Schläpfer: «Der Staat braucht uns nicht zu bemuttern»
12.09.2023 RegionDer Kanton Zürich zahlt Politikern während des Wahlkampfs einen Anwalt, wenn sie mit Drohungen eingedeckt werden. Die Nationalratskandidaten aus der Region stehen dem Pilotprojekt durchaus kritisch gegenüber.
Politikerinnen und Politiker benötigen ...
Der Kanton Zürich zahlt Politikern während des Wahlkampfs einen Anwalt, wenn sie mit Drohungen eingedeckt werden. Die Nationalratskandidaten aus der Region stehen dem Pilotprojekt durchaus kritisch gegenüber.
Politikerinnen und Politiker benötigen manchmal eine dicke Haut. Wer in der Öffentlichkeit steht, exponiert sich. Entsprechend sind sie immer wieder scharfer Kritik ausgesetzt und müssen sich zuweilen auch mit Hass und Drohungen herumschlagen. Dagegen will die Zürcher Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP) im Rahmen ihres Pilotprojekts «Stop-hate» ein Zeichen setzen. Mit Blick auf die anstehenden nationalen Wahlen zahlt der Kanton Zürich ab sofort bis Ende Dezember allen Politikerinnen eine Rechtshilfe, wenn sie in den sozialen Netzwerken oder per E-Mail mit Beleidigungen und Drohungen eingedeckt werden sollten. Können sie belegen, dass sie eine Hassbotschaft erhalten haben, bekommen sie vom Kanton eine Kostengutschrift für eine juristische Abklärung. Sollte diese ergeben, dass sich eine Anzeige lohnen könnte, übernimmt der Kanton dafür die Kosten. Fehrs Projekt ist umstritten. Die einen erachten es als vernünftig, um mehr als nur ein Zeichen gegen Hass zu setzen. Kritiker wiederum verweisen darauf, dass damit die Gefahr bestehe, unliebsame Meinungen zu unterdrücken. Somit würden Politikerinnen, die oftmals ohnehin schon privilegiert sind, bevorzugt gegenüber Normalbürgern, die sich vielfach überhaupt keinen Anwalt leisten können.
«Ich finde die Idee toll»
Diese Zeitung wollte vor diesem Hintergrund wissen, was die Nationalratskandidatinnen aus der Region davon halten. «Ich finde das eine gute Idee. Politikerinnen und Politiker sollen sich wehren gegen Hassangriffe. Natürlich hoffe ich, dass es nur wenige sein werden, die solche auch tatsächlich erleben müssen», sagt Yvonne Fuchs. Die Pflegefachfrau aus Elgg kandidiert im Kanton Zürich auf der Liste «Engagiert für eine starke Pflege».
Ebenfalls wohlwollend über das Pilotprojekt äussern sich Mona Schneider und Patrick Müller. Beide leben in der Gemeinde Aadorf und haben sich als Jungpolitiker im Kanton Thurgau auf der Liste der Jungen Mitte aufstellen lassen. «Ich finde die Idee toll, habe selbst gemerkt, dass das Problem grösser ist als es scheint. Ich bin das erste Jahr politisch aktiv, habe aber schon die ersten unschönen Nachrichten bekommen», sagt Schneider, die sich durch das Fehr-Projekt gehört fühlt. Ähnlich tönt es bei Müller: «Ich unterstütze diese Massnahme, bedauere aber sehr, dass sie in der heutigen Zeit überhaupt nötig ist.» Hass und Beleidigungen hätten nichts verloren und müssten stets geahndet werden. Auch Bernhard Egg, der für die SP nach Bundesbern möchte, sieht das Ganze eher positiv. «Grundsätzlich finde ich es gut, dass ein solches Angebot geschaffen wird. Damit wird signalisiert, dass man Hatespeech nicht einfach hinnehmen will und Betroffene nicht sich selbst überlässt», so der ehemalige Kantonsratspräsident und heutige Vizepräsident des Kirchenrats. Egg, der in Elgg beheimatet ist, hält aber kritisch fest, dass damit die Probleme nicht an der Wurzel angegangen würden. «Ursachenbekämpfung wäre dann noch ein anderes Thema.» Zudem fragt er sich, weshalb bloss Politikerinnen gratis Rechtshilfe in Anspruch nehmen könnten und das auch nur befristet.
Projekt könnte auch der Zensur Vorschub leisten
Wenig begeistert von Jacqueline Fehrs Angebot sind Therese Schläpfer und Barbara Müller. Beide können sie der Massnahme nur wenig abgewinnen. «Für mich als Nationalrätin ist dies ein Zeichen, dass sich Frau Fehr in der Öffentlichkeit mit ihrer Partei bei den Wählern beliebt zu machen versucht», sagt die amtierende SVP-Nationalrätin Schläpfer aus Hagenbuch. Es gebe bereits heute Gesetze, um gegen Hass vorzugehen. «Ausserdem besteht die Möglichkeit, unangebrachte Posts zu melden oder Anzeige zu erstatten.» Müller hat zwar ein gewisses Verständnis für das Fehr-Projekt. «Manche Leute treiben es bunt mit Anschuldigungen und übergriffigen Kommentaren», sagt die Ettenhausener Kantonsrätin und Mass-Voll-Nationalratskandidatin. Gleichzeitig wirft das Pilotprojekt für sie aber auch Fragen auf: «Was zählt denn als Beleidigung, Drohung, Hasskommentar? Könnten Anzeigen nicht auch der Denunziation oder Zensur dienen?»
Zweifel äussert auch Roland Büchi aus Häuslenen. Er kandidiert für die GLP. «Das Thema ist sehr ernst, jedoch halte ich das für eine falsche Massnahme. Wer sich für Themen engagiert, muss sich auf die eine oder andere Art exponieren. Das betrifft aber in keiner Weise nur Politiker, sondern grundsätzlich alle, die gute Gremiumsarbeit für unser Land leisten.» Staatliche Unterstützung sei in seinen Augen nur dann legitim, wenn diese möglichst allen zugutekommt.
Angebot wird mehrheitlich abgelehnt
Für die Mehrheit der Nationalratskandidaten aus Elgg und Hagenbuch, die theoretisch vom Pilotprojet profitieren könnten, steht fest: Vom Angebot werden sie nicht Gebrauch machen. «Ich erhalte auch immer wieder Nachrichten mit Drohungen oder Hass. Da kann man sich selbst wehren. Der Staat braucht uns hier nicht zu bemuttern», sagt etwa Schläpfer. Und Bernhard Egg führt aus: «Das neue Angebot hat für mich keine Priorität.» Er verweist darauf, dass er sich «schon seit Jahren immer wieder mit Spezialisten der Kantonspolizei» austausche. Er habe in der Vergangenheit in verschiedenen Funktionen immer wieder Hassattacken erlebt. Anders sieht das einzig Yvonne Fuchs. Sie könnte sich vorstellen, auf die Rechtshilfe zurückzugreifen. «Falls ich jemals betroffen wäre, würde ich diese Hilfe annehmen.»
RAFAEL LUTZ