt der heute 70-Jährige.
«Zum Velofahren bin ich gekommen, weil mein vier Jahre älterer Bruder angefangen hat, im Velo Club in Elgg Rennvelo zu fahren. Sie haben regelmässig Clubrennen veranstaltet, die ich mir anschaute und mit grossem Interesse mitverfolgte. Mir wurde klar, dass ich das ebenfalls machen möchte. An mein allererstes Rennvelo kann ich mich gut erinnern, weil das ein Frust war. Meine Eltern haben es irgendwo gekauft und es war ein furchtbarer Bock, steinalt und nicht mehr zeitgemäss. Ich wollte dieses Fahrrad auf keinen Fall. Ich war 14 Jahre alt, als ich im Jahr 1968 mein allererstes Schülerrennen bestritt und ich besass ein aufgemöbeltes, frischgespritztes Occasion Rennvelo, das von einem Fachhändler kam. Mit diesem Rad fuhr ich höchst motiviert. Für dieses Rennen benötigte man keine Lizenz. 1969 trat ich dem Schweizerischen Radfahrerbund (SRB) bei und löste meine erste Rennlizenz. Eine solche Lizenz war erforderlich, um an offiziellen Rennen teilzunehmen, und es gab verschiedene Lizenzkategorien. 1969 und 1970 besass ich eine sogenannte Anfänger-Lizenz. In den darauffolgenden zwei Jahren fuhr ich mit einer Junioren-Lizenz. Mit 19 Jahren, im Jahr 1973, wechselte ich in die Amateurlizenz-Kategorie. In dieser Kategorie gab es eine grosse Anzahl von Teilnehmern. Die Rennen wurden nach einem Punktesystem bewertet, wodurch man die Möglichkeit hatte, in die Elite-Kategorie aufzusteigen. Dank guter Platzierungen und weil ich dreimal unter den ersten fünf landete, konnte ich bereits während der Saison in die Elite-Kategorie aufsteigen, und das noch vor meinem 19. Geburtstag. Damals hatte ich noch keine konkreten Pläne, eines Tages Radprofi zu werden».
Vom Amateur zur Profikarriere: Mein Durchbruch im Radsport
«Für mich ging es im Radsport stetig bergauf. Schon bei meinem ersten Eliterennen fuhr ich im Vereinstrikot mit und schaffte es überraschend, in die Spitzengruppe zu gelangen. Niemand kannte mich, doch ich hielt entschlossen meine Position und konnte mit den stärksten Fahrern mithalten. Dieses Rennen war mein Durchbruch. Direkt danach wurde ich in einen etablierten Rennstall aufgenommen, die sogenannte Elitesport-Gruppe, die höchste Amateurklasse. Dort fuhr ich die nächsten drei Jahre im Trikot des Peugeot-Teams und konnte mit soliden Ergebnissen punkten. Der nächste grosse Schritt folgte 1976 im Etappenrennen GP Wilhelm Tell. Dieses Rennen gilt als eine Art Tour de Suisse für Elite-Amateure. Ich fuhr im Team Schweiz 3 und beendete das Gesamtklassement nach acht Etappen auf dem zweiten Rang, nur acht Sekunden hinter dem Erstplatzierten. Alle anderen Schweizer Fahrer lagen Minuten hinter mir. Aber mich haben Sie nicht an die Olympiade in Montreal mitgenommen. Rückblickend könnte dies an einem Konflikt mit dem Nationaltrainer gelegen haben. Denn kurz vor dem Start des GP Wilhelm Tell bot er mir an, im Team Schweiz 1 zu fahren. Doch ich lehnte ab und sagte: «Nein, ich bin bei Schweiz 3 und da bleibe ich». Das war wohl zu viel für den Trainer. Dass ich schliesslich nicht zur Olympiade nach Montreal gehen konnte, war schon eine Enttäuschung. Doch lange getrauert habe ich nicht. Kurz darauf erhielt ich einen Anruf von Roland Salm, einem Schweizer Profirennfahrer in Italien, den ich bereits kannte. Er meinte: ‹Bruno, du kannst Profi werden und nach Italien kommen.› Ich zögerte keine Sekunde und kündigte sofort meine Stelle bei Fredi Lattmann, wo ich als Spengler und Sanitär-Installateur tätig war. Fredi hatte mir bis dahin grosszügig Freiheiten für Wettkämpfe in Frankreich, Italien, Spanien und Schottland gewährt, aber nun war klar, ich wollte den nächsten Schritt wagen und Profi werden. Am 26. Juli 1976 fand das Olympische Strassenrennen ohne mich statt. Doch nur wenige Tage später, am 1. August 1976, feierte ich beim Rennen in Gippingen mein Profidebüt. Ein neuer Abschnitt meiner Karriere hatte begonnen».
Triumphe bei der Tour de Suisse und Genfersee-Rundfahrt 1977
«Ein besonderes Highlight meiner Karriere war die Tour de Suisse im Jahr 1977. Ich gewann die Etappe, die von Flums nach Effretikon führte. Die Strecke verlief über Wildhaus, Wattwil, über den Rickenpass nach Wald und ins Tösstal, also direkt durch meine Heimat. Über das «Gyrenbad» ging es schliesslich zum Ziel in Effretikon. Die entscheidende Flucht ereignete sich in der Steigung von Wald nach Gibswil. Ich attackierte und konnte mich gemeinsam mit einem Spanier und einem Italiener vom Hauptfeld absetzen. Wir harmonierten gut und hielten ein hohes Tempo. Damals war die Kommunikation während der Rennen noch sehr begrenzt. Kurz vor dem Restaurant Gyrenbad hörte ich vom Lautsprecher des Informationstöffs, dass das Hauptfeld in Turbenthal wegen einer geschlossenen Bahnschranke aufgehalten wurde. In diesem Moment wusste ich, wir haben eine echte Chance, es ins Ziel zu schaffen. Die Aussicht auf einen Etappensieg gab mir zusätzlichen Antrieb. Entlang der Strecke jubelten mir viele Zuschauer, darunter die Schulklasse Kernen aus Elgg zu, was mich noch mehr beflügelte. Im Zielsprint konnte ich mich schliesslich durchsetzen und feierte einen der bedeutendsten Siege meiner Karriere. Dieses Erlebnis gehört zu den schönsten Momenten meines Lebens. Im selben Jahr gelang mir ein weiterer prestigeträchtiger Erfolg. Der erste Profisieg bei der Genfersee-Rundfahrt, einem bekannten Frühlingsrennen. Damals wurden in der Schweiz sogenannte Handicap-Rennen ausgetragen, bei denen Amateure und Profis zwar gemeinsam starteten, aber zeitlich versetzt losfuhren. Die Strecke führte rund um den Genfersee und durch die Weinberge bei Rolle. Vor einem Anstieg in Richtung Genf setzte ich mich mit zwei Amateuren vom Feld ab. Es kam zu einem packenden Schlusssprint, bei dem ich mich durchsetzen konnte. Dieser Sieg rundete ein erfolgreiches Jahr für mich ab».
Eine Rückkehr zu den Anfängen
«Als ich in den Jahren 1976 bis 1983 Profi wurde, fuhr ich zunächst für das italienische Team Zonca-Santini und anschliessend zwei Jahre für das starke Team Bianchi Piaggio in Italien. Dort nannten sie mich Lupo, was Wolf heisst. Ich feierte zwei schöne Siege, aber mein bedeutendster Erfolg war der Etappensieg beim Giro d’Italia am 24. Mai 1979. Es war die längste Etappe mit 260 Kilometern. Die ersten 100 Kilometer waren nicht spannend, da niemand wirklich fahren wollte, aber nach einem Prämiensprint zogen wir zu zweit los, noch lange 160 Kilometer bis ins Ziel. Zeitweise hatten wir 17 Minuten Vorsprung. Ich trug theoretisch das Maglia Rosa. Der finale Anstieg führte nach Chieti in den Abruzzen. Mein Begleiter konnte mir nicht mehr folgen, und ich konnte solo die 6. Etappe für mich entscheiden. Das war sensationell. In den Jahren 1975 bis 1982 vertrat ich die Schweiz achtmal bei den Strassen-Weltmeisterschaften, mit Platzierungen auf den Rängen 9, 14, 15, 16. Ich war stolz auf diese Leistung. 1982 wechselte ich in die Schweiz zum neu gegründeten Team Royal Wrangler, ich wollte mich mal wieder mit meinen Teamkollegen in Schweizerdeutsch unterhalten. 1983 im Team Eorotex schien jedoch nichts mehr so richtig zu funktionieren und während der Saison erhielten wir schliesslich keinen Lohn mehr, was meine Motivation stark beeinträchtigte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits eine Familie und zwei Kinder. So wie ich meine Karriere begonnen hatte, so beendete ich sie auch. Nach meinem letzten Rennen in Lausanne stand ich am darauffolgenden Montag wieder vor der Werkstatt von Fredi Lattmann, wie früher, im «Übergwändli». Rückblickend hat alles gepasst und ich habe nichts vermisst. Noch heute verfolge ich die Radrennen nach wie vor mit grossem Interesse und bin stets auf dem neuesten Stand. Meine Verbindung zu diesem Sport ist unerschütterlich und wird immer ein fester Teil meines Lebens bleiben».
VANESSA SACCHET