Neuanfang nach einer Hirnschädigung: niemals aufgeben

  03.11.2022 Eulachtal

Neurologe Klaus Scheidtmann war selbst mit der Diagnose Hirntumor konfrontiert. Sein unermüdliches Dranbleiben und der Glaube halfen ihm, die Krankheit zu überwinden. Kürzlich berichtete er als Gastredner der Pflege Eulachtal über Hirnerkrankungen und weshalb es sich lohnt, niemals aufzugeben.

Faustdick breitete sich im Gehirn von Klaus Scheidtmann ein Tumor aus. Durchschnittliche Überlebensdauer: zwei Jahre. Deutlich erinnert er sich an das Gefühl, das diese Diagnose bei ihm auslöste: Sie habe sich angefühlt, als ob er aus zehn Meter Höhe auf eine Betonplatte fallen würde. «Mein Selbstbild war komplett zerstört. Das ist, wie wenn man in den Spiegel schaut, der zersplittert ist. Was dann passierte, war nur noch ein Rausch», erzählte der leitende Arzt der Neurorehabilitation der Klinik Wald. Plötzlich fand er sich als Arzt in der Rolle des Patienten wieder.
Es folgte eine Odysee durch Krankenhäuser mit Operationen, Bestrahlungen, Chemotherapie, mehreren Rückfällen, halbseitiger Lähmung. Dass er trotz mehrjährigen Behandlungen und immer neuen Rückfällen den Mut nicht verlor, verdankt er seiner Familie, seinen Freunden, Kollegen und nicht zuletzt wohl seinem Glauben und dem Wunsch, die Krankheit zu überwinden. In einer grossen Offenheit berichtete er über seinen Genesungsprozess und ermunterte die Zuhörerinnen und Zuhörer, niemals aufzugeben.

Das Gehirn als Universum

Im ersten Teil des Fachvortrags entführte der Neurologe ins Universum des Gehirns. Er zeigte die unterschiedlichen Ursachen auf, die zu einer Hirnschädigung führen können: angefangen vom Schlaganfall über Unfälle, Entzündungen, Hirntumore bis hin zu genetischen Erkrankungen. «Doch wie schaffen wir es, nach einer Hirnschädigung wieder zurechtzukommen?» Das Wichtigste sei, ein Lebensmotiv zu haben. «From motivation to motion», von der Motivation zum Handeln, sprach schon António Rosa Damásio, ein Neurologe aus New York. Dazu brachte Scheidtmann das Beispiel eines hirngeschädigten Patienten, einem Imker, der es erst nicht mal mehr bis zu seinem Bienenstock geschafft hatte. Doch die Therapien schlugen bei ihm gut an, sodass er Klaus Scheidtmann schliesslich zum Dank ein Glas Honig überreichen konnte.
Auf einem virtuellen Rundgang durch die Klinik Wald zeigte der leitende Arzt Neurologie dann die Möglichkeiten und die Grenzen der neurologischen Rehabilitation auf. Der Fächer an Unterstützungsmöglichkeiten ist breit und reicht von der Physio- über die Ergotherapie, Neuropsychologie, Neglecttherapie, Logopädie, Dysphagie- bis hin zur physikalischen Therapie. Dabei sei das Mitwirken des Patienten äusserst wichtig: «Die Rehabilitation ist harte Arbeit, keine Beinehochlagerung, sondern der Patient ist gefordert.»

Menschliche Zuwendung ist wichtig

Was hat er selbst gelernt durch seinen Leidensweg? Einerseits das Meditieren und Stillwerden. Ihm wurde aber auch klar, wie wichtig die menschliche Zuwendung, das Verständnis und die Offenheit des Arztes für den Patienten sind. «Geholfen hat mir auch der Zuspruch der Familie und der Glauben, dass mich wer auch immer an der Hand nimmt und begleitet auf diesem steinigen Weg.» Patienten begegne er deshalb stets auf Augenhöhe «und die Würde des Patienten ist mir hoch und heilig».
Zum Schluss tauchten Fragen aus dem Publikum auf, die er geduldig besprach. Es fiel auch der Tipp, bei einem Notfall sofort 144 zu alarmieren. Denn oft könne in der Klinik bei schnellem Eingreifen ein Blutgerinnsel im Gehirn sofort aufgelöst werden.

DANIELA SCHWEGLER


«Seitenwechsel. Ein Arzt als Patient»

Ein Arzt findet sich plötzlich in der Rolle als Patient wieder: Der Neurologe Klaus Scheidtmann erkrankte selbst schwer an einem Hirntumor. In seinem Buch «Seitenwechsel. Ein Arzt als Patient» schreibt er über seine schwere Erkrankung ebenso wie über seine Genesung.


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