Vanessa Sacchet im Gespräch mit Andri Brühwiler

  19.02.2022 Region

Andri Brühwiler, geboren am 2. Juli 1974 in Basel, wuchs als Ältester mit einer Schwester und einem Bruder auf. Er ist verheiratet, hat zwei Töchter, wohnt in Schlatt und absolvierte ein Studium als Geograph an der Universität Zürich. Zum Jahreswechsel 2010/11 fuhr er zusammen mit einem Kollegen in einem alten Saurer-LKW durch den Nahen Osten und Afrika. Wie es dazu gekommen ist, erzählt der 47-Jährige im Gespräch.
«Als Geograph reiste ich schon immer gerne, suchte das Abenteuer und unternahm spezielle Dinge. Ende der 90er-Jahre kaufte ich mit meiner damaligen Partnerin einen alten Land Rover, da wir uns als Studenten nichts anderes leisten konnten. Wir wollten Afrika entdecken und fuhren im Jahr 2003 mit der Fähre nach Tunesien. Von dort ging es durch die Sahara nach Algerien, hinunter bis nach Westafrika, der Küste hoch nach Mauretanien und wieder zurück. Wir waren vier Monate unterwegs und lernten auf der reise einen Engländer kennen, der mit seiner Frau ebenfalls in einem Land Rover unterwegs war. Man trifft in der Sahara nicht auf viele Leute. Schon gar nicht auf solche, die mit dem gleichen Gefährt unterwegs sind. So hielten wir an und tauschten uns aus. Irgendwie entstand daraus eine Freundschaft.
Raf besass eine Tauchschule in Tansania und war viel auf Reisen. Er pendelte oft zwischen den Wohnsitzen Tansania, London sowie Istanbul und schaute jeweils, dass er in Zürich einen Zwischenstopp einlegen konnte. Wir tranken dann zusammen einen Kaffee und sassen für ein paar Stunden zusammen. Meistens sprachen wir über das Reisen und fanden, dass wir gemeinsam mal etwas planen könnten. Beiläufig erzählte ich ihm, dass die Armee ihre alten Saurer-2DM verkaufen würden und ein solcher doch etwas für uns wäre. Er fand ich soll dranbleiben. Als er das nächste Mal in Zürich war, hatte ich in Burgdorf bereits einen gefunden.
Zusammen gingen wir ihn anschauen und kauften den Lkw für 2000 Franken. Wir suchten nach einem kostengünstigen Parkplatz und fanden einen im Industriegebiet Wetzikons. Dort stellten wir ihn ab, da wir noch keinen Reiseplan hatten. Ich malte das Fahrzeug zusammen mit meiner Partnerin sandgelb an. Wir fanden die Farbe cool, doch sie stellte sich später beim Grenzübertritt von der Türkei nach Syrien als Problem heraus. Die Syrer wollten uns nicht reinlassen, weil sie meinten, unser LKW sehe aus wie die amerikanischen Militärfahrzeuge. Wir mussten also den Lastwagen umspritzen lassen, was uns 200 Dollar kostete», erinnert sich Brühwiler lachend zurück.

Drei Tage auf die Ankunft des Saurers gewartet

«Bei der Routenplanung war für uns klar, dass wir nach Tansania zur Tauchschule von Raf fahren werden – zur Insel Pemba, nördlich von Sansibar. Raf benötigte dort den Lkw, um seine Boote zu transportieren. Die Visa für Syrien und den Sudan besorgten wir im Voraus. Zusammen mit Reto, einem Freund aus Zürich, fuhr ich von Wetzikon bis nach Istanbul, wo Raf zustieg und Reto nach Hause zurückkehrte. Von Istanbul ging es durch die Zentraltürkei nach Aleppo in Syrien und weiter nach Palmyra – eine Wüstenstadt mit sagenhaften römischen Ruinen. Von dort aus fuhren wir südwärts nach Damaskus, in Jordanien nach Akaba am roten Meer, wo wir mit dem Lkw auf die Fähre mussten.
Da die Armeelastwagen rechts gesteuert sind und man sozusagen auf der falschen Seite sitzt, war es verboten, so durch Israel zu fahren. Wir Waren im Sinai in Ägypten, fuhren rüber zum Nil und von dort runter bis nach Assuan zum Nasser-Stausee. Von dort aus durften wir nicht über den Landweg in den Sudan einreisen und mussten erneut die Fähre nehmen. Wir wussten, wenn man mit dem Auto auf eine Fähre geht, kostet es 200 Franken. Mit dem Lkw waren es aber satte 4000. Wir konnten sie auf 2000 Franken herunterhandeln. Schlussendlich war uns klar, weshalb es so viel kostete: Es mussten extra zwei Matrosen und ein Kapitän mit seiner Barke kommen und die Fahrt dauerte vier Tage.
In Wadi Halfa warteten wir drei Tage auf die Ankunft unseres Saurers, der auf der langsamen Barke unserem schnelleren Passagierschiff folgte. Von dort ging es durch den Sudan zur Hauptstadt Khartum, dann rüber nach Äthiopien und im Zickzack runter bis nach Kenia. Zu Beginn waren wir nicht sicher, ob wir es bis dahin schaffen würden, da wir ein Zeitfenster von zehn Wochen hatten. Schlussendlich erreichten wir Nairobi, das Ende unserer Reise. Den Lkw liessen wir vorläufig dort stehen, denn Raf holte ihn zu einem späteren Zeitpunkt ab und nahm ihn mit nach Tansania.»

Erlebnisse die unvergessen bleiben

«Auf dem Weg bis nach Ägypten fielen wir nicht auf. Man ist sich gewöhnt, dass Leute unterwegs sind. Je weiter südlicher wir kamen und je abgelegener wir unterwegs waren, desto mehr wurden wir zur Attraktion. Im Sudan fielen wir auf und in Äthiopien erst recht. Sowie im Norden von Kenia, wo die Leute in sehr ärmlichen Verhältnissen leben. Wir fuhren dort über einen Grenzübergang, wo vor drei Wochen zuletzt ein Auto vorbeifuhr.»
Auf die Frage, ob es Momente gab, in denen sie am liebsten aufgegeben hätten und mit dem nächsten Flieger nach Hause geflogen wären, lacht Andri Brühwiler und meint: «Ja, die gab es auf jeden Fall. Das verrückte war: Wir stellten uns darauf ein, dass es mit grösserer Entfernung von daheim immer schwieriger werden würde. Ich kannte es von früher, dass man bei afrikanischen Grenzübergängen schon mal ein bis zwei Tag am Diskutieren ist. Aber es war genau andersrum: Die ersten Diskussionen fanden an der Grenze zu Österreich statt, weil die Grenzbeamten nicht verstehen konnten, das private Leute ohne Frachtpapiere mit einem Lastwagen kommen. Wir hatten eine Kiste Ersatzteile dabei, einen Koffer und zwei Matratzen. Es gab ein stundenlanges hin und her, bis uns am Schluss einer entnervt einen Stempel mit ‹Umzugsgut› erteilte und wir die Grenze passieren durften. Das war absolut merkwürdig.

Das grösste Theater gab es aber zwischen Bulgarien und der Türkei, wo wir eine ganze Woche feststeckten, weil es ebenfalls darum ging, dass wir keine Frachtpapiere besassen. Sie fragten, was wir überhaupt hier machen würden? Meine Argumentation, das Fahrzeug wäre einfach ein BMW mit einem grossen Kofferraum, fanden sie nicht witzig. Die schönen Erinnerungen überwiegen jedoch: Wir hielten dort, wo es uns gerade gefiel und übernachteten meistens im Lkw. Wir hatten einen kleinen Kocher dabei, machten mal eine Suppe oder kochten Hörnli. Meistens assen wir unterwegs in Strassenrestaurants. In Erinnerung blieb mir das Essen im Sudan. Morgens standen wir auf und fuhren zu einem Truck-Stopp. Dort gab es Ful, ein Gericht aus Bohnen, das zum Frühstück gegessen wird und ausgezeichnet schmeckt.»

In Äthiopien blühte das Leben

«Äthiopien gefiel mir wahnsinnig gut. Zuvor waren wir in den muslimischen Ländern unterwegs. Man geht am Abend nicht oft raus und die Frauen sind zu Hause. Es gibt zwar Cafés, doch am Abend leeren sich diese. Das Leben funktioniert anders als in der Schweiz, was nicht wertend gemeint ist. Im Sudan herrschte damals eine angespannte Stimmung, weil die Abtrennung nord-Süd bevorstand. Als wir von dort nach Äthiopien kamen, blühte hier das Leben. Es gab Partys, Restaurants, alles war bunt und die Leute farbig gekleidet. Dieser Kontrast war enorm.»
Was er von diesen zehn Wochen mitnahm, frage ich ihn. «Also sicher keine Lebensphilosophie. Es machte unheimlich Spass, war aber sehr teuer – viel teurer als wir gedacht hatten. Ein grosser Kostenpunkt war das Benzin. Die Militär-2DM sind mit kleinen Tanks von etwa 180 Litern Fassungsvermögen bestückt. Damit kamen wir nicht sehr weit. Wir liessen in der Türkei einen 600-Liter-Tank anbringen, was sich an der Tankstelle bemerkbar machte. Eine einzige Füllung kostete 1000 Franken. Damit kamen wir jedoch ziemlich weit. Ab Syrien kostete der Treibstoff dann fast nichts mehr.»
Andri Brühwiler erinnert sich gerne an die Reise zurück und fasst zusammen: «Raf und ich verstanden uns sehr gut und es gab nie Streit zwischen uns. Er kam nach der Reise noch ein paar Mal nach Zürich, wo wir uns zum Kaffeetrinken verabredeten. Dann bekamen meine Frau und ich Kinder und er verkaufte seine Tauchschule. Unsere Lebensmittelpunkte verschoben sich, jedoch halten wir immer noch sporadisch Kontakt.» Auf meine Frage, ob er bereits wieder eine Reise geplant hätte, lacht er laut und meint: «Auf jeden Fall. Uns geht es hier in der Schweiz wahnsinnig gut und unsere Kinder leben mit der Vorstellung, dass es für alle Leute auf dieser Welt so ist. Wir möchten ihnen gerne zeigen, dass es auch anderes gibt. Die Idee ist, sie in einem oder zwei Jahren zwischen zwei Ferienblöcken aus der Schule zu nehmen und eine Reise zu machen. Wir möchten mit der Fähre nach Marokko – nicht mit einem Saurer-Lkw, sondern mit irgendeinem Gefährt, in dem alle drin schlafen können.»

VANESSA SACCHET


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