Kontroverse um Asylplätze: Ein Dorf im Zwiespalt
28.09.2024 Aadorf, EttenhausenGerüchte, Misstrauen, auch Angst verbreiten sich in Ettenhausen, seit Pläne für Asylunterkünfte im Dorf bekannt wurden. Eine Info-Veranstaltung sollte Klarheit und Ruhe schaffen. Hat sie? Und was sagt der Vermieter?
Fels des Anstosses ist das ...
Gerüchte, Misstrauen, auch Angst verbreiten sich in Ettenhausen, seit Pläne für Asylunterkünfte im Dorf bekannt wurden. Eine Info-Veranstaltung sollte Klarheit und Ruhe schaffen. Hat sie? Und was sagt der Vermieter?
Fels des Anstosses ist das heruntergekommene Einfamilienhaus an der Weidlistrasse 15. «Da sollen 18 junge, hochkriminelle nordafrikanische Asylanten einziehen», ging es durch die Gerüchteküche. «Das kann nicht gutgehen», warnte eine Votantin am Informationsanlass vom Dienstag und erntete Applaus. «Da laufen junge Frauen vorbei! Wer ist verantwortlich, wenn ‹was weiss ich› passiert», fragte eine andere. Das fragliche Haus, die geplante Asylunterkunft, ist keine 200 Meter entfernt vom Schulhaus, in dessen Turnhalle sich über 200 Ettenhauserinnen und Ettenhauser zur Informationsversammlung versammelten.
Angebot erhalten – und zugegriffen
Doch zuerst erteilte Jacqueline Gabriel vom organisierenden Einwohnerverein Etten-hausen den «Verantwortlichen» das Wort. Man habe viele besorgte Anfragen aus dem Dorf erhalten, viele Gerüchte gehört und Misstrauen gespürt, begründete sie die Dringlichkeit der Veranstaltung. Heute wolle man Antworten erhalten. Dass die Behörden diese Bedenken Ernst nehmen, zeigt das Aufgebot für diesen Abend in Ettenhausen: Drei Aadorfer Gemeinderäte, darunter Gemeindepräsident Matthias Küng, ein Mitglied der Schulbehörde und zwei Vertreter der Peregrina-Stiftung, die im Auftrag des Kantons Thurgau Asylunterkünfte und -betreuung betreibt, standen Rede und Antwort.
Als erstes schilderte Peregrina-Geschäftsführer Eberhard Wörwag seine Sicht der Dinge: Der Stiftung wurden drei Liegenschaften zur Miete angeboten, eine an der Ober-moosstrasse in Aadorf sowie in Ettenhausen an der Elgger- und eben der Weidlistrasse. «Wir sind immer auf der Suche nach Häusern für die Unterbringung von Asylbewerbern», schilderte er seine Arbeit, «als wir die Angebote in Aadorf erhielten, war es be-sonders dringend», weil in Frauenfeld eine Unterkunft nun abgebrochen werde. Man habe dankend angenommen. Die Miete des Hauses an der Elggerstrasse sei unbefristet, die Verträge der beiden anderen Lokalitäten hingegen befristet auf zwei Jahre. Die Gebäude stehen leer, sollen Neubauten weichen.
Ziel ist Rückführung, nicht Integration
In allen drei Liegenschaften sollen Flüchtlinge untergebracht werden, deren Asylantrag abgewiesen wurde und die nun das Land verlassen sollten. Das kann – wegen Wiedererwägungsgesuchen, unvollständigen Papieren, fehlenden Rückführungsabkommen oder ausgesetzten Dublin-Abkommen – Wochen oder gar Monate dauern. Diese Menschen hätten Anrecht auf Nothilfe, das heisst: Unterkunft, Verpflegung und Notfallmedizin. Die Betreuung sei «auf tiefstem Level», denn «wir sollen und wollen sie ja nicht integrieren», wie Wörwag die Richtlinien zitierte. Beaufsichtigt würden sie deshalb nur werktags und tagsüber, kontrolliert gar nicht, denn, wie der Peregrina-Chef betonte: «Es sind freie Menschen, die sich nichts haben zu Schulden kommen lassen.»
Zur Strukturierung ihres Alltags müssten sie aber Haus und Garten selbst sauber halten sowie für sich kochen. Am Nachmittag dürften sie ein paar Stunden für den Forst oder eine Gemeinde arbeiten und ein kleines Sackgeld verdienen (CHF 3 pro Std.), aber «niemandem die Arbeit wegnehmen». Vorgesehen sei, an der Obermoos- und Elg-gerstrasse je 19 Personen unterzubringen, 16 sowie das örtliche Peregrina-Büro an der Weidlistrasse. Die ersten sechs Flüchtlinge sollen schon in diesen Tagen ihre vorläufige Bleibe an der Obermoosstrasse beziehen, kündigte Wörwag an. Dann wolle man da «Schritt für Schritt» die weiteren Plätze belegen, dann jene in der Liegenschaft an der Elggerstrasse. Die Nutzung des Hauses beim Schulhaus an der Weidlistrasse wolle man «so lange wie möglich herausschieben». Vielleicht finde man ja auch noch eine Alternative.
Wichtig war den Peregrina-Vertretern zu betonen, dass in Aadorf und Ettenhausen «keine Problemfälle platziert» werden sollen, also «keine, die kriminell auffällig geworden sind». Mehrfach versicherten sie, es würden «gute, anständige, respektvolle Menschen» kommen, die jenseits der Schlagzeilen auch in der Bevölkerungsgruppe der Flüchtlinge «die klare Mehrheit sind».
Wer garantiert Sicherheit?
Gerade solchen Aussagen scheinen die Ettenhauserinnen und Ettenhauser aber nicht zu trauen, wie die Reaktionen in der Turnhalle zeigten. Für zumindest einen Teil von ihnen scheint klar: Asylant gleich kriminell, zumindest potenziell. «Spät abends wird es gefährlich. Die werden unsere Garagen und Gärten leer räumen», ist sich einer sicher. Für eine Mutter ist klar: «Ich werde meine 8-jährige Tochter nicht mehr allein auf dem Schulplatz lassen.» Was ist mit Drogenhandel, fragt eine andere: «Muss man sich da Sorgen machen?» Und mehrmals auch: «Wer garantiert uns, dass nichts passiert?»
Natürlich kann das keiner der Angesprochenen auf dem Podium – wie auch: «Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit im Leben», antwortet Gemeindepräsident Küng und stellt klar: «Niemand hier vorne will, dass etwas passiert.» Man habe auch Verständnis für die Sorgen der Bevölkerung, versichert er mehrfach. Darum habe die Gemeinde auch bereits beschlossen, die Strassenbeleuchtung statt bis 23 Uhr wieder bis halb eins brennen sowie zusätzliche Securitas patrouillieren zu lassen. Ansonsten habe man wenig Einfluss, erinnert Küng: «Asylpolitik wird in Bern gemacht, nicht in den Gemeinden.»
Auch Eberhard Wörwag hat Verständnis für die Ängste. Er empfiehlt, allfällige Vorfälle umgehend den Peregrina-Mitarbeitern oder der Polizei zu melden, mit der man sehr gut zusammenarbeite, und die auch Schlüssel zu den Gebäuden sowie Belegungslisten hätten.
Wie konnte man das zulassen?
Die Befürchtungen um die Sicherheit der Bevölkerung waren zweifellos die grösste Sorge im Publikum des Infoanlasses. Aber einige waren auch verärgert, dass «an den Einwohnern vorbei» ein Fait accompli geschaffen wurde: Wie konnte die Gemeinde zulassen, dass ein Haus in der Nähe eines Schulhauses für Asylunterkünfte angemietet werden konnte, wollten mehrere Personen wissen.
«Darauf hatten wir schlicht keinen Einfluss», antwortete Gemeindepräsident Küng. Die Liegenschaften wurden der Peregrina-Stiftung von den Eigentümern angeboten, und «das ist ihr gutes Recht». Die Gemeinde selber könne der Peregrina-Stiftung nicht Hand bieten, da sie nicht im Besitz von freien, geeigneten Liegenschaften sei: «Oder sollen wir einem langjährigen Mieter künden, um Platz zu schaffen für Asylunterkünfte?» Zudem versicherte er, dass die fraglichen Liegenschaftsbesitzer nicht aus finanziellen Gründen gehandelt hätten, sondern «weil sie finden, dass das eine gute Sache ist».
Gelächter auf diese Aussage und Voten aus dem Publikum offenbaren, dass das nicht alle glauben: «Warum sind die nicht da?», wurde gefragt, und «was wird denen bezahlt?» Jacqueline Gabriel vom Einwohnerverein antwortete, man habe alle eingeladen, zwei seien im Ausland, und «Herr Vetter hat nicht reagiert». – Da ist der Name also gefallen, über den in den Wochen und Monaten seit Bekanntgabe der Pläne für die drei Asyl-Notunterkünfte am meisten geredet wird.
Und was denkt der Vermieter?
Gemeint ist Urs Vetter, Chef der Abteilung Immobilien und Projektentwicklung des gleichnamigen, traditionsreichen Bauunternehmens aus Lommis, und – wie man hier sagt: Die wohl mächtigste Person der Immobilienbranche des Hinterthurgaus. Auch Gemeindepräsident Matthias Küng nennt und meint ihn, wenn er hofft, dass man anstelle der Liegenschaft Weidlistrasse einen «anderen, besseren Standort» findet. Nicht nur, weil das fragliche Haus der Vetter Immobilien AG gehört, sondern vor allem, weil diese noch andere im Raum Aadorf und Ettenhausen besitzt.
Was also sagt der grosse Abwesende des Abends? Kassiert er viel Geld für die Vermietung? Was sind seine Pläne für den Baugrund an der Weidlistrasse? Und wie denkt er über die Aufregung in Aadorf und Ettenhausen, die er in den Augen vieler – nun ja – mitverursacht hat?
Die «Elgger/Aadorfer Zeitung» ruft an. Am Apparat eine freundliche Stimme, der man nach Bekanntgabe des Grundes des Anrufs anmerkt, dass es dem Mann, der spricht, nicht besonders gut geht, dass er sich missverstanden fühlt: «Ich habe es gut gemeint», betont er mehrmals, «Flüchtlinge sind auch Menschen und brauchen eine Unterkunft.»
Er habe schon Liegenschaften an die Peregrina vermietet und nie Probleme mit der Stiftung gehabt. Nachdem eine solche, die als Asylunterkunft diente, für einen Neubau abgebrochen wurde, habe er als Ersatz das Haus an der Weidlistrasse angeboten: «Ich dachte, für Familien mit Kindern sei das doch ideal, da könnten die Kleinen doch schnell Spielgefährten finden.»
Nur Familien? Kann nicht garantiert werden.
Anfangs habe man das auch so im Mietvertrag festhalten wollen, dies dann aber auf Wunsch der Peregrina fallen gelassen: «Man hat mir gesagt, dass es nicht möglich sei, dies zu garantieren», so der Unternehmer. An der Infoveranstaltung vom Dienstag bestätigte dies Peregrina-Chef Eberhard Wörwag indirekt: «Wir wollen das Haus nach Möglichkeit mit Familien belegen», sagt er auf die Frage aus dem Publikum nach der angestrebten Belegung der schulnahen Asylunterkunft, «aber im Asylbereich ist alles so schnell und dynamisch, dass man das einfach nicht versprechen kann».
Was kommt nach der Asylunterkunft? «Wir planen auf der Liegenschaft des alten Einfamilienhauses und der angrenzenden Wiese vier Mehrfamilienhäuser mit je fünf Wohnungen», verrät der Immobilienentwickler. Also 20 moderne Wohnungen. Das Baugesuch werde wohl Ende des nächsten Jahres parat sein für die Eingabe. Geht es bei der Zwischennutzung nur ums Geld? Den auch in der Ettenhauser Turnhalle erhobenen Vorwurf weist Urs Vetter von sich: «Man hat mir für die Zwischennutzung mehr angeboten, als ich wollte», sagt er, «ich habe abgelehnt». Der Mietzins, den er nennt, scheint wirklich nicht überrissen. Zudem habe seine Firma die erste Mietzahlung wieder zurückgeschickt, weil das Haus ja nicht benutzt werde. Vetters Liegenschaftenverwalterin bestätigt die Rückzahlung aus dem akustischen Hintergrund.
Und gäbe es da nicht eine andere, besser geeignete Liegenschaft im Portfolio von Vetter Immobilien AG, die man als Alternative anbieten könnte? «Aber würde dann das Gschtürm nicht einfach da losgehen?», fragt der Vermieter zurück. Davon gehen in der Tat auch die Behördenvertreter in der Turnhalle aus: «Ob eine andere Liegenschaft oder in einer anderen Gemeinde: Es ist immer der falsche Standort», weiss Wörwag aus Erfahrung.
Urs Vetter macht am Telefon aber auch deutlich, dass er der Sache überdrüssig sei: «Ich wurde überschwemmt von negativen Reaktionen», sagt er offensichtlich betroffen, «das ist nicht lustig, wenn man es doch eigentlich gut gemeint hat». Und darum sei er auch nicht an die Informationsveranstaltung in Ettenhausen gekommen.
Nicht von Vorurteilen leiten lassen
Man kann den Vermieter verstehen. Und hofft zugleich, dass dieser Verdruss mit der Zeit verraucht – wie auch die teils endzeitliche Stimmung im Dorf, die ein Votant in Worte fasste: «Es wird ein Ettenhausen vorher und danach geben!»
Denn es finden sich in der Turnhalle auch besonnenere Stimmen. «Wir sollten uns überlegen, was wir tun können, damit es nicht negativ kommt», sagt eine vorsichtig. Eine andere meint, dass es zwar verständlich sei, dass es Ängste gebe, aber: «Man kann diese abbauen, indem man den Kontakt mit diesen Menschen sucht.» Diese Stimmen erhalten ebenfalls Applaus – wenn auch etwas weniger, als die aufgeheizteren Voten.
Selbst Gemeindepräsident Matthias Küng kennt «keine Patentlösung». Aber er weiss: «Wir sind Menschen mit Emotionen und Ängsten, wir müssen mit diesen leben und damit umgehen. Aber wir sollten uns dabei nicht von unseren Vorurteilen leiten lassen.»
MARKUS KOCH