«Kunst ist ein Universum für sich»
01.07.2025 ElggIn der katholischen Kirche präsentieren noch bis zum 7. Juli Elgger Künstlerinnen und Künstler ihre Werke. Ein Besuch lohnt sich schon deshalb, weil in der Kirche ein anderer Blick auf die Bilder möglich ist und der Verkaufserlös einen guten Zweck ...
In der katholischen Kirche präsentieren noch bis zum 7. Juli Elgger Künstlerinnen und Künstler ihre Werke. Ein Besuch lohnt sich schon deshalb, weil in der Kirche ein anderer Blick auf die Bilder möglich ist und der Verkaufserlös einen guten Zweck verfolgt.
Betritt man dieser Tage die katholische Kirche St. Georg, stechen einem die Kunstwerke, die an einer hellen Wand im hinteren Teil des Kirchenschiffes hängen, sofort ins Auge. Verschiedene Formen, Farben und Materialien sind hier auszumachen. Zwischen Aquarellen und Acryl finden sich Tuschezeichnungen, Schwarz-Weiss-Collagen oder solche aus Fundstücken wie ein rostiges Blech oder ein Stein, abstrakt Buntes und zurückhaltend Gegenständliches. Der Pinsel scheint hier nur ein Werkzeug von vielen gewesen zu sein. Dazu tragen die Werke Namen wie «Hoffnung», «Verbindung», «Stone Alone» und «Sommerblumenstrauss» oder sie sind ganz einfach «Ohne Titel». Die Künstlerinnen und Künstler hinter diesen Bildern sind allesamt aus Elgg: Hansjörg Kipp, Edith Schnelli, Marianna Vlieland, Sue Koll und Gemeindeleiter Jürgen Kaesler.
Am 23. Mai fand – unter dem Mantel der «Langen Nacht der Kirchen», an der sich zum ersten Mal auch Elgg beteiligte – in St. Georg die Vernissage dieser Ausstellung mit dem Titel «Neue Oberfläche – neuer Blick» statt. An diesem Abend waren neben den regionalen Kunstwerken vorne im Chor und am Altar auch Original-Lithographien zum Buch Hiob des deutschen Malers und Objektkünstlers Günther Uecker zu sehen. Weltweit bekannt wurde dieser vor allem durch seine reliefartigen Nagelbilder. Den Anlass begleitete ein Vortrag des Rheintaler Galeristen und Uecker-Freunds Aloys Wilmsen zum Leben und Wirken des Künstlers und dessen Bezug zur Religion. Vermutlich war es die letzte Gelegenheit, die interessanten Kunstwerke zu seinen Lebzeiten zu sehen. Nur knapp zwei Wochen darauf, am 10. Juni, verstarb Günther Uecker mit 95 Jahren in Düsseldorf.
Aus den Formen ausbrechen
Die Uecker-Bilder sind inzwischen wieder abgehängt, diejenigen der einheimischen Künstlerinnen und Künstler können weiterhin bestaunt werden. Beim Treffen mit ihnen vor Ort fällt auf: Ihre Bilder sind nicht ihren Namen zugeordnet. Vielmehr fliessen sie ineinander und beziehen sich teilweise thematisch oder formal aufeinander. «Jede und jeder hatte mehrere Werke. Wir haben einfach geschaut, was gut zueinanderpasst, so dass sich daraus eine Einheit ergibt. Wir wollten ausgewogen sein und nicht überladen», sagt Hansjörg Kipp. Schon in seiner Jugend hat der gelernte Architekt Bleistiftskizzen gemacht. Als Künstler arbeitet Hansjörg Kipp seit 2000 mit Aquarell, Acryl und Mischtechnik und hatte schon verschiedene Ausstellungen in der Region. Seine grün-schwarzen Meeresbilder, die ganz oben auf der rechten Seite hängen, seien ganz schnell entstanden, erzählt er. «Jemand hat mich gefragt, ob ich traurig war, als ich diese Bilder gemalt habe. Das war ich nicht. Das ist einfach der Moment, der auf die Leinwand kommt. Dabei fühle ich mich frei. Ich habe kein Thema, sondern fange einfach an zu malen. Ich zeichne auch nichts vor. Das würde mich zu sehr einschränken. Als Architekt habe ich viel mit geometrischen Formen gearbeitet. Heute breche ich deshalb gerne spielerisch daraus aus».
Seine Künstlerkollegin Edith Schnelli, die ihre drei Bilder an gleicher Stelle unter denjenigen von Hansjörg Kipp hängen hat, arbeitet anders. Ihre Werke sind oft in Kursen oder Malferien in der Toscana, in Graubünden oder im Tessin entstanden. So wie dasjenige, das sie mit Tusche angefertigt hat und das sich von ihren anderen beiden Aquarellbildern unterscheidet. «Das ist mein einziges Bild dieser Art, weil wir diese spezielle Technik in einem spezifischen Kurs so gelernt haben. Es heisst «Gemeinsam», weil ich darin zwei Herzen sehe, die zusammenkommen. Ich dachte, das passt zu Ueckers Nagelbildern», erklärt sie. Weiter erzählt Edith Schnelli, dass sie ihre Werke schon zu Hause ausgesucht hatte. «Die Titel «Gemeinsam», «Hoffnung» und «Allzeit» passten für mich zur Langen Nacht der Kirchen». Edith Schnelli, die seit ihrer Schulzeit gerne zeichnet, ist seit den 80er-Jahren künstlerisch tätig. Für ihre Kunst brauche sie Zeit und müsse sich konzentrieren können, sagt sie.
Ein Kuhfladen wird zum Kunstwerk
Jürgen Kaesler hat für seine abstrakten und gegenständlichen Bilder mit Spachtel und verschiedenen Werkzeugen gearbeitet. Einige seiner Werke sind Kunstdrucke, die er übermalt hat. «Überall kann man diese kitschigen Druckleinwände kaufen, beispielsweise mit Waldlandschaften. An diesen hat man sich irgendwann sattgesehen. Deshalb wollte ich zwei Dimensionen zeigen und habe darüber Farbe aufgetragen, um den Kitsch zu unterbrechen», erklärt er. Daraufhin tritt Hansjörg Kipp einige Schritte zurück und stellt dabei fest: «Die Tiefe verstärkt sich, je weiter man sich von dem Bild entfernt. Hier in der Kirche kann man mit einiger Distanz auf die Bilder blicken, das ist zu Hause nicht möglich». Kaeslers Bilder stehen in Verbindung zu denjenigen von Sue Koll und Marianna Vlieland. «Die fliessenden Bewegungen des Bildes «Uferzone» von Marianna Vlieland stellen sozusagen den monochromen Bezug zu meinen farbigen Landschaftsbildern her», sagt er.
Inspirationen können den Künstlerinnen und Künstlern überall begegnen, vor allem aber in der Natur. Edith Schnelli erzählt, dass sie einmal in den Ferien in Val Müstair beim Wandern Richtung Scuol einen «wunderschönen» Kuhfladen gesehen hätte. Sie fotografierte ihn und brachte diesen bei einem Malkurs zum Thema «Abstrakt» zu Papier. «Das wurde wie ein Netz, die verschiedenen Flächen habe ich dann mit Aquarell ausgemalt», sagt sie. Auf einem der Bilder von Hansjörg Kipp ist der Schriftzug «Was isch?» zu lesen. Doch das «h» ist dabei leicht versetzt. So könnte es auch «Was is CH?» heissen – ein cleveres Wortspiel. Für dieses Bild arbeitete er auch mit Zeitungspapier und entwarf so eine partielle Collage. Auf die Frage, was ihm die Kunst gebe, sagt er: «Entspannung». Dem pflichtet auch Jürgen Kaesler bei: «Ich war zuvor in der Psychiatrie und als Spitalseelsorger tätig. Um mit diesen Extremsituationen umzugehen, habe ich zum Ausgleich angefangen zu malen. Dabei konnte ich alles abstreifen und abschalten. Kunst ist ein Universum für sich. Man kann sich dort hineinstürzen, darin versinken und alles herum vergessen», sagt er.
Erlös für guten Zweck
Das kann auch in der Kirche St. Georg beim Betrachten der Bilder passieren.
Falls man sich dann in eines verliebt und es sein Eigen nennen möchte, kann man es zu einem moderaten Preis erwerben. Inspiriert von einer Charity-Ausstellung für Projekte in Syrien, die Jürgen Kaesler 2016 organisierte, wollte der Gemeindeleiter etwas Ähnliches auch für Elgg umsetzen. Deshalb sollen 50 Prozent des Verkaufserlöses einem guten Zweck dienen. «In Elgg gibt es genug Menschen, die sich in finanziell prekären Situationen befinden. Ihnen soll das Geld zugutekommen. Alle Künstlerinnen und Künstler haben sich bereit erklärt, die Hälfte des Erlöses abzugeben», erklärt Jürgen Kaesler. Derzeit gebe es ein berechtigtes Kaufinteresse einiger Menschen, die schon die Ausstellung besucht haben, aber manchmal müsse man natürlich über eine solche Entscheidung nochmals schlafen.
Der Gemeindeleiter freut sich über die bisherigen durchwegs positiven Rückmeldungen zur Ausstellung. Gleichzeitig hofft er aber auch, dass bis zum 7. Juli noch mehr Besucherinnen und Besucher den Weg in die Kirche finden. Für einmal nicht ausschliesslich, um zu beten, sondern sich vor allem der einheimischen Kunst zu widmen. «Diese lebt schliesslich vom Austausch und dem Dialog. Die Kirche bietet gerne eine Plattform, um zu zeigen, wie vielseitig das künstlerische Schaffen in Elgg ist», so Jürgen Kaesler.
SARAH STUTTE
Die Kunstausstellung dauert noch bis zum 7. Juli und ist von 8 Uhr bis 20 Uhr täglich frei zugänglich.