Kampf gegen die Inflation
09.08.2022 ElggZwar ist die Inflation oder Teuerung in der Schweiz im Verhältnis zu den USA und zur EU tief, aber dennoch so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr. Die Auswirkungen sind deutlich zu spüren, weshalb nun mit Zinserhöhungen dagegen angekämpft wird. Urs Beeler von der ZLB versucht die derzeitige Situation einzuordnen.
Coronakrise, Ukraine-Krieg, Klimakrise – ein Problem jagt in letzter Zeit das andere, was Unsicherheiten und Ängste hüben wie drüben mit sich bringt. Finanzmärkte, Wirtschaft und Bevölkerung haben darunter zu leiden und sehen sich vor einer ungewissen Zukunft. Die Inflation in den USA ist im Juni auf Jahresbasis stärker als erwartet auf satte 9,1 Prozent gestiegen und auch in der Eurozone lag sie bei deren 8,6 und damit auf dem höchsten Wert seit Bestehen. Sie geht derzeit regelrecht durch die Decke, erreicht 40-Jahres-HöcHststände – ein Ende nicht in Sicht. In der Schweiz sieht es mit 3,4 Prozent im Juni vergleichsweise zwar gut aus, doch auch hierzulande wird das Inflationsziel (+/- 2%) der Nationalbank klar verpasst. Die Preise steigen und steigen.
Um die sich ausbreitende Teuerung unter Kontrolle zu bringen, hat die US-Notenbank (FED) gerade erst eine weitere Zinserhöhung von 0,75 Prozent beschlossen. Wir erinnern uns: Auch die Schweizer Nationalbank (SNB) erhöhte den Leitzins per 17. Juni um einen halben Prozentpunkt auf minus 0,25 Prozent. Dies sogar vor der europäischen Notenbank (EZB), welche erst einen Monat später um ein halbes Prozent nachzog. Diese Zeitung versucht die Situation zusammen mit Urs Beeler, Niederlassungsleiter der Zürcher Landbank (ZLB) in Elgg, einzuordnen, den Sachverhalt zu erklären und einen Blick in die Zukunft zu wagen.
Ende der Negativzinspolitik bald Tatsache?
Urs Beeler erklärt: «Fakt ist, dass nach Corona der Krieg in der Ukraine ausbrach und mit diesem die Teuerung der Rohstoffe, was die Inflation gesamthaft vorantrieb. Die FED begann dann als erste Notenbank die Zinsen zu erhöhen.» Normal seien Schritte von einem Viertel Prozent, aber man sehe nun markantere von bis zu 0,75 Prozentpunkten, womit man die Inflation in den Griff bekommen will. In der Schweiz hatte man lange praktisch keine Teuerung und seit 2015 Negativzinsen. Die Leitzinserhöhung der SNB noch vor der EZB sei ein sehr starkes Zeichen der Unabhängigkeit gewesen.
Wegen der aktuellen Teuerung erwarte man laut Beeler, dass bei der nächsten Leitzinssitzung der SNB im September ein weiterer Zinsschritt von einem halben Prozent stattfinden wird. Käme es so weit, wäre dies das Ende der Negativzinspolitik. Für die Anleger würde dies bedeuten, dass festverzinsliche Produkte wie Obligationen in Schweizer Franken oder auch Kassenobligationen wieder eine interessante Alternative werden können. «Als Beispiel kann die fünfjährige Kassenobligation der ZLB herangezogen werden», sagt der Bankfachmann, «welche aktuell einen fixen Zinssatz von einem Prozent pro Jahr auszahlt; dies ohne weitere Kosten wie Ausgabegebühr, Kommission oder Depotgebühr.»
Die Vor- und Nachteile der Zinspolitik
Für Sparer hätte eine Erhöhung des Leitzinses in der Schweiz ebenfalls positive Auswirkungen. Bei der ZLB dürfte dies dazu führen, dass ab nächstem Jahr wahrscheinlich auch das Konto- und Sparsortiment wieder Zins abwerfen wird. Urs Beeler sagt: «Voraussichtlich dürften wir etwa ab nächstem Frühling Zinserhöhungen bei den Spar- und Privatkonten sehen. Dies natürlich nicht in grossem Ausmass, aber es wird auf dem Schweizer Bankenplatz einen Eisbrecher geben, der den ersten Schritt machen und die Zinsen für die Sparerinnen und Sparer erhöhen wird.» Die ZLB würde dann logischerweise nachziehen, damit das Geld nicht abfliesst. Geld übrigens, das in den letzten Jahren vermehrt bei der ZLB parkiert worden sei, weil man als eine der wenigen Banken keine Negativzinsen weiterverrechnete.
Zu beachten gelte es aber: Je höher der Leitzins, desto teurer ist es für die Banken, sich Geld zu leihen. Das wiederum bedeutet, dass sie auf der anderen Seite mehr Einnahmen generieren müssen, zum Beispiel durch die Anpassung der Hypothekarzinssätze an das aktuelle Zinsniveau. Für Wohneigentümer, das sah man die letzten Monate, keine einfache Situation. Für solche, die das werden wollen, erschwert oder verunmöglicht die Teuerung im Immobilienbereich ihr Vorhaben. Wie sich das weiterentwickelt, muss man abwarten.
Sicher sei, so Beeler, dass sich Haus- und Wohnungseigentümer wegen steigenden Hypothekarzinsen nicht per se Sorgen machen müssen. Er erklärt: «Vor der Kreditvergabe wird eine Tragbarkeitsberechnung beim Kunden vorgenommen, wobei die Hypothek mit einem Satz von fünf Prozent berechnet wird.» Man habe also noch Spielraum. Aber es sei schon so, dass sich die Leute an die tiefen Zinsen und billiges Geld gewöhnt haben und einige nun bei den neuen Berechnungen der Hypotheken ziemlich erschrecken.
Ein Blick in die Glaskugel
In die Zukunft zu schauen, ist immer ein wenig Kaffeesatz lesen und kommt einem Blick in eine Glaskugel gleich. Auch für Urs Beeler ist es schwierig, die weitere Entwicklung der Inflation vorauszusagen. Er meint: «Es gibt in den USA einen interessanten Indikator: den sogenannten US-Zinsfuture. Dieser zeigt die Erwartungen an die künftige Zinsentwicklung. Aktuell kann dort herausgelesen werden, dass bereits für nächstes Jahr wieder mit tendenziell sinkenden Zinsen gerechnet werden kann. Gründe könnte das verschiedene haben.»
Steigende Zinsen führen in der Regel zu einer Verlangsamung der Konjunkturentwicklung. Die Hüter der Geldpolitik müssen aber achtsam sein, denn wenn die Zinsen zu stark angehoben werden, kann die Wirtschaft in eine Rezession abrutschen. Firmenkonkurse und steigende Arbeitslosenzahlen wären dann das Resultat. Die Geschichte zeigt, dass die USA vor nicht allzu langer Zeit (ab 2016) die Leitzinsen erhöhten und nach drei Jahren bereits wieder zurücknahmen. «Das könnte diesmal theoretisch noch schneller passieren», meint Beeler. Nach der Finanzkrise vor 14 Jahren wurde sehr viel Geld ins System gepumpt. Die Nationalbanken wollten damit die Wirtschaft am Laufen halten, wodurch man aber die Schäden der Finanzkrise nie richtig verarbeitete. In einem gewissen Mass gelang es zwar, denn wir hatten keine Rezession und hohen Arbeitslosenquoten. Wenn man aber heute den Waren- und Geldkreislauf betrachtet, ist Letzterer gegenüber dem Ersteren um ein Vielfaches grösser geworden. Und dies ist ein klassisches Zeichen für eine Inflation. Das muss nun korrigiert werden – die Frage ist nur, ob das die Wirtschaft unmittelbar nach Corona bereits wieder verkraftet.»
RENÉ FISCHER