Nachts im Fischerdorf – die weltweit erste Gemeinde der Wiedertäufer
20.03.2025 Region4. Teil
Zur Reformationszeit werden in der Stadt Zürich die Wiedertäufer zum politischen Problem. Der Rat lädt zu klärenden Aussprachen ins Rathaus, später aus Platzmangel ins Grossmünster. Schliesslich befiehlt er auch in Zukunft den ...
4. Teil
Zur Reformationszeit werden in der Stadt Zürich die Wiedertäufer zum politischen Problem. Der Rat lädt zu klärenden Aussprachen ins Rathaus, später aus Platzmangel ins Grossmünster. Schliesslich befiehlt er auch in Zukunft den bisherigen Brauch der Kindertaufe und erlässt einschneidende Mandate gegen die Abweichler. Im damaligen Fischerdorf Zollikon bildet sich die weltweit erste Gemeinde der «Wiedertäufer».
In Ruedi Thomanns Stube in Zollikon
Es wird bekannt gemacht, dass die massgeblichen Befürworter der Erwachsenentaufe Brötli, Castelberger, Hätzer und Reubli aus der Stadt verbannt werden sollen und das zürcherische Staatsgebiet innerhalb von acht Tagen, vom 21. Januar 1525 an gerechnet, zu räumen haben. Ruedi Thomann, ein schon älterer Bauer aus namhaftem Zolliker Geschlecht, jedoch will innerhalb dieser Frist zwei der Ausgewiesenen noch einmal bei sich sehen. Er lädt die Theologen und Täuferanführer Brötli aus Zollikon und Reubli aus Witikon zu einem Abschiedsessen in sein Haus ein. Es soll eine – verbotene – religiöse Versammlung werden. Sie findet am Mittwoch, den 25. Januar 1525 in dem «Gstad» genannten Dorfteil in Zollikon statt (später Gstadstrasse 23—25). Auch Marx Bosshart, der Tochtermann Thomanns ist anwesend. Während des Abendessens stossen die Täuferanführer Felix Manz und Jörg Blaurock hinzu. Nach dem Nachtessen erscheinen drei weitere Besucher: Heinrich Thomann, der Bruder Ruedis, Jakob Hottinger, ein älterer Mann, sowie Hans Bruggbach. Neun Männer sitzen um einen Tisch und halten eine Bibelstunde. Sie lesen im Neuen Testament und besprechen sich darüber. Worüber reden sie? Von der Sündenverlorenheit und davon, dass nur jene Menschen gerettet werden, die Busse tun und sich taufen lassen.
Plötzlich steht Hans Bruggbach auf. Er beklagt seine Sünden, ja er «weinete und schrye (schrie), wie er ein grosser Sünder were». Er fleht seine Genossen an, dass sie Gott für ihn bitten möchten und wünscht, dass man ihn taufe. Die Taufhandlung ist schlicht, aber nicht formlos. Vielmehr ist sie in eine kurze Liturgie eingebettet, die von Blaurock und Manz im Wechsel gesprochen wird. Blaurock richtet zuerst an Hans Bruggbach die Frage, ob er die Taufe begehre. Bruggbach bejaht. Nun zitiert Manz aus Apostelgeschichte (Kap. 10, Vers 47) die Frage, ob jemand Gründe zur Taufverweigerung habe. Blaurock antwortet: «Niemand.» Jetzt ergreift Manz eine metallene Schöpfkelle, giesst damit Wasser über den Kopf von Hans Bruggbach und sagt: «Ich taufe dich im Namen Gott Vaters, Gott Sohnes und Gott Heiligen Geistes.»
In der gleichen Versammlung folgt eine zweite Taufe. Der schon ältere Jakob Hottinger, ein hitziger Anhänger von Manz und Grebel, steht auf und lässt sich ebenfalls von Manz taufen. Während die anwesenden Blaurock, Brötli, Manz und Reubli wenige Tage zuvor die Wiedertaufe empfangen hatten, vermutlich an der Neugasse beim Grossmünster in Zürich, bleiben drei, die sich nicht zur Taufe entschliessen können: Ruedi Thomann, Heinrich Thomann und Marx Bosshart.
Von Heinrich Thomann wissen wir, dass ihn der Abend abgestossen hat. Beim Anblick der Taufhandlung geht ihm, wie er sagt, der Schweiss aus, der Angstschweiss, der dem alten Mann aus den Poren tritt. Sein Inneres widersetzt sich. Hätte er mitmachen müssen, wäre er zur Tür hinausgelaufen. Da spendet Felix Manz ein Laie die heilige Taufe, in neuen, ungewohnten Formen und dazu an Erwachsene, die doch schon einmal getauft worden waren. Aber Heinrich Thomann ist der einzige, dem es in der Versammlung vom 25. Januar unheimlich wird. Sein Bruder Ruedi steht als Gastgeber der Täuferbewegung nahe.
Auch Marx Bosshart ist positiv berührt. Zwar kann er sich an diesem Abend noch nicht dafür entscheiden, sich taufen zu lassen, aber was er miterlebt hat, bohrt in ihm in der Nacht fort, «ficht es ihn an». Er findet keinen Schlaf. Gegen Morgen bricht die erbetene Erkenntnis mit Gewalt durch. Er weiss jetzt: Du musst dich taufen lassen. Er steht am Donnerstag, den 26. Januar, in aller Frühe auf und weckt den Schwiegervater, dazu Manz und Blaurock. Es kommt zwischen dem jungen Bauern und Blaurock zu einer Unterredung. Blaurock bemerkt zu Marx: «Du bist bisshar ein jung frölich man gsin» und ermahnt ihn dann (in Anlehnung an Epheser 4, 22—24), den alten Adam abzulegen, den neuen anzuziehen und Busse zu tun. Bosshart ist dazu bereit. Und Blaurock vollzieht an Marx Bosshart die Taufe. Der Wiedergetaufte wird noch im gleichen Jahr täuferischer Wanderprediger im Zürcher Oberland.
Dem Zolliker Heinrich Thomann sind «die har zuo bärg gangen»
Blaurock bedrängt nun den bisher zögerlichen Ruedi Thomann: «Du bist ein alter Mann und dem Tode nahe, auch du musst Busse tun und die Taufe begehren!» Ruedi ist dazu willig. Von den Teilnehmern der Versammlung vom 25. Januar haben nun, der Aussenseiter Heinrich Thomann ausgenommen, alle das Zeichen der Taufe empfangen. Aber Blaurock bleibt unzufrieden. Er bedrängt Ruedi Thomann, er solle, wie es in der Apostelgeschichte (16, 33) von dem Gefangenenwärter zu Philippi berichtet wird, auch an seinen Angehörigen und an seinem Gesinde die Taufe vornehmen lassen. Thomann ist einverstanden, und so wird auf dem Bauernhof im Gstad an diesem Januarmorgen eine Gemeinschaftstaufe vollzogen.
Zwei Tage später, am Freitag, dem 27. Januar 1525, wird ebenfalls im Gstad (heute Bahnhofstraße 3), bei Hans Murer eine Hausversammlung veranstaltet. Brötli leitet sie und kann Lienhard Bleuler, Konrad Hottinger und Hans Bruggbachs Sohn aus Zumikon taufen.
Die erste Täufergemeinde ist entstanden. Nur Heinrich Thomann verhält sich auch diesmal unbekehrbar. Er bekundet später, es seien ihm, als er die Taufe der drei Männer mit ansah, «die har zuo bärg gangen«.
Die Wiedertäufer drängen in die Landschaft
Die Täufer gedenken sich nicht einzuigeln. Sie verspüren ihren Auftrag zu missionieren und zu retten. Sie breiten sich vereinzelt und massenhaft aus, nach allen Richtungen im ganzen Zürcher Herrschaftsgebiet, vor allem im Zürcher Oberland und im Tösstal Ihre Präsenz im Unterland, im Knonauer Amt und in der Herrschaft Wädenswil wird ebenfalls aktenkundig. Auch in der Grafschaft Kyburg nimmt die Täuferbewegung zu, was aus einem späteren Verhör mit dem Elgger Täufer Jacob Wetzel hervorgeht. Gegenüber der damaligen Gesamtbevölkerung blieben jedoch die Täufer eine Minderheit. Seit den Bevölkerungslisten von 1634 waren im Zürcher Herrschaftsgebiet gerade einmal 182 erwachsene Täufer fassbar geworden.
Im Zürcher Weinland werden Wiedertäufer bereits in ihrer Anfangszeit von 1525-1527 erwähnt, zuerst in Marthalen! Zum ersten Täuferprediger in Marthalen gibt es im Staatsarchiv Angaben, die nicht nur archivalisch interessant sind. Das Gedankengut der Täufer und ihr Verhalten wiederum im zürcherischthurgauischen Grenzgebiet zur Reformationszeit vermögen sogar Ueberlegungen zu den die Generationen überspringenden Frömmigkeitsarten anzuregen.
Über die Täufer in der Region Elgg und des Eulachthales fehlen ertragreiche Angaben. Vermutlich gab es in dieser Region mindestens anfänglich keine eigentliche Täufergemeinde, eher einzelne Täufer und wenige Familien. Das Täufertum dürfte aber auch in Elgg in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein Thema gewesen sein.
MARKUS SCHÄR