Jeder Quadratmeter zählt für die Natur
21.12.2024 AadorfAadorf soll grüner werden, im wahrsten Sinn des Wortes. Einerseits möchte der Kanton Private stärker für Biodiversitätsanliegen sensibilisieren und andererseits plant die Gemeindebehörde diverse Massnahmen in diese Richtung – einiges ist bereits konkret ...
Aadorf soll grüner werden, im wahrsten Sinn des Wortes. Einerseits möchte der Kanton Private stärker für Biodiversitätsanliegen sensibilisieren und andererseits plant die Gemeindebehörde diverse Massnahmen in diese Richtung – einiges ist bereits konkret aufgegleist.
Gerade mehrere gute Nachrichten für Befürworter und Fördererinnen von Natur und Biodiversität: Zum einen hat der Kanton in einer Anfang November verschickten Medienmitteilung informiert, dass er eine neue Webseite, eine Beratung via E-Mail oder Telefon eingerichtet hat sowie Beratungen vor Ort anbietet. Andererseits hat Aadorf bereits vor geraumer Zeit ein Positionspapier «Biodiversität und Nachhaltigkeit in der Grünflächenpflege» erarbeitet, in Baugesuchen wird die Gartenplanung auf einheimische Pflanzen geprüft und seit den aktuellen Gemeindenews ist bekannt, dass es den «Schotterkreiseln» und öffentlichen sterilen Grünflächen bald an den Kragen geht. Die Umgestaltungen sind im Rahmen des Förderprogramms «Vorteil naturnah» geplant, das vom Kanton finanziell unterstützt wird. Ab Januar beginnen die Arbeiten, um leblose Flächen in der Gemeinde Aadorf zugunsten der Artenvielfalt aufzuwerten. Im Gemeindehaus liegt unter anderem der Flyer «Jeder Quadratmeter zählt» auf – ein Projekt, bei dem 16 Thurgauer Gemeinden der «Regio Frauenfeld» mitmachen, mit vielen Tipps und Erklärungen rund um eine ökologisch wertvolle Gartengestaltung.
Im Gespräch erklärt Gemeinderat Stefan Brunner, Ressort Raumplanung und Hochbau, dass die angestossenen Massnahmen nun anfangen, Wirkung zu zeigen. Das bereits erwähnte Positionspapier kam aufgrund einer Petition, die er initiiert hatte, bereits 2021 zustande. Es hält die Politische Gemeinde und die Schulgemeinde zu einer pestizidfreien und biodiversitätsfördernden Grünflächenpflege an. Eine weitere wichtige Regelung sieht Brunner im angepassten Baureglement. Darin wird seit 1. November 2023 vorgeschrieben, dass die Aussenbegrünung ausschliesslich mit einheimischen Pflanzen erfolgen soll. «Hier sind Abwägung und gesunder Menschenverstand wichtig. Das fängt schon bei der Frage an, was überhaupt einheimisch ist – gemäss Bund wären demnach alle Pflanzen, die nach 1492 zu uns kamen, nicht zugelassen.» Brunner gibt zu, dass niemand Einfluss darauf hat, was die Gartenbesitzer später im Gartencenter für Pflanzen kaufen – es betreffe nur die im Baugesuch aufgeführte Bepflanzung.
Eine Einbindung der Schüler wäre optimal
Den Vorwurf, dass der Kanton Thurgau im Vergleich mit der Stadt Zürich, die bei Neubauten eine Pflichtberatung für die Gartengestaltung verlangt, etwas hinterherhinkt, lässt der Gemeinderat nicht stehen. Er betont, dass viele Themen, die etwa städtische Gebiete betreffen, im ländlichen Thurgau in der Wahrnehmung vieler Menschen (noch) keine wichtige Rolle spielen, wie etwa Hitzeminderung oder Wasserrückhalt.
Ausserdem sei es vergleichsweise neu, dass in Baugesuchen die Aussenraumgestaltung auch intensiv geprüft werde. Er ist sich sicher, dass im Zuge der Anwendung das Reglement noch feinjustiert werden müsse, das passiere, wenn etwas neu eingeführt werde.
Angesprochen auf die Einbindung der Schulgemeinde in die Grünflächenpflege erörtert Brunner, dass die Schüler nicht direkt in den Prozess involviert würden. Natürlich gebe es Lehrer, denen naturnahe Flächen ein Bedürfnis seien, aber es sei nicht so, dass Schüler innerhalb einer Projektwoche oder des Lehrplans mitarbeiten würden. Das Förderprogramm «Vorteil naturnah» sehe lediglich die Aufwertung von Flächen vor, aber nicht als Unterrichtsfach. «Das wäre sehr wertvoll und eigentlich richtig. Ich kann als Fachperson aufgrund meiner Ausbildung begleiten, aber nicht als Lehrperson fungieren. Mein Ziel ist es, dass wir möglichst viel Flächen erreichen, um entsprechend Wirkung zu erzielen.» Er ergänzt, dass es natürlich die perfekte Lösung wäre, die kommenden Generationen von Grund auf für das Thema zu gewinnen, aber ihm würden Zeit und Kompetenz dafür fehlen.
Ab 2025 verleiht Aadorf einen Gartenpreis
Für Interessierte gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich beraten zu lassen. Einerseits bietet neben dem Kanton auch der WWF Thurgau Informationen und Unterstützung an – damit erreiche man sicher bereits viele, die für Naturthemen affin seien, ist Brunner überzeugt. «Aber auch einen Bericht in der Zeitung lesen nur Personen, die gegenüber diesen Anliegen offen sind. Das gilt auch für ein Vortragspublikum, vor dem ich spreche.» Alle anderen müssten zuerst herangeführt werden, welchen Stellenwert Biodiversität und Artenvielfalt für unser Dasein hätten. Mit den neuen Regelungen für Neubauten habe man einen Riesenschritt in die richtige Richtung gemacht, aber: «Es braucht noch viel Zeit. Aber ob wir noch zwei Generationen für einen Einstellungswandel haben, bin ich mir nicht sicher.» Viele, die einen Naturgarten hätten, seien viel zu wenig stolz darauf, das habe man im Zuge der «Mission B», einer Aktion des Schweizer Fernsehens, vor einigen Jahren gesehen. Freude und Stolz über einen – optisch etwas verwildert und unordentlich – wirkenden Garten sollen über die künftige Aktion «Gartenpreis Aadorf» gefördert werden. Zum ersten Mal wird der Preis im Mai oder Juni 2025 verliehen, die Finanzierung ist momentan für drei Jahre gesichert.
Anspruch auf die Auszeichnung habe nicht ausschliesslich ein Naturgarten, es gehe auch um Gartenkultur, um die Struktur, um den Garten in seiner Gesamtheit. «Ein grosser Baum ist per se etwas Wertvolles, auch wenn er nicht einheimisch ist. Er erfüllt für die Biodiversität eine Funktion und für uns als Menschen bietet er Lebensraum und verbreitet Wohlbefinden.»
Urtica dioica klingt viel schöner als Brennnessel
Seinen Privatgarten beschreibt Stefan Brunner als naturnah. Früher sei er als Gärtner eher konventionell unterwegs gewesen und habe Dinge getan, die heute für ihn undenkbar seien. «Aber man wird zum Glück schlauer, was man in meinem Garten deutlich sehen kann», erzählt er. Zwar stehe auch in seinem Umschwung eine alte Scheinzypresse, aber immerhin wachse darin eine wunderschöne Wildrose, die auch seinem Nachbarn gefalle. Er habe sogar eine Brennnessel wieder angesiedelt «mit einer Wurzelsperre im Boden», wie er betont. Es handele sich um einen besonderen Ökotyp vom Haselberg mit einem ganz dunklen Trieb. Ausserdem klinge «Urtica dioica» auch viel besser als Brennnessel...
Des Weiteren habe er das Flachdach des Schuppens begrünt – ihm sei wichtig, der Natur etwas zurückzugeben, das mache er in Form möglichst vieler einheimischer Pflanzen, die den Tieren im Herbst und Winter Nahrung bieten. Vor dem Haus stehe eine grosse Magnolie – die ursprünglich aus Ostasien und Amerika stammt – die aber mit ihrem kitschigen Anblick während der Blütezeit Passanten und Bewohner gleichermassen erfreue und damit einen gewissen Wert erfülle. «Das Thema darf nicht zur Glaubensfrage werden. Anderes nicht mehr zuzulassen wäre falsch und nicht zielführend.»
MARIANNE BURGENER
Für mehr Informationen: https://biodiversitaet.tg.ch www.wwfost.ch/themenprojekte/artenvielfalt/naturstadt">https://www.wwfost.ch/themenprojekte/artenvielfalt/naturstadt