Neon, Nebel und Wortwitz
18.12.2025 AadorfValerio Moser ist frischgebackener Poetry-Slam-Europameister und begeistert in Aadorf mit einer ebenso absurden wie klugen Show. Sprachakrobatik, Musik und Irrsinn verschmelzen zu grosser Kleinkunst.
Mit dem Sieg an den Poetry-Slam-Europameisterschaften im Oktober in Berlin hat der ...
Valerio Moser ist frischgebackener Poetry-Slam-Europameister und begeistert in Aadorf mit einer ebenso absurden wie klugen Show. Sprachakrobatik, Musik und Irrsinn verschmelzen zu grosser Kleinkunst.
Mit dem Sieg an den Poetry-Slam-Europameisterschaften im Oktober in Berlin hat der Langenthaler Spokenword-Poet und Kabarettist Valerio Moser einen neuen Höhepunkt seiner Karriere erreicht. Kurz darauf stand er im Kleinkunstsaal Aadorf auf der Bühne – bei der letzten GONG-Aufführung des Jahres. Einen amtierenden Europameister ankündigen zu dürfen, sei auch für ihn eine Premiere, meinte Programmleiter Pascal Mettler schmunzelnd.
Was Moser in Aadorf zeigte, war weit mehr als eine klassische Lesung. Es war eine dichte, hochenergetische Show, in der er die ganze Bandbreite seines Könnens ausspielte. Irrwitzige Anekdoten, Sprachspielereien, Texte, Songs und performative Einlagen fügten sich zu einem Blick in den quirligen Kopf eines Künstlers mit scheinbar unerschöpflichem Ideenfundus.
Amüsierte Traurigkeit
Der Abend beginnt mit Berner Dialekt aus dem Off, noch bevor Moser die Bühne betritt. Dann erscheint er in buntem Hemd, brauner Cordhose und mit wilder Frisur, umgeben von Neonlicht und eingehüllt in Rauchschwaden aus der Nebelmaschine. Die sei auch gut zum Spazierengehen, merkt er an. Von Anfang an ist das Publikum Teil des Geschehens. Beim «emotionalen Stretching» soll es Geräusche zu Zuständen wie «energielose Freude» oder «amüsierte Traurigkeit» machen. Hinter dem fröhlichen Schelm auf der Bühne steckt jedoch deutlich mehr als blosses Klamauk-Talent.
Mosers Schreiben ist inspiriert von Autoren wie Arno Schmidt und einer literarischen Tradition, die das Spielerische ernst nimmt und Sprache lustvoll verdreht, verschiebt und neu zusammensetzt. Schmidt beschrieb sein Leben einst als «Tablett voll glitzernder Snapshots» – ein Bild, das Moser übernommen hat: als Titel seines Programms und seines Buches. Ein Jahr lang schrieb er täglich einen kurzen Text und schöpft nun aus 365 pointierten Gedanken, absurden Szenen und sprachlichen Miniaturen.
Bestechende Absurdität
Diese Texte bilden das Rückgrat des Abends. Moser stellt Fragen, die ebenso absurd wie erkenntnisreich sind, und verbindet sie mit Bühnenenergie und performativer Lust. So beschreibt er eine Zugfahrt, bei der Jugendliche sein Abteil entern und das Chaos eskaliert. Als schliesslich Chips durch die Luft fliegen, fasst er die Szene in einem einzigen Satz zusammen: «Zweifel verteilen sich auf dem Boden.» Statt grosser Erklärungen genügt ihm ein starkes Bild.
In einer anderen Volte bewirbt er sich kurzerhand als «Rehgehegegehwegpfleger» und öffnet damit ein absurdkomisches Paralleluniversum zwischen Sprachspiel und Gesellschaftsbeobachtung. Mosers Kurztexte servieren bunten Irrsinn in konzentrierter Form. Sie liefern Dialoge von bestechender Absurdität, Zugdurchsagen, die man immer schon einmal hören wollte – oder eben nicht – und Denkanstösse, die festgefahrene Muster aufbrechen.
Goldgrube an Ideen
Doch der Mundartkünstler bleibt nicht nur auf seinem Stuhl sitzen. Zwischendurch hantiert er an seiner Loop-Maschine herum, singt über das Nichtstun und das Kind in sich. Er wechselt mühelos zwischen Comedy, Stand-up und Poesie, regt sich über Kindernamen, Kapitalismus und Mindmaps auf und erzählt vom eigenen Unvermögen als Gartensitter. Auch sein Berliner Gewinnertext über das geschätzte Trottinett fehlt nicht – vorgetragen mit vollem Körpereinsatz. Langenthal, so Moser, sei eine «Goldgrube an Ideen». Offensichtlich. Am Ende bleibt der Eindruck, dass der Mensch auf der Bühne dem privaten Valerio erstaunlich nahekommt. Einer, bei dem sich das «Erwachsenwerden langsam überstülpen will» – und der sich mit aller Kreativität dagegen wehrt. Mit Seifenblasen. Mit Konfetti. Und natürlich mit seiner heissgeliebten Nebelmaschine.
SARAH STUTTE


