Möchtegern und Einfachtun
27.09.2025Der Federdirigent … schreibt sich augenzwinkernd von der Seele, was er nicht für sich behalten kann.
Es waren zwei Wandergesellen. Der eine hiess Möchtegern, der andere Einfachtun. Sie hatten das gleiche Ziel: Erfüllung, die Hauptstadt des Landes ...
Der Federdirigent … schreibt sich augenzwinkernd von der Seele, was er nicht für sich behalten kann.
Es waren zwei Wandergesellen. Der eine hiess Möchtegern, der andere Einfachtun. Sie hatten das gleiche Ziel: Erfüllung, die Hauptstadt des Landes Leben. Auf diesem Weg lernten sie sich kennen, eher zufällig. Möchtegern beobachtete Einfachtun dabei, wie er das tat, was er am besten konnte. Mit Bravour und ohne sich darum zu kümmern, was andere denken. Möchtegern war neidisch, denn Einfachtun erntete viel Applaus dafür. Und doch setzten sie zusammen ihren Weg fort.
Möchtegern wollte von Einfachtun wissen, wie er zu dem Handwerk gekommen sei. Vieles habe er ausprobiert, aber als er jenes entdeckt hatte, was er gut und gern macht und dabei noch anderen Freude bereiten konnte, konzentrierte er sich darauf und wurde dabei zum Meister seines Fachs.
«Und du? Was ist dein Metier, deine Bestimmung?», fragte Einfachtun seinen Weggefährten.
Möchtegern hatte diese Frage befürchtet, räusperte sich kurz und begann: «Auch ich kann etwas ziemlich gut..., aber es ist nicht das, was ich möchte. Ich würde lieber...!» «Stop, stop, stop!», unterbrach ihn Einfachtun. «Bevor du mir erzählst, was du lieber möchtest, zeig mir, was du ziemlich gut kannst!» «Ach nein, Einfachtun, das ist nichts Besonderes! Das würde dich langweilen.»
Nun wurden die Gesichtszüge von Einfachtun sehr ernst. Er blickte Möchtegern in die Augen: «Mein lieber Freund! Bevor du nicht deine Bestimmung bis zur Perfektion getrieben hast, beginne nichts Neues! Sonst verpasst du vielleicht dein Leben und holst dir dabei nur eine blutige Nase! Also los: Zeig mir, was du kannst!»
«Nein, mein lieber Einfachtun, das ist nichts Spektakuläres, das möchtest du gar nicht sehen!», reklamierte Möchtegern. «Na hööör mal, Möchtegern», nahezu beleidigt erwiderte Einfachtun, «noch bestimme ich selbst, was ich gerne sehe und was nicht! Komm schon!»
Einfachtun meinte es ernst. So begann Möchtegern sein vermeintlich Unspektakuläres zu präsentieren. Er musste nicht lange studieren, wie er es anzustellen hatte, sondern es floss einfach aus ihm heraus. Mit der Zeit schlug die anfängliche Widerwilligkeit in Freude um. Möchtegern schien förmlich über die Strasse nach Erfüllung zu schweben. Er bemerkte nicht, dass die Gesichtszüge von Einfachtun von anfänglicher Freude, über massloses Staunen, in große Bewunderung umschlugen. Viele Vorübergehende blieben stehen und schauten ihm erfreut zu.
Bevor du nicht deine Bestimmung bis zur Perfektion getrieben hast, beginne nichts Neues!
Als er schliesslich geendet hatte, erwachte er von seinem Tun unter tosendem Applaus und Gejohle der Umstehenden. Wenn auch Einfachtun überrascht zu sein schien, niemand war überraschter als Möchtegern selbst. Tränen traten in seine Augen und langsam schien er zu begreifen, dass dieses Eine, für welches er sich geschämt hatte, seine Bestimmung war!
Einfachtun umarmte ihn voller Freude und flüsterte ihm ins Ohr: «Du lieber Mann, weisst du eigentlich welchen Schatz du bis jetzt der Welt vorenthalten hast? Was für eine Vorstellung! So etwas habe ich noch nie gesehen!»
Als sich alle wieder beruhigt hatten und ihrer Wege gingen, bemerkte Einfachtun: «Heute habe ich gelernt, dass ich andere ermutigen kann, ihre eigene Bestimmung zu finden, um zu erleben, wie die Welt sich durch sie verändert. Und ...», Möchtegern schnitt ihm das Wort ab und setzte denn Satz fort:» ... und ich habe gelernt, dass ich nicht andere nachäffen muss, um der Welt das zu geben, was ich zu geben habe. Ich muss nur das tun, was mir in die Wiege gelegt wurde», und augenzwinkernd, eine Freudeträne verkneifend, fügte er hinzu: « ... denn das kann ich offenbar brilliant!» Die beiden schauten sich an und mussten lauthals lachen.
Möchtegern und Einfachtun erreichten zusammen die Stadt Erfüllung. Beide leben noch heute dort und sind gute Freunde geworden. Man munkelt, Möchtegern hat seinen Namen geändert. Man nennt ihn jetzt: Tuegern.
The End
Ich werde den Gedanken nicht los, dass ich alle drei in mir vereine: Einfachtun, Möchtegern und Tuegern.
STEFAN WANZENRIED
DER FEDERDIRIGENT