Rundumschlag über den biederen eidgenössischen Alltag
18.06.2024 ElggDer Appenzeller Dialekt verbreitet in seiner Tonalität ein gutes Gefühl – man fühlt sich davon angezogen und irgendwie zuhause. Selbst wenn einem zwei Stunden lang der mit Scharfsinn und Humor garnierte Alltag um die Ohren fliegt.
Der Kabarettist ...
Der Appenzeller Dialekt verbreitet in seiner Tonalität ein gutes Gefühl – man fühlt sich davon angezogen und irgendwie zuhause. Selbst wenn einem zwei Stunden lang der mit Scharfsinn und Humor garnierte Alltag um die Ohren fliegt.
Der Kabarettist Simon Enzler ist ein Publikumsmagnet. Das wurde jedem bewusst, der sich am Samstagabend ins Werkgebäude begab. Angehörige der Feuerwehr wiesen die Autos ein und der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Im Foyer wurde aufgeregt über das zu erwartende diskutiert; Wiederholungstäter trafen auf Neulinge, einig war man sich darüber, dass «der Appenzeller Dialekt halt einfach schön ist».
Der Programmname «brenzlig», rot flackerndes Licht und Knistergeräusch liessen wohl beim einen oder anderen ein mulmiges Gefühl aufkommen. Dieses verflog, als der Künstler im biederen Hauswarts-Kittel die Bühne betrat. Sofort hatte er das Publikum im Sack, auch wenn: «Elgg von Appenzell aus gesehen nicht gerade am Weg liegt. Ich halte mich aber immer wieder gerne im süddeutschen Raum auf!»
Sein erstes Opfer waren Gruppenreisen und die daran teilnehmenden Vegetarier. Er staunte über die Tatsache, dass heutige Fleischersatzprodukte in einer Konsistenz daherkämen, als läge etwas Tierisches auf dem Teller. Dabei könne man doch mit der fleischlosen Küche neue Wege beschreiten und kreativ daherkommen, etwa mit «Züri-Klötzlets» oder «Soja-Bollen». Enzler machte sich zwar über Vegetarierinnen und Veganer lustig, aber wie in jeder seiner Geschichten zeigte er mit dem Finger auf all jene, die am lautesten lachten und führte die allgemein herrschende Doppelmoral immer wieder vor Augen.
Dass der massive Fleischkonsum problematisch ist, ist hinlänglich bekannt. Einzig Wild aus heimischer Jagd wäre ökologisch und ethisch vertretbar. Obwohl, die Jagd sei ein schwieriges Thema heutzutage, so werde sie verkitscht und romantisiert – dabei sei sie ein eigentliches Drecksgeschäft. Richtig fair und spannend wäre es erst dann, wenn das Wild zurückschiessen könnte.
Die Weltlage erfordert rasches Handeln
Als grosses Ärgernis der heutigen Zeit bezeichnete er Laubbläser – da könne er sich so richtig aufregen. Bauern, die zu faul zum Rechen seien und anstatt dessen mit ihrem Subventionsfön das Heu zusammennähmen. Das generiere ihm eine derart grosse Wut, dass er sich über nichts anderes mehr aufregen könne, dabei gäbe es noch so viele andere schöne Themen. Da war beispielsweise die Klimajugend, die in Appenzell eine Demo veranstalten wollte, was bei der dortigen Behörde gar nicht gut ankam. Schliesslich hätten sie die Landjugend und die hätte Gescheiteres zu tun, als sich anzukleben. Trotzdem fände er es gut, dass sich die Jungen für das Klima erwärmen könnten. Enzler wetterte, fluchte und grummelte auf der Bühne in bester Appenzeller Manier. Ab und zu fragte er das Publikum in beinahe korrektem Hochdeutsch, ob es überhaupt verstehe, was er erzähle. Auf diese Weise bezog er seine Gäste immer wieder geschickt in seinen zweistündigen brillanten Monolog über den biederen eidgenössischen Alltag mit ein.
Der aktuellen weltpolitischen Situation geschuldet, hielt er es für angemessen, im heimischen Garten einen Bunker zu bauen. Und der müsse etwas hergeben an Komfort und Grösse, schliesslich wolle er schon eine gewisse Zeit darin verbringen, wenn es dann «klöpfe». Mindestens 273 Tage, denn dann sei der Break-Even erreicht und die Investition amortisiert.
Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt
Über die heutige Bewältigung der Freizeit, mit ihren unbegrenzten Möglichkeiten gelangte Enzler zum modernen Tourismus in seiner Heimat; der besonders seltsame Blüten treibe. Alles würde vermarktet, bald prange wohl auf jedem Kuhfladen ein QR-Code mit Twintlink und der Kuhfladen selbst gelte als veganer Alpenluftspender. Auf den Höfen werde «Schlafen im Stroh» angeboten – aber niemand hätte je einen Bauern im Stroh schlafen sehen. «Wenn es nachts mucksmäuschenstill ist, kann man ihn in seinem 7000-fränkigen Hüsler-Näscht laut lachen hören».
Laut gelacht im Saal wurde auch ob der Erzählung, wie der Künstler in seiner Jugend zusammen mit dem Bruder den Weber-Grill des Vaters «thermisch neu interpretierte»; unter Einsatz zweier Augustraketen habe dieser eine völlig neue Form erlangt, einer hübschen Blechblume gleich.
In seinem Rundumschlag fehlten weder die allgegenwärtigen Sparmassnahmen, die nötig seien, noch die hohen Energiepreise. Besonders diese hätten zur Folge, dass ein voller Benzintank der Erbmasse angerechnet werden müsse. Grundsätzlich sei früher alles besser und einfacher gewesen. Der heutigen Jugend stünden so viele Berufe offen, dass die Auswahl unmöglich sei. Was immer man sich vorstelle, sei ein Beruf oder könne wenigstens studiert werden. Als aktuelle Beispiele nannte er «Promenadologie» oder «Hundefuttervorkoster» – er hingegen hätte sich noch für Landwirt oder Astronaut begeistern können, zwei Berufe mit guter Aussicht. Vielleicht interessierten sich wenigstens seine Buben mit Zimmermann und Bodenleger für Handfestes, auch wenn das heute «Room-Man und Floor-Layer» heisse.
Nostalgie als Botox der schlaffen Erinnerung
Den Rückblick in längst vergangene Zeiten mit Röhrenfernsehen, einem Leben ohne W-Lan, erfüllte ihn mit Wehmut. Der verwackelte Film im Super-8-Format von Tante Margot, der zeigte, wie Vetter Franz mit dem Bacardi-Cola ausrutschte, sei einfach ein Ferienfilm gewesen. Heute wäre es Content, Margot eine Tiktokerin und Franz ein Influencer. Stammtisch sei wie Social-Media gewesen, einfach ohne Media. Nostalgie sei das Botox einer schlaffen Erinnerung, die Schönheitschirurgin der banalen Vergangenheit. «Aber das Alter hat durchaus seine Vorteile. Man hat viel weniger Möglichkeiten zu sterben. So fallen Arbeitsunfälle, Kinderkrankheiten und Sportunfälle weg, man stirbt also gesünder».
Zum Schluss seines Programms erklärte Simon Enzler, dass es ganz wichtig sei, den perfekten Moment zum Aufhören zu finden. Der komme zuletzt, also am Ende – man müsse dann aufhören, wenn es am schönsten sei. Auch wenn einiges offen und unerledigt bleibe. «Der Zahnarzt zieht nicht alle Zähne, bis keiner mehr da ist. Der Kopfsalat schmeckt ungekocht besser und die guten Witze sind die, die nie erzählt werden».
MARIANNE BURGENER