Seit 60 Jahren im selben Beruf tätig
11.06.2024 GuntershausenNie in den sechs vergangenen Jahrzehnten hat Coiffeurmeister Werner Haller bereut, seine treue Kundschaft zu bedienen. Zwar hat er sein Wochenpensum auf drei Tage reduziert, doch das Haareschneiden übt er weiterhin mit Leib und Seele aus.
Eben hat sich im ...
Nie in den sechs vergangenen Jahrzehnten hat Coiffeurmeister Werner Haller bereut, seine treue Kundschaft zu bedienen. Zwar hat er sein Wochenpensum auf drei Tage reduziert, doch das Haareschneiden übt er weiterhin mit Leib und Seele aus.
Eben hat sich im Coiffeursalon an der Hauptstrasse 70 ein Stammkunde, begleitet von lüpfiger Volksmusik, seine Haare schneiden lassen. Nach einem prüfenden Blick in den Spiegel, einem zufriedenen Lächeln im Gesicht und der Bezahlung verabschiedet sich der Rentner. Ein typisches Alltagsgeschehen, das Werner Haller aus seiner 60-jährigen Berufserfahrung bestens vertraut ist. Er erzählt: «Das Schöne in meinem Beruf ist der Kontakt zu Leuten, verbal und physisch. So nahe kommen sich nur wenige Berufsleute, so etwa aus der Physiotherapie oder der Krankenpflege. Der körperliche Kontakt und der Austausch, basierend auf grossem Vertrauen der Akteure, gehört zum Berufsethos.»
Dafür braucht es Verschwiegenheit, denn nicht selten laden die Leute auch ihre persönlichen Sorgen und Nöte ab. Die einen mögen einsilbig sein, wieder andere mitteilsam. Ob bei Introvertierten oder Extrovertierten, manchmal sind es Plattitüden, dann wieder Ereignisse aus dem Dorfleben, die zur Sprache gebracht werden. «Da leiht man gerne ein Ohr und geht möglichen politischen Diskussionen eher aus dem Weg», sagt der nun 75-Jährige aus Guntershausen. Aussagen, die von grosser beruflicher Lebenserfahrung Zeugnis ablegen.
Aus dem Aargau stammend
Die dreijährige Lehrzeit als Herren- und im Anschluss eineinhalb Jahre als Damencoiffeur absolvierte der junge Mann im Aargau. Im Zürcher Oberland machte er sich darauf selbstständig, ehe er mit 31 Jahren nach Guntershausen zog. Dort richtete er sich einen Salon mit sechs Plätzen ein. Wie es damals üblich war, mit einem abgetrennten Raum für Damen. Heute sind es nur noch zwei Plätze. Genügsam für den reduzierten Betrieb, überwiegend aufgesucht von älteren Kunden.
«Es ist kein Vergleich zu früher, als ich wöchentlich gut 60 Stunden arbeitete. Und dies zu einem kargen Lohn. Von Beschwerden durch das lange Stehen und Belastungen der Schultergelenke wurde ich glücklicherweise verschont. Oftmals mache ich Besuche bei Beeinträchtigten. Ich staune, wie man mit Schicksalsschlägen fertig werden kann. Wenn ich dazu beitragen kann, die Last etwas leichter zu machen, erfreut es mich. Ich erinnere mich daran, als mir eine Frau mit Demenz zu Unrecht alle Schande sagte. Doch das war ein Einzelfall. Ich hatte eine gute Zeit mit einer treuen Kundschaft», sagt Haller und lächelt. Neue Kunden will er seit einigen Jahren nicht mehr annehmen.
Natur und Volksmusik
Hallers Haus liegt eingepfercht zwischen Strasse und Bahnlinie. Im Hinterhof breitet sich der Garten aus, ein Naturgarten, der sorgsam gepflegt wird und viele Arbeitsstunden mit sich bringt. Dennoch reicht die Zeit für einen täglichen Rundgang im nahen Wald. Naturverbundenheit, gepaart mit solcher zur Volksmusik, scheint ein Teil seiner DNA zu sein. Als aktiver Jodler gehörte er 40 Jahre dem Kantonalvorstand für Volksmusik, Sektion Schaffhausen/Thurgau, an und war dort auch Ehrenmitglied. Als Organisator von «Stubeten» tat er sich ebenfalls hervor. «Nun arbeite ich in meinem angestammten Beruf noch solange es geht, will heissen, solange es die Gesundheit zulässt», sagt der rüstige Pensionär und macht sich daran, die geschnittenen Haare vom Boden aufzunehmen.
KURT LICHTENSTEIGER