Sommerzeit ıst Lesezeiıt
21.08.2025Ob am See, auf dem Balkon oder in der Hängematte – der Sommer bietet die perfekte Gelegenheit, in Geschichten einzutauchen. Auch wir in der Redaktion legen zwischendurch das Notizbuch zur Seite und greifen zum Buch. Zwei unserer aktuellen Favoriten stellen wir Ihnen hier vor. Und Sie? ...
Ob am See, auf dem Balkon oder in der Hängematte – der Sommer bietet die perfekte Gelegenheit, in Geschichten einzutauchen. Auch wir in der Redaktion legen zwischendurch das Notizbuch zur Seite und greifen zum Buch. Zwei unserer aktuellen Favoriten stellen wir Ihnen hier vor. Und Sie? Welches Buch begleitet Sie durch diesen Sommer? Schreiben Sie uns!
«Das wirkliche Leben»
Der Debütroman der belgischen Schriftstellerin Adeline Dieudonné ist eines jener Bücher, das man nicht einfach liest und dann wieder zur Seite legt – es hallt nach, lange, eindringlich und schmerzhaft schön. Mich hat dieser Roman tief beeindruckt, nicht nur durch seine aussergewöhnliche Sprache, sondern auch durch die schonungslose Intensität, mit der er erzählt wird.
Die Protagonistin, ein junges Mädchen, wächst in einem von Gewalt und Angst geprägten Umfeld auf. Die Autorin beschreibt diese Realität mit einer Ehrlichkeit, die weh tut – aber genau darin liegt auch die Kraft des Romans. Die Sprache ist zugleich poetisch und präzise, nie sentimental, aber von einer tiefen emotionalen Wahrheit durchdrungen. Die Bilder, die sie zeichnet, sind oft verstörend, aber auch von grosser literarischer Schönheit.
Besonders berührend fand ich die innere Stärke und den Überlebenswillen der Erzählerin, die sich trotz allem nicht brechen lässt. Sie emanzipiert sich aus der ihr zugedachten weiblichen Opferrolle – jener Rolle, die ihre Mutter still und resigniert angenommen hat. Mit Mut, Verstand und Vorstellungskraft geht sie ihren eigenen Weg und beginnt, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Diese Entwicklung verleiht dem Roman eine besonders kraftvolle Dimension.
«Das wirkliche Leben» ist kein leichtes Buch. Es verlangt seinen Leserinnen und Lesern einiges ab – aber es schenkt auch viel. Es ist ein Roman über das Erwachsenwerden in einer kaputten Welt, über Gewalt, Hoffnung, Emanzipation – und die unbändige Kraft der Vorstellung. Und es ist ein Buch, das bleibt.
«Das Huhn, das vom Fliegen träumte»
Die Fabel der südkoreanischen Autorin Sun-Mi Hwang ist ein stilles, poetisches, kleines Buch – und zugleich eine tief bewegende Erzählung über das grosse Bedürfnis nach Freiheit und Selbstbestimmung. Was zunächst wie ein einfaches Tiermärchen erscheint, entfaltet sich rasch zu einer vielschichtigen Parabel über das Leben, den eigenen Weg – und den unbeirrbaren Drang, auszubrechen aus dem, was vorgegeben scheint.
Im Zentrum steht die Legehenne Sprosse, die nicht länger in der Enge des Hühnerstalls vegetieren will. Sie träumt davon, mehr zu sein als nur ein namenloses Nutztier – sie will leben, wirklich leben. Ihr grösster Wunsch: ein Küken zu haben, das sie aufziehen und begleiten darf. Dieser Wunsch steht sinnbildlich für etwas viel Grösseres: den Wunsch, aus der Fremdbestimmung auszubrechen, sich selbst zu verwirklichen, frei zu sein – auch wenn der Preis dafür hoch ist.
Sprosses Weg ist beschwerlich. Sie erlebt Ablehnung, Einsamkeit, Gefahr – und doch bleibt sie sich selbst treu. Ihr Freiheitsdrang, ihr Wille, über sich hinauszuwachsen, macht sie zu einer zutiefst inspirierenden Figur. Sie nimmt ihr Schicksal in die eigenen Flügel – gegen jede Konvention, gegen jede Erwartung. Dass sie dabei auch Opfer bringt, verleiht der Geschichte eine bittersüsse Tiefe.
Sun-Mi Hwang erzählt mit grosser Klarheit, Wärme und Feingefühl. Die Sprache ist schlicht, aber nie banal. Gerade in ihrer Zurückhaltung liegt eine grosse emotionale Kraft.
Ein berührendes, kluges Buch über Freiheit, Mut, Identität – und die Frage, wie weit man bereit ist zu gehen, um sich selbst treu zu bleiben. Das beschäftigt Lesende jedes Alters.
SARAH STUTTE
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