Stein unterliegt demselben Prozess wie alles andere
27.08.2024 WeiernDie Arbeit mit Naturstein gibt dem Steinmetz ein gutes Gefühl und Einkommen; den Besitzern Halt und Heimat. Es lohne sich, Altes zu bewahren und zu restaurieren – denn historische Gebäude vermitteln Sicherheit, Glaubwürdigkeit und Werte.
Seit 33 ...
Die Arbeit mit Naturstein gibt dem Steinmetz ein gutes Gefühl und Einkommen; den Besitzern Halt und Heimat. Es lohne sich, Altes zu bewahren und zu restaurieren – denn historische Gebäude vermitteln Sicherheit, Glaubwürdigkeit und Werte.
Seit 33 Jahren arbeitet Beat Sommer mit Naturstein, seit 13 im eigenen Betrieb im Zentrum Weierns im stattlichen Haus «Tannenbaum». Dort hat er die ehemalige Tenne sowie den Stall zur Werkstatt umgebaut. Von aussen ist kaum zu erahnen, dass hier aus schweren Brocken Simse, Fenstereinfassungen oder Bodenplatten werden.
Bevor er sich zum Steinmetz weiterbildete, verdiente er sein Geld als Maurer. Der Entscheid, umzusatteln, sei herangereift. Er habe sich lange überlegt, was er noch machen könnte, und fand im Naturstein seine Passion. «Stein hat seine Zeit. Er ist entstanden und er wird irgendwann wieder vergehen – in diesem Sinne ist es ein lebendiges Material, das demselben Prozess unterliegt, wie alles andere auch.»
Er empfindet Stein als lebendige Materie, die sich bei Hitze und Nässe verformt. Am liebsten arbeitet er mit Tuffstein, ein poröses Material in unterschiedlicher Härte und Struktur, das durch seine Farbe eine natürliche Wärme ausstrahlt. Wer dabei nur an die Zimmerbrunnen denkt, wo das Wasser sich seinen Weg durch die Löcher des Steins sucht, wird vom Meister eines Besseren belehrt: Mit Tuffstein lassen sich sowohl Fassaden als auch Innenräume mauern und gestalten; Sommers absolute Lieblingsprojekte.
Dass er sein Handwerk versteht, zeigt sich in den zahlreichen Referenzen weit über die Region hinaus, die auf seiner Website aufgeführt sind. Darauf angesprochen sagt Sommer, dass er oft im Auftrag von Architektinnen oder Unternehmern im Einsatz sei, die ihn und seine sorgfältige und umsichtige Arbeitsweise schätzen würden.
Restauration ist gelungen, wenn man nichts sieht
Aktuell führt Sommer eine Renovationsarbeit durch, die auf den ersten Blick einfach scheint, sich aber als ziemlich knifflig entpuppt hat. Zu einem früheren Zeitpunkt wurde die Fassade mit einer gummiartigen Farbe behandelt, was das Material verändert hat. Die steinernen Fenstereinfassungen wurden teilweise zerstört, was die Renovation fast unmöglich mache, wie er ausführt. Seine Aufgabe sei nun, der Bauherrschaft zu erklären, dass es einfacher sei, die Einfassungen zu ersetzen.
Dass er sich bei seiner Tätigkeit meist an genaue Pläne und Vorgaben von Architekten oder Besitzerinnen halten muss, stört den Fachmann keineswegs. Wird er gefragt, dann bringt er seine Vorstellungen sehr gerne ein. Eine Renovation sei für ihn geglückt, wenn sein Werk unsichtbar sei. Diese Äusserung verlangt nach einer Erklärung, die er sehr gerne gibt: «Sagt der Kunde nach Abschluss meiner Arbeit, dass er gar nichts sieht, ist das ein Kompliment für mich. Es zeigt, dass es mir gelungen ist, etwas zu renovieren, ohne dass man die ersetzten Bestandteile erkennen kann. Damit ist wieder ein intaktes Ganzes entstanden.» Baut er Neues wie einen Boden, Mauern in einem Badezimmer oder eine Fassade, ist er natürlich stolz auf sichtbare Endresultate.
Hiesiger Stein als Teil unserer Identität
Das Wissen, dass seine Bauten für die nächsten 100 oder 200 Jahre oder noch länger Bestand haben, sei ein gutes Gefühl, das ihn mit tiefer Zufriedenheit erfüllt. Sein Schaffen gibt den Menschen in ihrem Zuhause ein Stück Heimat und Halt, das erhalten und gepflegt werden möchte. Es ist ihm wichtig, dass er, wenn immer möglich, Stein aus der Umgebung verarbeitet: «Dann passt es perfekt. Wenn der Granit aus Polen kommt, mag er auch schön sein – und erst noch günstiger – aber er ist hier nicht verankert.» Als Beispiel führt er Gartenmauern aus Rorschacher Sandstein an, die man in der Region oft sehe.
Ins Schwärmen gerät Sommer, als er über eine Tuffsteinfassade spricht, die er erstellt hat. Früher habe man oft Kellergeschosse mit diesem Stein gemauert; durch die grossen Löcher, die er aufweise, habe er kein Wasser gezogen. Durch seine Struktur und Textur erscheine Tuff als lebendig. Mit Freude blickt er auch auf seine Mitwirkung am Primarschulhaus an der Schulstrasse 5 in Aadorf zurück. Besonders hebt er dabei den Schlussstein (Narrette) über dem Eingang heraus. Aktuell arbeitet er am Gebäude an der Schulstrasse 9, das unter anderem neue Fenstersimse aus der Hand Beat Sommers erhält.
Der Beruf des Steinmetz’ unter Druck
Sommer findet es schade – und etwas bedenklich – dass heutzutage viel zu rasch ein altes Gebäude abgerissen werde, um einem neuen, renditeoptimierten Objekt Platz zu machen. Es wäre wichtiger, Altes zu restaurieren und damit die Identität eines Ortes zu erhalten: «Wir erfreuen uns alle an der Charakteristik, die zum Beispiel vielen italienischen Dörfern eigen ist. Zuhause opfern wir alte Gebäude zugunsten von Rendite und Ausnützungsziffern, obwohl viele davon kaum 50 Jahre Bestand haben, weil beim Bauen gepfuscht wird.»
Die Wehmut klingt nicht nur aus seinen Worten, wenn er an alte Gebäude denkt. Sie treibt den Steinmetz auch um, wenn es um das Handwerk als solches geht. Sein Berufsstand ist durch die Industrialisierung arg unter Druck gekommen: «Es geht jahrhunderte-, ja, jahrtausendealtes Wissen verloren – es wurde von der Industrie übernommen.» Sein Handwerk werde vielleicht nicht ganz verschwinden, aber extrem zurückgehen. Im Moment werde in der Deutschschweiz nur noch eine einzige Klasse für angehende Steinmetze geführt. Der Beruf sei sehr anstrengend, und viele möchten eine Arbeit, die weniger schmutzig, staubig und schwer sei. Erschwerend dazu komme, dass gutes Handwerk nach wie vor seinen Preis habe, was heute oft nicht mehr geschätzt werde.
Ein Widerspruch zu dem, was der Fachmann immer wieder feststellt: «Wenn jemand etwas Wichtiges zu sagen hat, steht er vor ein historisches Gebäude. Auf die Treppe vor dem Rathaus, auf den Platz vor dem Bundeshaus oder vor eine Kirche. Das vermittelt Beständigkeit und Glaubwürdigkeit; die historische Fassade als Garant, dass die Wahrheit erzählt wird.»
Vor drei Jahren erwarb Sommer den eidgenössischen Fachausweis «Handwerker in der Denkmalpflege, Fachrichtung Naturstein». Seiner Meinung nach geniesst diese Behörde leider sehr zu Unrecht bei manchen keinen guten Ruf. Dabei stehe sie dafür ein, unsere Identität zu bewahren. Vielleicht sei auch einfach zu viel Geld im Umlauf. Wäre weniger zur Verfügung, würde vielleicht mehr bewahrt und restauriert.
Diese These lässt sich auf das gesamte moderne Leben adaptieren. Neigt doch unsere Gesellschaft stark dazu, Bewährtes durch Neues zu ersetzen, obwohl eine Reparatur manchmal durchaus sinnvoll wäre.
MARIANNE BURGENER