Vanessa Sacchet im Gespräch mit Bruno Holliger
12.04.2025 Leute aus der Region, RegionBruno Holliger, geboren im Dezember 1979 in Baar, wuchs zusammen mit seinem Bruder und seiner Schwester auf einem Bauernhof auf. Der gelernte Informatikingenieur lebt in einer Partnerschaft. Er ist ehrenamtlich im gemeinnützigen Verein Rehkitzrettung Schweiz als Drohnenpilot im ...
Bruno Holliger, geboren im Dezember 1979 in Baar, wuchs zusammen mit seinem Bruder und seiner Schwester auf einem Bauernhof auf. Der gelernte Informatikingenieur lebt in einer Partnerschaft. Er ist ehrenamtlich im gemeinnützigen Verein Rehkitzrettung Schweiz als Drohnenpilot im Einsatz. Das Ziel ist, so viele Rehkitze wie möglich vor dem Mähtod zu bewahren.
«Der Verein Rehkitzrettung Schweiz wird hauptsächlich durch Spenden und Stiftungen finanziert. Zusätzlich wird er von Gönnern mit jährlichen Beiträgen unterstützt. Wir erhalten keine Subventionen oder Zuwendungen vom Bund oder Kanton. Lediglich der Zürcher Bauernverband leistet eine Pauschale von 250 Franken pro Drohnenpilot, der im Kanton Zürich aktiv ist. Dennoch basiert die Arbeit des Vereins grösstenteils auf ehrenamtlichem Engagement. Im Jahr 2017 kaufte ich mir eine Drohne, zunächst als Hobby. Der Preis für ein solches Fluggerät mit Wärmebildkamera kann schnell bei 6000 Franken liegen. Mit der Zeit wurde es mir zu eintönig, nur damit herumzufliegen und Fotos zu machen. Ich begann nach einer sinnvollen Einsatzmöglichkeit zu suchen und stiess dabei auf die Rehkitzrettung Schweiz. Damals war der Verein noch sehr klein, da er erst 2017 gegründet wurde. Im Jahr 2018 setzte ich mich intensiver mit dem Thema auseinander und sorgte dafür, dass meine Drohne alle erforderlichen technischen Voraussetzungen erfüllte, insbesondere die Ausstattung mit einer Wärmebildkamera. Vor zwei Jahren wurden die EASA-Richtlinien aus der EU übernommen. Seitdem ist es erforderlich, eine Online-Prüfung des Bundesamtes für Zivilluftfahrt abzulegen. Diese Prüfung bildet die Mindestvoraussetzung, um ein grundlegendes Verständnis für die Thematik in Bezug auf den gesetzeskonformen und sicheren Betrieb einer Drohne zu erlangen».
Effiziente Rehkitzrettung durch Zusammenarbeit und Technologie
«Beim Einsatz von Drohnen zur Rehkitzrettung fliegt man nicht einfach wahllos über ein Feld. Stattdessen folgt die Drohne einem vorprogrammierten GPS-gestützten Flugmuster, um sicherzustellen, dass das gesamte Feld systematisch abgesucht wird. Um dieses Verfahren zu erlernen, bietet unser Verein eine kostengünstige Ausbildung mit 9 Modulen an. Das wichtigste Element der Rehkitzrettung ist die Zusammenarbeit zwischen drei Partnern. Der Landwirt ist gesetzlich verpflichtet, Massnahmen zu ergreifen, damit er keine Wildtiere gefährdet, wenn er mit der Mähmaschine in ein Feld fährt. Die Jägerschaft unterstützt die Landwirte seit Jahren bei der Wildtierrettung, da man nicht einfach ein Rehkitz aufnehmen darf. Und der Drohnenpilot setzt modernste Technik ein, um Rehkitze aufzuspüren und so deren Leben zu retten. Diese enge Zusammenarbeit bringt für alle Beteiligten Vorteile. Man kann auch mit herkömmlichen Mitteln wie dem Verblenden arbeiten. Man steckt Fahnen ins Feld, was Unruhe bringt, und die Rehgeiss veranlasst, ihre Kitze aus dem Feld zu führen. Der zusätzliche Einsatz von Drohnen macht die Suche deutlich effizienter und präziser. Die Rettung von Rehkitzen hat nicht nur einen ethischen, sondern auch einen wirtschaftlichen Aspekt. Wird ein Kitz beim Mähen übersehen und verletzt, ist dies eine emotionale Belastung für den Bauern, denn das Quietschen und Fiepen eines verletzten Kitzes geht durch Mark und Bein und kann einen für lange Zeit beschäftigen. Noch gravierender sind die Folgen, wenn ein Kadaver ins Silofutter gelangt und sich Botulinumtoxin bildet. Die Rinder können sterben, wenn sie damit gefüttert werden. Ein solcher Vorfall hätte schwerwiegende wirtschaftliche Konsequenzen für den Betrieb. Durch den Einsatz von Drohnen in Kombination mit der engen Zusammenarbeit von Landwirten und Jägern kann eine effiziente und nachhaltige Rehkitzrettung gewährleistet werden und ist eine Win-win-Situation für alle Beteiligten».
Koordinierte Einsätze, Präzision und Leidenschaft
«Jeder Einsatz zur Rehkitzrettung erfolgt über die zuständige Jagdgesellschaft. Im Kanton Zürich gibt es das System der Revierjagd, bei dem eine Jagdgesellschaft für ein festgelegtes Gebiet verantwortlich ist. Ich bin in den Revieren Hegiberg und Schlatt im Einsatz. Gibt es ein Feld, das gemäht werden muss, sollte sich der Landwirt frühzeitig bei der Jagdgesellschaft melden. Diese koordiniert den Einsatz mit dem Drohnenpilot und legt die Prioritäten für die zu durchsuchenden Felder fest. Am Morgen des Einsatzes gehen ich als Drohnenpilot mit dem Jäger vor Ort. Die Aufgabenverteilung ist klar geregelt. Ich als Drohnenpilot bin für den technischen Einsatz verantwortlich, stelle sicher, dass die Akkus geladen sind, die Drohne einsatzbereit ist und alle erforderlichen Bewilligungen vorliegen. Der Jäger Tobias Henne übernimmt die eigentliche Rettung. Wird ein Rehkitz gefunden, wird es vorsichtig in eine Kiste gesetzt und am Rand des Feldes gesichert, um es vor der Mähmaschine zu schützen. Anschliessend sollte es jedoch so schnell wie möglich wieder freigelassen werden. Entscheidend ist, dass das Mähen unmittelbar nach dem Drohnenflug erfolgt. Sobald der Landwirt damit fertig ist, kehrt Tobias zurück, öffnet die Kiste und gibt einen Fiepton ab. Entweder mit einem Grashalm oder einer Pfeife. Die Mutter, die sich stets in der Nähe aufhält, kommt daraufhin und holt ihr Junges ab. Besonders eindrücklich war für mich meine erste Rehkitzrettung im Jahr 2019. Das war ein unglaublich schönes Gefühl, ein Tier vor dem sicheren Tod zu bewahren. Unsere Einsätze beginnen oft mitten in der Nacht. Der früheste Rettungseinsatz, an den ich mich erinnere, startete bereits um 1 Uhr morgens, weil so viele Einsätze anstanden. In der Regel sind wir jedoch zwischen 3.30 und 4 Uhr unterwegs. Danach geht man am Morgen ins Büro und denkt sich: Hey, was habt ihr so gemacht bis jetzt? Ich habe bereits drei Rehkitze gerettet. Das ist schon eine sehr coole Sache».
Herausforderungen und Erfolge beim Schutz junger Wildtiere
«Es gibt auch Momente, in denen es schwierig ist, mit der Drohne Rehkitze zu entdecken. Die Wärmebildkamera ist kein Röntgengerät, sodass Hindernisse wie überhängende Äste am Waldrand die Sicht beeinträchtigen können. In solchen Fällen ist besondere Sorgfalt gefragt. Entweder muss der verdeckte Bereich zu Fuss abgesucht oder die Drohne aus einem anderen Winkel gesteuert werden. Unsere Arbeit ist immer eine Momentaufnahme. Ein Feld kann zum Zeitpunkt der Suche frei von Kitzen sein, doch bereits wenige Stunden später kann sich die Situation ändern. Deshalb ist es entscheidend, dass der Landwirt so bald wie möglich mit dem Mähen beginnt, nachdem wir das Gebiet überprüft haben. Bestimmte Witterungsbedingungen können den Drohneneinsatz erheblich erschweren oder unmöglich machen. Bei direkter Sonneneinstrahlung speichern viele Objekte Wärme und reflektieren sie in der Wärmebildkamera. Maushügel, Steine oder grosse Blätter können dann als potenzielle Treffer erscheinen, was die Suche unzuverlässig macht. Deshalb starten unsere Einsätze in den frühen Morgenstunden, wenn der Boden noch kühl ist und sich die Wärmequellen klarer abheben. Trotz aller Sorgfalt kann es vorkommen, dass pro Jahr und Team im Durchschnitt ein Rehkitz vermäht wird. Im vergangenen Jahr hatten wir jedoch grosses Glück in unseren Revieren und es kam kein einziges Tier zu Schaden. Wie viele Rehkitze gefunden werden hängt von vielen Faktoren ab, darunter das Wetter und die natürliche Verteilung der Tiere. In manchen Gebieten gibt es viele Rehkitze, in anderen deutlich weniger. Daher lässt sich die Leistung eines Rehkitzretters nicht allein an der Anzahl der geretteten Tiere messen. Wichtig ist, dass man sich engagiert und seinen Beitrag leistet. Unser Verein hat gesamtschweizerisch im Jahr 2024 beeindruckende Zahlen erreicht: 5159 gefundene Rehkitze, 4620 Einsatztage und 42’389 abgeflogene Hektaren. Darüber hinaus gibt es auch andere Drohnenpiloten und Teams, die nicht Teil der Rehkitzrettung Schweiz sind, aber ebenfalls tatkräftig zum Schutz der Rehkitze beitragen».
VANESSA SACCHET