Rom, Hollywood – und ein Hauch Elgg
14.08.2025 ElggHeute hätte die italienische Film-Ikone Lina Wertmüller ihren 97. Geburtstag gefeiert – geboren am 14. August 1928. Bekannt wurde sie als erste Frau, die je für einen Regie-Oscar nominiert wurde. Anscheinend hatte sie auch familiäre Wurzeln in Elgg.
Sie war nur ...
Heute hätte die italienische Film-Ikone Lina Wertmüller ihren 97. Geburtstag gefeiert – geboren am 14. August 1928. Bekannt wurde sie als erste Frau, die je für einen Regie-Oscar nominiert wurde. Anscheinend hatte sie auch familiäre Wurzeln in Elgg.
Sie war nur 1,50 Meter gross, doch kaum zu übersehen: Lina Wertmüller, die erste Frau, die je für den Oscar für die beste Regie nominiert wurde, war eine der originellsten, provokantesten und kompromisslosesten Stimmen des europäischen Kinos – und sie hatte überraschenderweise vermutlich auch Wurzeln in Elgg.
Geboren wurde sie am 14. August 1928 in Rom als Arcangela Felice Assunta Wertmüller von Elgg Español von Braueich – ein Name, der fast so ausufernd war wie die Titel ihrer Filme. Tatsächlich stammt ihr Vater aus einer Familie, die auf die Schweizer Adelslinie der Werdmüllers von Elgg zurückgeht. Eine Stammbaum-Rekonstruktion des italienischen Magazins «Zoom» aus dem Jahr 2020 führt sie auf Errico Werthmüller zurück. Der Oberfeldwebel im 3. Schweizer Regiment zog um 1800 aus dem Kanton Thurgau nach Neapel und gründete dort eine Familie mit Maria Santamaria-Maurizio.
Nicht klar belegbar
Doch ganz eindeutig lässt sich diese familiäre Verbindung nicht belegen.
Es gibt die genannten Indizien, die ein Verwandtschaftsverhältnis nahelegen, aber keinen eindeutigen genealogischen Beweis. Das Schloss Elgg ist als Stiftungskonstrukt (unveräusserlicher Familienfideikommiss) heute immer noch in der Hand der Familie «Werdmüller von Elgg» – und das seit 1712. Saskia Werdmüller, die heutige Besitzerin, hat für die «Elgger/Aadorfer Zeitung» in ihrem Archiv nach Hinweisen auf die Abstammung gesucht, allerdings ohne Erfolg. «Leider konnte ich in meinen Unterlagen keine Angaben zu Lina Wertmüllers Vater oder dessen Vater finden», sagt sie.
Was jedoch nicht zwangsläufig bedeutet, dass es diese Verbindung nicht gibt. Herkunft und Überlieferungen deuten weiterhin auf eine reale Verbindung hin. Die Namensähnlichkeit (Wertmüller/Werdmüller) sowie der Zusatz «von Elgg» sind auffällig, wenn auch nicht automatisch ein Beweis für eine direkte Abstammung.
Vom Theater zum Film
Lina Wertmüller war eine Rebellin – nach eigenen Angaben flog sie aus mehr als einem Dutzend Schulen. Doch bereits früh zog es sie zur Bühne. Gegen den Willen ihres Vaters schrieb sie sich mit 17 Jahren an der Akademie des russischstämmigen Theaterpädagogen Pietro Sharoff in Rom ein. Sie arbeitete im Puppentheater der rennomierten italienischen Puppenspielerin und Bühnenbildnerin Maria Signorelli, wo sie rasch Zugang zur römischen Künstlerszene fand. Über eine Jugendfreundin – Flora Carabella, spätere Ehefrau von Marcello Mastroianni – kam sie schliesslich ins Umfeld von «Cinecittà», Italiens «Hollywood».
Dort begann ihre Filmkarriere – zunächst als Regieassistentin von Federico Fellini bei dessen Meisterwerk «8½». «Er war ein Zauberer und Poet», sagte sie später über ihn. Sie selbst bezeichnete sich augenzwinkernd als «geniale Idiotin» – eine Mischung aus Selbstironie und Stolz.
Schon früh fiel Wertmüller durch ihren eigenwilligen Stil auf: Sex und Politik, Gewalt und Gefühl – das waren ihre Themen. Sie scheute keine Tabus und warf sich mutig in die grossen Widersprüche ihrer Zeit. Ihre Filme sind geprägt von grotesken Charakteren, überzeichnetem Humor und einem rasanten Tempo. Ihre Erzählweise war laut, grell, anarchisch – oft erinnernd an Volkstheater, hinter dem sich jedoch fein gesponnene politische Kritik verbarg.
Historische Oscarnominierung
Ihr wohl bekanntester Film ist «Sieben Schönheiten» («Pasqualino Settebellezze», 1975), der ihr die historische Oscar-Nominierung einbrachte. Er erzählt die Geschichte eines italienischen Kleinkriminellen, der versucht, im Konzentrationslager zu überleben – unter anderem, indem er sich sexuell einer Lagerleiterin unterwirft. Der Film war seinerzeit ein Skandal, da er kontroverse Themen wie Krieg, Faschismus, KZ-Haft und die menschliche Natur in einer grotesken und oft makabren Weise behandelt. Er wurde sowohl für seine politische Aussage als auch für seinen schwarzen Humor kritisiert, weshalb Lina Wertmüller vermutlich den Oscar dann doch nicht bekam. Doch mit dieser Nominierung schrieb sie Filmgeschichte.
Sie war ausserdem die einzige Frau, die je einen Spaghetti-Western während der Hochphase dieses Genres drehte – eine weitere Pioniertat in einer Männerdomäne. Und sie liebte, wie bereits erwähnt, lange Filmtitel: Ein Werk, das auf Deutsch schlicht «Blutfehde» heisst, trägt im Original sage und schreibe 29 Wörter im Titel – eine stilistische Eigenwilligkeit, die sicher nicht ihre einzige blieb. Ihre Figuren waren oft neapolitanische Machos, überdrehte Mafiosi, weibliche Nervensägen oder karikaturhafte Vertreter der Mailänder Oberschicht.
Politisch, weiblich, unbequem
In Filmen wie «Liebe und Anarchie» (1973) zeigt sie, wie persönliche Leidenschaften und politische Überzeugungen kollidieren – in diesem Fall verschläft ein Anarchist sein geplantes Attentat auf Mussolini in einem Bordell. Wertmüllers Werk war immer politisch, immer weiblich, immer unbequem. Sie sprengte die engen Vorstellungen vom «Frauenfilm», nicht durch Rückzug oder Sentimentalität, sondern durch Lautstärke, Überzeichnung und radikalen Humor.
Erst spät – im Alter von 91 Jahren – erhält sie schliesslich noch die Auszeichnung, die sie eigentlich schon 1975 verdient gehabt hätte – in Form eines Ehrenoscars für ihr Lebenswerk. Doch selbst an der Preisverleihung verlor sie nicht ihren Witz und ihre Haltung: Umringt von Pionierinnen wie Jane Campion, Greta Gerwig und Isabella Rossellini sagte sie damals: «Den müsste man umbenennen. Der müsste «Anna» heissen». Sie forderte einen weiblichen Oscar – ein feministisches Statement, das sinnbildlich für ihre gesamte Karriere steht.
Am 9. Dezember 2021 starb Lina Wertmüller in Rom im Alter von 93 Jahren. Ihr Werk bleibt unvergessen – ebenso wie ihr Stil, ihre Haltung und ihre Wurzeln, die bis ins beschauliche Elgg reichen. Auch wenn der Stammbaum vielleicht einige Lücken aufweist, ist klar: Ihre Geschichte wäre selbst ein Wertmüller-Film wert gewesen.
SARAH STUTTE