«Natürlich» und «nachhaltig»: Schönfärberei beim Essen

  01.02.2022 Region

Greenwashing grassiert auch bei Schweizer Lebensmitteln. Nun sammelt der Komsumentenschutz Beispiele.

Ökologische Schönfärberei grassiert. In 42 Prozent der untersuchten Fälle stellten Hersteller die Umweltfreundlichkeit ihrer Produkte oder Dienstleistungen übertrieben, falsch, irreführend und deshalb möglicherweise unlauter nach EU-Verbraucherrecht dar. Dies sagt eine vor Jahresfrist veröffentlichte Untersuchung zu Greenwashing. Sie stammt von der europäischen Kommission, welche sie in Zusammenarbeit mit den Verbraucherschutzorganisationen der Mitgliedsländer erstellte. Der erste Befund also: ökologische Schönfärberei grassiert. Der zweite Befund: Dies geschieht häufig mittels schwammiger, allgemeiner Formulierungen. Deren Begründungen fehlen oft komplett oder sind für Konsumentinnen und Konsumenten nur schwer überprüfbar oder nachvollziehbar.
In der Schweiz hat nun die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) begonnen, genauer hinzuschauen. «Es fällt auf beim Einkaufen: Hersteller versuchen immer stärker, auf vermeintliche Umweltaspekte ihrer Produkte hinzuweisen», sagt Josianne Walpen vom Konsumentenschutz. In der Schweiz würden zwar zahlreiche, von unabhängigen Stellen geprüfte Labels existieren, welche tatsächlich einen Mehrwert bieten. Doch immer öfter würden Produkte oder einzelne Eigenschaften als nachhaltig dargestellt, ohne dass sie es sind. Die SKS hat zahlreiche Beispiele gesammelt und erste Muster erkannt.
Anzeichen für Greenwashing sieht Walpen, wenn:
• nicht definierte Begriffe wie «natürlich», «nachhaltig», «verantwortungsvoll», «partnerschaftlich», etc. verwendet werden;
• nur ein Aspekt des Produktes als nachhaltig hervorgehoben wird – etwa die Verpackung oder eine einzelne Zutat wie RSPO-zertifiziertes Palmöl;
• das Produkt in die Nähe von Bio-Produkten gerückt wird, obwohl es nur einen Aspekt erfüllt wie eine pestizidfreie Produktion;
• auf der Website die Richtlinien für nachhaltig produzierte Produkte und Rohstoffe nicht einsehbar sind;
• Marken und Produktlinien wie ein Öko-Label daherkommen, aber kaum oder keinen Mehrwert bieten.
Die SKS sammelt nun weitere Beispiele und fordert Konsumentinnen explizit auf, besonders störende Beispiele mit Foto zu melden. Nach dem Sammeln des Beispielmaterials will Josianne Walpen prüfen, wie die SKS am besten gegen Greenwashing vorgehen kann.

Drei Beispiele des Konsumentenschutzes

Mit dem Eigenlabel M-Check bewirbt die Migros zum Beispiel die vorgeblich plastikfreie Verpackung von Spargeln. Zur Zertifizierung schreibt Migros auf der Website bloss: «Jede Dimension der Nachhaltigkeit wurde mit einem externen Partner erarbeitet. Das Bewertungssystem mit seinen Kriterien gründet daher auf wissenschaftlichen Grundlagen.» Infosperber fragte bei der Migros nach: Weshalb wird die Verpackung und nicht das Produkt derart intensiv beworben? Auf dem M-Check sieht man nicht, inwiefern die Banderole geprüft wurde. Wo findet man diese Informationen? Diese Fragen beantwortete die Migros nicht. Ein Mediensprecher wies bloss darauf hin, dass die abgebildete eigenzertifizierung der Verpackung gar nicht mehr existiert. Wann wurde diese eingestellt? Wurde die Verpackung überhaupt jemals zertifiziert? Auch diese Fragen wurden nicht beantwortet. Weil man keine Verpackungen vernichten wolle, könne es aber sein, dass noch alte Verpackungen im Umlauf sind. Aktuell gäbe es nur eigene M-Check-Zertifizierungen für Tierwohl und Klimaverträglichkeit. Auf der neuen Verpackung werde nur noch diese des Spargels hervorgehoben.
Die Unilever-Marke Knorr bewirbt eine Minestrone als besonders «nachhaltig». Was die Firma darunter versteht ist aber auf den ersten Blick nicht erkennbar. Auf der Website steht ein ausführlicher Leitfaden mit zahlreichen Kriterien zum Download bereit – verfasst von Firmenvertretern und bloss in Englisch. Zudem hebt Knorr folgende Bemühungen in Sachen nachhaltigen Gemüseanbaus hervor: Die Tomatenbauern liessen sich bei der Schädlingsbekämpfung durch einheimische Tierarten helfen. Oder Wasser werde eingespart. Infosperber wollte von Unilever wissen: Was versteht Knorr unter «nachhaltig angebautem Gemüse»? Wer überprüft die Einhaltung des Leitfadens? Ohne konkreter zu werden, teilte Unilever mit, der eigene Leitfaden definiere, was als nachhaltig zu verstehen sei: «Die Einhaltung wird durch eigene Nachweisführung, durch interne und durch unabhängige externe Audits geprüft.» Transparenz sieht anders aus.
Ein Müesli des Schweizer Herstellers Bio-Familia wird mit den Attributen «natürlich und nachhaltig» beworben. Doch auf der Verpackung wird nicht klar, was damit gemeint ist. Auf Anfrage erklärt die Mediensprecherin Nadja Degelo, dass sich dieser Claim auf das Gesamtunternehmen beziehe. «Natürlich» meine: Keine zugesetzten Aromen (ausser Vanillin), keine Farbstoffe, keine Geschmacksverstärker, keine künstlichen Süssstoffe, schonende Verarbeitung, keine Konservierungsstoffe. Nachhaltig bedeute: Schweizer Rohstoffe, wo immer möglich, kein Palmöl, GVO-frei, klimaneutrale Verpackungen für alle Familia-Müesli. Zudem beziehe das Unternehmen 100 Prozent Ökostrom und habe seinen Sitz in einem Minergiegebäude. Beim konkreten Müesli beziehe sich «natürlich» auf den gesundheitlichen Zusatznutzen des Produktes durch einen hohen Anteil der natürlichen Nahrungsfaser Beta-Glucan. Diese verringere nachweislich den Cholesterinspiegel im Blut. «Nachhaltig» meine den Einsatz von Schweizer Rohstoffen (Schweizer Zucker, Schweizer Vollkornmehl – Weizen, Roggen, Gerste –, z.T. Sonnenblumenöl und Salz) sowie die klimaneutrale Verpackung.

PASCAL SIGG, INFOSPERBER.CH


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