Jürg Langmeier und seine vierbeinigen «Ferraris»
29.10.2022 ElggDoppelt ausgezeichnet: Einer der erfolgreichsten Hindernisreiter der Schweiz wohnt auf dem zwischen Elgg und Aadorf liegenden Landihof. Jürg Langmeier brachte erst kürzlich gleich zwei Siege mit dem von ihm trainierten Rennpferd Al Cuarto nach Hause.
Auf dem Landihof an der St. Gallerstrasse wuchs der Rennpferdetrainer und -reiter auf. Dort steht sein zu Hause, das auch 34 Pferde beheimatet. Die Hälfte der Tiere geniessen bereits ihre «Pension». Eins davon ist sogar stolze 32 Jahre alt. Reiten ist für ihn weder Arbeit noch Hobby allein, sondern eine Mischung aus beidem. Sieben Tage die Woche, mit mindestens zehn Stunden Arbeit pro Tag – auf dem Hof gibt es immer was zu tun. Der Tag beginnt für Jürg Langmeier, der nicht immer Lust auf Reiten hat, früh: Um 5 Uhr ruft bereits die Arbeit. Er sagt: «Wenn ich morgens aus dem Fenster schaue und es regnet oder schneit, brauche auch ich Motivation, um mich auf den Sattel zu schwingen.»
Als berühmt würde er sich nicht bezeichnen. Vielleicht in seinem Metier, dem Schweizer Pferderennsport, das eine Randsportart darstellt. Der Zweifachvater nahm mit 15 an seinem ersten Rennen teil. Er kann sich gut daran erinnern, denn er wurde Erster. Über seine beiden Söhne im Teenageralter, die mit Pferden nichts am Hut haben, meint Langmeier: «Sie sollen das tun, was sie gerne machen.» Die Pferde müssen jeden Tag in Bewegung gebracht werden. Nebst den Tieren muss er sich noch um die Landwirtschaft kümmern. Während ihn dort seine Nachbarn unterstützen, arbeitet im Stall seine Schwester mit. Angebaut werden Weizen, Mais und Gras, um Heu zu produzieren, denn Letzteres braucht er viel – es gilt schliesslich viele Pferdemäuler zu füllen. Bis auf ein paar bellende Genossen gibt es keine weiteren Vierbeiner auf dem Hof. «Einmal hatte ich eine Kuh, einfach zum Plausch», erzählt der Hofbesitzer.
Gleich zweifach gesiegt
Die Rennsaison dauert von April bis Oktober. «Er hatte einen guten Tag, ich war nur Passagier», erzählt der Profirennreiter über sein sechsjähriges Siegerpferd Al Cuarto. Am 4. September galoppierte Jürg Langmeier am 74. Grossen Preis der Schweiz in Aarau, das wichtigste Hindernisrennen des Landes, mit seinem Wallach als Erster ins Ziel. Nicht mal einen Monat später kam er erneut mit seinem Pferd aufs Podest: Am 65. internationalen Pferderennen auf dem Rossriet Maienfelds, nahe Bad Ragaz. Auf dem Gelände galt es 35 Hindernisse zu überqueren, eine Strecke mit 5400 Metern, von grünen Sprüngen (Hecken) bis zu Natursprüngen, wie Baumstämmen. «Am Morgen war noch nicht klar, ob das Rennen stattfinden wird. Es regnete stark», erzählt er über die Wetterverhältnisse in Maienfeld. Alle Bedingungen müssen stimmen. Der Boden darf nicht zu tief oder rutschig sein. Etwa 5000 Zuschauer tummelten sich entlang der Rennbahn. «Normalerweise schauen etwa doppelt so viele zu.» Die grosse Arbeit mache das Tier. Der Elgger meint bescheiden, er selbst müsse nur darauf achten, bei ihm zu bleiben. Natürlich sei aber die Vorbereitung vor den Rennen, die Hauptaufgabe des Pferdeexperten, entscheidend.
Seit 35 Jahren nimmt Langmeier an solchen teil. Dabei werden auch gerne die Ellbogen ausgefahren. Keiner will dem anderen den 1. Platz schenken. Den Parcours muss sich der Reiter im Vorfeld gut einprägen und üben. Wer einen falschen Kurs einschlägt wird disqualifiziert. Zwischen fünf bis acht Minuten dauert ein Hindernisrennen. Bis zu 60 Stundenkilometer werde dabei galoppiert.
Das Rennpferd, der Athlet
Die höchste Leistung eines Pferds abzurufen, ist das Schwierigste in seinem Beruf. Trainiert wird jeden Vormittag. Er muss selbst entscheiden, wann und wie viel es arbeiten muss. Manche Tiere brauchen mehr Aufmerksamkeit als andere. Ein überarbeitetes Pferd bringt irgendwann nicht mehr die richtige Leistung, genau so wie ein unterfordertes keine zeigt, weil es nicht fit genug ist. All diese Dinge gilt es herauszufinden. «Das hat viel mit Gespür zu tun», weiss Langmeier. «Es kann auch vorkommen, dass sich ein Ross bei einem Trainer nicht wirklich weiterentwickelt. Kommt es in andere Hände, ist es möglich, dass es gleich viel besser wird, nur weil auf eine andere Weise trainiert wird. So ist es wahrscheinlich bei allen Sportarten mit Tieren. Ein Rennpferd ist wie ein Leichtathlet, nur dass dieser reden kann und das Tier eben nicht.»
Doch ein Pferd darf auch mal «id Ferie», denn es braucht Ruhe und Erholung. Siegerpferd Al Cuarto kann sich derzeit auf seinen Lorbeeren ausruhen: Er ist gerade oft auf der Weide und geritten wird nur noch jeden zweiten Tag. Bald hat der Vollblüter sogar einen Monat Ferien. Wer wann trainiert oder Entspannung braucht, hat Langmeier alles im Kopf.
Der Hunger gehört dazu
Die Schattenseiten des Berufs sind Verletzungen: Finger-, Rippen-, Schlüsselbeinbrüche – auch beim gebürtigen Elgger war alles schon dabei. Doch besonders schlimm ist, wenn sich das Tier verletzt. Muskelzerrungen, Sehnenschäden, aber auch Erkältungen und Husten bergen Gefahren für das Tier. All das kann aber auch auf der Wiese passieren. Seine aktiven Rennpferde gehen einmal pro Woche ins Aquatraining, als abwechslung und um die Rückenmuskulatur zu stärken. Ähnlich wie ein Sportler, der zur Physio geht.
Auch wenn der Pferdetrainer heute nur noch Hindernisrennen reitet, wo die Gewichte deutlich höher sind als in Flach-Galopprennen, muss stets das Körpergewicht beachtet werden. «Die ganze Zeit auf das Gewicht achten und einer strengen Ernährung folgen, optimalerweise auch ausserhalb der Saison, ist schon sehr anstrengend. Man macht sich verrückt, will stets zwei bis drei Kilogramm leichter sein», erzählt der Profisportler.
Auf die Frage, ob er vom Pferdesport leben könne, meint Langmeier, dem praktisch keine Zeit für andere Hobbys bleibt, Folgendes: «Reich wird man nicht, nach einer normalen Ausbildung verdient man deutlich mehr. Wenn man jede Arbeitsstunde ausrechnen würde, wäre unser Lohn ziemlich überschaubar.»
Ein berührender Moment
In Elgg, wo Pferdesport so berühmt ist, dass sogar ein Kreisel darauf hindeutet, ist Jürg Langmeier der einzige Profi-Rennreiter. Sein Vater besass Springpferde, eine komplett andere Pferdesportart. Leider wird dem Pferdesport nicht die Aufmerksamkeit gewidmet, die er sich wünschen würde: Oft wird nur dann über die Rennen berichtet, wenn etwas schiefläuft. Es wäre schön zu lesen, welche Pferde an welchen Rennen gut waren.» Ob man ihn auf dem Hof unterstützen könnte, antwortet er: «Es kommt darauf an. Die Pferde sind für Anfänger ungeeignet. Es sind die ‹Ferraris› unter den Pferden. Man fängt auch nicht mit einem solchen Sportwagen an, Auto zu fahren.» Einen der schönsten Momente seiner Karriere konnte er erst kürzlich erleben: «Als anlässlich der Siegerehrung zum Grossen Preis der Schweiz plötzlich die Nationalhymne lief, war ich sehr berührt. Das erlebte ich noch nie. Ich habe nicht damit gerechnet, dass sie sie spielen werden. Die ganze Tribüne stand dabei auf. Es war ein super Erlebnis».
JULIA MANTEL