Migrationsdruck auf Gemeinden nimmt weiter zu
14.03.2023 HagenbuchDie Flüchtlingszahlen nehmen zu, wie schon lange nicht. In der ganzen Schweiz vermehren sich die Unterbringungsschwierigkeiten. Der Kanton Zürich hat die Hauptlast zu tragen und lässt nun Druck nach unten auf die Gemeinden ab. Ab 1. Juni werden Elgg und Hagenbuch merkbar ...
Die Flüchtlingszahlen nehmen zu, wie schon lange nicht. In der ganzen Schweiz vermehren sich die Unterbringungsschwierigkeiten. Der Kanton Zürich hat die Hauptlast zu tragen und lässt nun Druck nach unten auf die Gemeinden ab. Ab 1. Juni werden Elgg und Hagenbuch merkbar mehr Asylsuchende aufzunehmen haben.
Schon 2022 war ein Rekordjahr. Allein 75’000 ukrainische Flüchtlinge flohen in die Schweiz. Doch auch die Zahl der Asylbewerber stieg dramatisch. Für 2023 rechnet das Staatssekretariat für Migration mit 27’000 Asylgesuchen, 3000 mehr als im Jahr zuvor. Die aktuell grösste Flüchtlingswelle seit dem Zweiten Weltkrieg und die zunehmenden Asylzahlen setzen demzufolge auch Kantonen und Gemeinden zu. Der grösste Abnehmer von Asylanten und Asylantinnen in der Schweiz ist der Kanton Zürich. Gemäss Statistik verzeichnete der Kanton im vergangenen Jahr über 16’000 Zugänge. Das sind mehr als 2021 in der Schweiz insgesamt. Die Gemeinden im Kanton erfüllen aktuell die seit 19. April 2022 bestehende Aufnahmequote von neun Asylsuchenden auf 1000 Einwohnerinnen (0,9%). Angesichts der Entwicklungen hat die Sicherheitsdirektion entschieden, die Aufnahmequote auf 1,3 Prozent zu erhöhen. Die Anpassung erfolgt auf 1. Juni. «Der Kanton hat die Gemeinden so lange als möglich entlastet», sagte Regierungsrat Mario Fehr an der Medienkonferenz, «ab Juni ist eine Anpassung der Quote aber unumgänglich.»
Alle Möglichkeiten werden geprüft
Diese weitere Anpassung der Aufnahmequote wird für die Gemeinden nicht einfach zu verdauen sein. Bereits die Erhöhung auf 0,9 Prozent schenkte einigen ein. Für Elgg bedeutet die (noch) aktuelle Quote in Bezug auf die Einwohnerzahl 46 Asylsuchende. «Damit konnten wir umgehen und genügend bezahlbare Wohnungen finden. Bisher konnten alle Personen in solchen der Gemeinde, in von ihr angemieteten oder bei Privaten untergebracht werden», sagt Sozialvorsteher Roger Gerber auf Anfrage. Ähnlich sieht es in Hagenbuch aus, wo 0,9 Prozent zehn Aufnahmen bedeuten. Hier hätte man zu Beginn Dank des grossen Engagements der Bevölkerung das Glück gehabt, dass viele der zugewiesenen ukrainischen Flüchtlinge bei Privatpersonen gut untergebracht und betreut werden konnten, ist vom zuständigen Gemeinderat Simon Heller zu erfahren. Die Gemeinde habe in der Folgezeit gemeindeeigene sowie zugemietete Wohnungen bereitstellen können. Mittlerweile habe sich die Situation so eingestellt, dass alle zugewiesenen Asylsuchenden weiterhin gut versorgt seien.
Die nun beschlossene Quotenerhöhung bedeutet für Hagenbuch fünf zusätzliche Flüchtlinge bereits ab 1. Juni. Die Zeit drängt und Heller sagt: «Die kurze Dauer bis zur Erhöhung der Aufnahmequote zwingt uns zum raschen Handeln, auch wenn nicht klar ist, ob und wann neue Asylsuchende zugewiesen werden. Wir müssen von Tag zu Tag bereit sein.» Die Gemeinde Hagenbuch prüfe deshalb bereits heute verschiedene Möglichkeiten wie Zumietung weiterer Wohnungen, Gästebetten bei privaten Anbietern oder auch der temporäre Aufbau von Containerwohnungen. Eine schwierige Situation, bestätigt sein Elgger Pendant, denn der Wohnungsmarkt sei trocken, umso mehr, was günstige Wohnungen betreffe. Man bedenke, die Gemeinde hat ab 1. Juni zusätzlich 20 Asylsuchende aufzunehmen.
Im Notfall Zivilschutzanlagen
Der Kanton empfiehlt den Gemeinden, für den Aufbau der nötigen Kapazitäten auf Kollektivstrukturen wie Zivilschutzanlagen zurückzugreifen und gemeindeübergreifend vorhandene Einrichtungen zu nutzen. Dies könnte in Elgg gemäss Roger Gerber tatsächlich ein realistisches Szenario werden – zumindest vorübergehend. Man habe seit Mitte letzten Jahres Notplätze in der Zivilschutzanlage eingerichtet, zufälligerweise genau deren 20. «Unsere Ambition bleibt weiterhin, allen Betroffenen einen Platz in einer Wohnung anbieten zu können. Doch was machbar sein wird ist ungewiss», meint er.
Für den Hagenbucher Gemeinderat sei die Zivilschutzanlage im Schulhaus Fürstengarten selbstverständlich eine Option, welche es zu prüfen gelte. Aufgrund der Umstände (Schulbetrieb, Lichtdurchlässigkeit, fehlende Küche etc.) sei dies aber eher als Not- beziehungsweise Übergangslösung in Betracht zu ziehen. «Wichtig ist für die Gemeinde die finanzielle Tragbarkeit, Verfügbarkeit und Wahrung der Menschenwürde», gibt Sozialvorstand Simon Heller zu bedenken, «denn nicht zuletzt müssen wir unter Umständen auch mit beeinträchtigten Menschen, Kindern oder auch Senioren rechnen, was die Unterbringung nicht vereinfacht.»
Verantwortung gegenüber Bevölkerung bewusst sein
Aufgrund der angespannten und weiter erschwerten Asyl- und Flüchtlingssituation muss darauf geachtet werden, dass die einheimische Bevölkerung nicht unter die Räder kommt. So sind Fälle von Wohnungskündigungen zu vermeiden. Das sieht auch Simon Heller so: «Für den Gemeinderat kommt eine Kündigung von Mietverhältnissen zugunsten der Asylsuchenden nicht in Frage. Wir wollen gemeinsam eine Lösung für alle erreichen.» Die Gemeinde Hagenbuch sei bestrebt, die Situation bestmöglich zu meistern. «Bei uns muss niemand auf der Strasse leben. Aber eine Luxusunterkunft darf natürlich nicht erwartet werden.» Man wolle ein fairer Gastgeber sein – für alle. Man koche aber auch hier nur mit Wasser und der Gemeinderat müsse sich seiner Verantwortung gegenüber Hagenbuch und den Einwohnern bewusst sein.
Auch Roger Gerber erachtet Kündigungen als den falschen Weg. Es sei aber denkbar, dass es wegen des fehlenden Wohnraums zu einem konkurrierenden Wohnungsmarkt kommen werde. Das Risiko nehme nun massiv zu, dass die Gemeinde mit privaten Wohnungssuchenden konkurrenzieren müsste und sich allenfalls dadurch eine gewisse Kostentreiberei einstellen könnte. Gerber mahnt: «Dieses Spannungsfeld gilt es genau im Auge zu behalten.» Er sieht aber auch Probleme im Personalbereich. Als die Gemeinde Elgg die neue Stelle für die Asylfürsorge mit 80 Prozent dotierte und besetzte, lag die Quote bei 0,5. Jetzt ist sie mit 0,9 bereits 80 Prozent höher und ein Anstieg auf 1,3 bedeutet das 2,6-fache. Da wird man also weitere Unterstützung suchen müssen.
RENÉ FISCHER