Vanessa Sacchet im Gespräch mit Blanka Lang

  13.08.2022 Leute aus der Region

Blanka Lang, geboren am 22. Januar 1975 in Brünn, Tschechien, wuchs zusammen mit ihren zwei Brüdern auf. Sie absolvierte das KV sowie die Berufsmaturitätsschule und besuchte danach für ein Jahr eine Sprachschule in Melbourne, Australien. Dort lernte sie ihren Mann Oliver kennen und lebt seit März 2000 in Elgg. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder.
«Ich studierte in Tschechien an der Universität. Eines der Fächer war Englisch. Da ich mich in dieser sprache verbessern wollte, machte mein Bruder den Vorschlag, ich soll doch für ein halbes Jahr die Universität unterbrechen, um die Sprache irgendwo im Ausland zu intensivieren. So entschied ich mich, 1999 in Melbourne eine Schule zu besuchen, wo ich im ersten Monat bei einer Gastfamilie wohnte. Später zog ich in eine Wohngemeinschaft (WG), die bunt mit Leuten aus aller Welt gemischt war – aus Brasilien, Russland, Slowakei und Tschechien. Damals besuchten sehr wenige europäische Studenten diese Schule. Viele kamen aus Japan und anderen asiatischen Ländern. So fiel ein europäisches Gesicht natürlich auf.
Oliver Lang war aus Elgg und besuchte seinen besten Kollegen, der in Melbourne bei einer Bank arbeitete. Er dachte sich, wenn er schon hier ist, möchte er die Zeit nutzen, um Englisch zu lernen, und besuchte einen Sprachkurs für Anfänger. So begegneten wir uns in der Schule zum ersten Mal. In der Nähe gab es ein Pub, wo sich die Studenten immer trafen. Oliver konnte zwar kaum englisch sprechen, war aber immer der lauteste und lustigste. Wir lachten viel zusammen, obwohl wir eigentlich gar nicht richtig miteinander kommunizieren konnten. Wie sagt man so schön? Wenn man möchte, kann man sich mit Händen und Füssen verständigen. Genau das tat er. Oliver schaffte es, sich auf diese Weise mit allen zu unterhalten. Er faszinierte mich einfach mit seiner Art.»

Es war Liebe auf den zweiten Blick

«Oliver warf eigentlich ein Auge auf meine Kollegin und versuchte mit ihr in Kontakt zu treten. Er kam oft in unsere WG. Sie hatte jedoch nicht wirklich Interesse an ihm und war meistens gar nicht hier, wenn er zu Besuch kam. Das tat mir leid für ihn und so unterhielt ich mich jeweils mit ihm. Er kam immer wieder zu Besuch und wir verstanden uns gut. Irgendwann meinten meine Mitbewohnerinnen, dass er wegen mir komme und nicht mehr wegen meiner Kollegin. So entstand unsere Beziehung», erinnert sich Blanka Lang zurück.
«Nach dem Semester entschieden wir uns, um die Weihnachtszeit für einen Monat gemeinsam in Australien herumzureisen. Oliver kaufte ein Occasionsauto und wir fuhren von Melbourne die Ostküste hoch – nach Sydney, Brisbane, Surfers Paradise und vielen anderen Orten, wo wir Halt machten, wenn es uns gefiel. Wir fuhren hoch bis nach Cairns. Als wir wieder zurückreisen wollten, wurden wir von der Regenzeit überrascht. Die Strassen waren komplett überflutet und machten eine Rückreise unmöglich. Ich hatte meinen Rückflug in die Tschechei für Januar bereits gebucht und Angst, dass wir es nicht rechtzeitig schaffen. Da kam Olivers Kollege Tobias ins Spiel, der uns zwei Flugtickets von Darwin nach Melbourne organisierte.
Oliver flog zurück in die Schweiz und ich nach Tschechien, wo ich im März Mit dem Semester an der Uni beginnen wollte. Ich hatte also noch zwei Monate Zeit und Oliver fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, diese Zeit bei ihm in der Schweiz zu verbringen. Ich könnte hier eine Sprachschule besuchen, um ein wenig Deutsch zu lernen. So kam ich im März 2000 nach Elgg und besuchte in Zürich die Benedict-Sprachschule. Schliesslich schmiss ich dann all meine Pläne über Bord und blieb hier. Aus zwei Monaten wurden 20 Jahre.»

Das Leben in der Schweiz war eine grosse Umstellung

«Als ich das erste Mal in die Schweiz kam, war das ein grosser Schock! In Australien ist jeder mit jedem befreundet. Wenn ich sagte, dass ich aus Tschechien komme, konnten sie sich nicht richtig vorstellen, wo genau das ist. Wenn ich sagte, dass ich aus Europa komme, war das für viele Australier ein Traum. Ich musste ihnen erzählen, wie es in der Tschechei ist, und sie wollten Fotos von meiner Heimat sehen. Ich fühlte mich dort sehr wohl, hier war das Gegenteil der Fall. Man schaute negativ auf mich und bezeichnete mich als die aus dem Ostblock. So fühlte ich mich am Anfang überhaupt nicht wohl. Als ich deutsch sprechen und mich selbst verständigen konnte, bekam ich es noch mehr zu spüren.»
Auf meine Frage, ob irgendwann Zweifel aufgekommen seien und sie sich ernsthaft Gedanken gemacht hätte, wieder nach Tschechien zurückzukehren, meint sie: «So weit wäre es vielleicht gekommen, wenn ich nicht die Unterstützung und den Halt von Olivers Familie bekommen hätte. Mein Mann und seine Eltern gaben mir nie das Gefühl, unerwünscht zu sein. Ich war für sie einfach Blanka. Meine Schwiegermutter hat auch Wurzeln in Tschechien. Ihr Urgrossvater kam aus Prag. Sie war immer herzlich zu mir. Das war das was mich hier hielt.
Zu Beginn sprachen alle englisch mit mir. Sobald sie merkten, dass ich in der Sprachschule deutsch lernte, waren sie strenger und sprachen nur noch deutsch. Mittlerweile sprechen sie nur noch schweizerdeutsch und sind der Meinung, dass ich das lernen muss. Sie sind alle sehr lieb zu mir. Es war eher die breite Öffentlichkeit, die nicht so nett war. Hier in Elgg kennt jeder jeden, weshalb man anfangs vielleicht einem fremden Menschen gegenüber etwas reservierter ist.»

In der Schweiz zu leben, bereute sie nie

«Früher war ich oft mit meinem Mann und den Kindern in Tschechien in den Ferien, um meine Mutter und meinen Bruder zu besuchen. Heute ist es nicht mehr so. Meine Mutter verstarb vor fünf Jahren und seit unsere Kinder zur Schule gehen, wurden die Besuche weniger. Auch als sie mehr im Faustball involviert waren, wurde es immer schwieriger, Zeit zu finden. Mein Bruder besucht uns mit seiner Familie meistens hier – aber leider auch nicht mehr so regelmässig wie früher. Während der Coronazeit kamen mein Bruder, meine nichten und Neffen für eine Woche zu uns in die Schweiz. Niemand hatte Verpflichtungen und Termine, weshalb wir die Zeit gemeinsam geniessen konnten. Telefonisch jedoch bin ich ständig mit ihm in Kontakt.»
Dass sie damals in die Schweiz kam und blieb, bereue sie auf keinen Fall. Sie sagt: «Nachhinein ist es immer schwierig zu sagen, was gewesen wäre, wenn ich mich nicht zu diesem Schritt entschieden hätte. Das werde ich nie erfahren. Ich versuche immer das Positive zu sehen und bin glücklich hier in der Schweiz. Zum jetzigen Zeitpunkt könnte ich mir nicht vorstellen für immer nach Tschechien zurückzugehen, um dort zu leben. Meine Kinder sind hier in der Schweiz und mein Herz da, wo sie und meine Familie sind.
Mein Bruder und meine Mutter waren ein starker Anhaltspunkt, um die Ferien immer wieder in Tschechien zu verbringen. Jetzt ist es wie erwähnt so, dass mein Bruder mit seiner Familie gerne in die Schweiz kommt. Für meine Mutter war es früher immer eine lange Reise hierher. So ging ich für sie nach Hause. Inzwischen lebe ich seit 22 Jahren in der Schweiz. Das ist eine lange Zeit. Wenn ich in Tschechien bin, merke ich, dass sich das Land entwickelte. Ich denke, ich bin keine richtige Tschechin mehr, obwohl ich mich tief im Herzen als solche fühle. Aber die lange Zeit, die ich nicht dort verbrachte, fehlt. Mein Bruder meint: ‹Sag niemals nie. Man weiss nicht, wie es ist, wenn du alt bist. Vielleicht kommst du zurück zu deinen Wurzeln.› Aus heutiger Sicht werde ich bestimmt nicht für immer zurückgehen. Was die Zukunft bringt, weiss niemand. Die Schweiz ist zu meiner zweiten Heimat geworden. Sie ist neben Tschechien das Land, in dem ich am längsten lebe.»

VANESSA SACCHET


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote