«Jeder Mensch tanzt in seinem Rhythmus»
07.06.2025 Elgg, RegionWer über die Feiertage noch nichts vorhat, dem sei das «Afro-Pfingsten»-Festival in Winterthur ans Herz gelegt. Hier wird an diesem Wochenende auch der Elgger Tänzer, Musiker und Choreograf Patrick Juvet Baka teilnehmen. Was er dort genau macht und warum seiner Meinung ...
Wer über die Feiertage noch nichts vorhat, dem sei das «Afro-Pfingsten»-Festival in Winterthur ans Herz gelegt. Hier wird an diesem Wochenende auch der Elgger Tänzer, Musiker und Choreograf Patrick Juvet Baka teilnehmen. Was er dort genau macht und warum seiner Meinung nach alle tanzen können, verrät er im Interview.
Seit wie vielen Jahren engagierst du dich schon für Afro-Pfingsten?
Patrick Juvet Baka: Seit 16 Jahren. Ich bin seit 13 Jahren in der Schweiz, aber ich war schon vorher bei Afro-Pfingsten dabei und habe Kurse perkussiv begleitet. Als ich 2011 hierhergezogen bin, habe ich bei Afro-Pfingsten das erste Mal selber Kurse gegeben.
Beim diesjährigen Festival leitest du wieder das «Family Dancing» und «Family Drumming», das heute und morgen in der Alten Kaserne in Winterthur stattfindet. Was beinhaltet das Programm?
Beim «Family Dancing» erzähle ich eine Geschichte für die Kinder, aus dem Alltag in einem Dorf in der Côte d’Ivoire. Dort stehen die Menschen morgens auf und fegen den Boden. Sie gehen Wasser holen, um zu kochen oder um ihre Kleidung mit der Hand zu waschen. Die Geschichte endet mit kleinen Spielen zum Tanzen. Dabei benutze ich Kalebassen als Requisit. Eine Kalebasse ist eine Kürbisart. Mit diesen Art von Schalen wird in den Dörfern Wasser geschöpft. Die Freude der Kinder daran überträgt sich dann meist auf die Eltern. Das «Family Drumming» ist ebenfalls für die ganze Familie. Dort spielen wir alle zusammen auf den Djembés afrikanische Lieder.
Dass Eltern und Kinder zusammen das Tanzen lernen, ist bei uns eher unüblich. Warum empfiehlst du das?
Es gibt zwei Aspekte. Zum einen gibt es kleinere Kinder, die sich nicht trauen, ohne ihre Eltern zu tanzen. Doch auch für die Eltern ist es eine gute Gelegenheit, mit ihren Kindern etwas zusammen zu unternehmen. Draussen, an einem anderen Ort, gemeinsam Neues auszuprobieren. Ich spreche damit auch speziell die Väter an, von denen einige vielleicht sonst nicht so viel Zeit mit ihren Kindern verbringen können. Diese Art des Zusammenseins motiviert auch die Kinder. Es macht ihnen Spass, diesen Moment mit den Eltern zu teilen. Und diese kommen so wiederum spielerisch mit anderen Familien in Kontakt.
Du bist in der Côte d’Ivoire geboren und hast dort auch deine Tanz- und Trommelausbildung absolviert. War schon immer klar für dich, dass du beruflich in diese Richtung gehen willst?
Ich glaube, es war mehr allen anderen klar, weil sie mich immer tanzen gesehen haben (lacht). Ich habe schon als kleiner Junge gerne getanzt. In der Schule durften wir am Ende des Jahres immer etwas präsentieren und ich war stets mit einer Tanzperformance dabei – von der ersten Klasse bis zur siebten. Mir selbst war das gar nicht so bewusst, es waren andere, die mich in diese Richtung gelenkt haben. Dann ist mein Vater gestorben und ich habe Parfum und Seife hergestellt, um beides zu verkaufen. Das hat gut funktioniert. Trotzdem hat mich das Tanzen nicht losgelassen. Deshalb habe ich irgendwann mein Geschäft zurückgelassen, meine Tasche genommen und bin gegangen.
Nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges im Jahr 2002 bist du nach Mali geflüchtet. Kannst du dich noch an diese Zeit der Unruhen in deinem Heimatland erinnern, die bis 2007 andauerten?
Ich habe den Krieg nicht wirklich erlebt, weil ich Glück hatte. Für ein Engagement in Frankreich benötigte ich ein Visum. Da die Botschaft in der Côte d’Ivoire zu diesem Zeitpunkt bereits geschlossen war, bin ich 2003 nach Mali gereist, um in der Hauptstadt Bamako das Visum zu erhalten. Das hat aber nicht geklappt, und so bin ich für die nächsten sieben Jahre dort geblieben. Ich erinnere mich nur noch daran, dass Gewehrschüsse fielen, als der Krieg ausbrach, und wir uns unter dem Bett verstecken mussten. Das hat mich aber nicht so schockiert, wie der Moment, als ich später von Mali aus meine Mutter anrief und sie mir erzählte, dass sie gerade mit ihren ganzen Habseligkeiten zu Fuss in eine andere Stadt flüchtete. Meine Familie hat der Krieg viel stärker betroffen. Da ist der Gedanke in mir gereift, in Europa mehr Geld zu verdienen, damit ich mich besser um meine Familie kümmern kann. So bin ich dann öfters für verschiedene grössere Engagements im zeitgenössischen Tanz und in Bandformationen, wo ich als Musiker mitwirkte, in europäische Länder gereist. Ich bin aber immer wieder zurück nach Mali, um meine Mutter zu unterstützen. Das ging ungefähr fünf Jahre so, bis ich für ein sechsmonatiges Projekt in die Schweiz kam. Dabei habe ich meine Frau kennengelernt und wollte bleiben. Ich musste aber nochmals einige Male hin- und herreisen, bis ich ein Visum bekommen habe.
Und deine Familie in der Côte d’Ivoire?
Mir hat jemand empfohlen, in der Schweiz Zumba-Kurse zu geben, und damit hatte ich gleich Erfolg. Von dem Geld, das ich damit verdiente, konnte ich jedes Jahr ein- oder zweimal nach Afrika reisen, um meine Familie zu besuchen. Meine Mutter und meine Grossmutter sind nach dem Kriegsende wieder in ihr altes Haus gezogen. Ein Cousin und eine Tante von mir leben auch noch bei ihnen. Da kommt dann immer die ganze Welt zusammen, um meine Grossmutter zu besuchen.
Du lebst seit 2019 in Elgg. Hast du einen Kulturschock erlebt oder fiel es dir leicht, dich einzuleben?
Ich habe vorher in Winterthur gewohnt. Dort habe ich den Kulturschock erlebt. Bei uns in der Côte d’Ivoire sagen sich alle «Hallo». Es gibt keine verschiedenen Arten, sich zu grüssen, und es werden auch keine Unterschiede gemacht zwischen «Fremder» oder «Bekannter». In Afrika gehören alle zur Familie. Wenn der andere ein Problem hat, ist es meins und umgekehrt. In Winterthur stand ich anfangs am Fenster und habe meinen Nachbarn gewunken, da kam keine Reaktion. In Elgg war es zum Glück anders. Hier grüssen sich alle und helfen sich auch gegenseitig.
Wenn man bei dir tanzen lernen will, wo kann man das tun?
Afrikanischen Tanz unterrichte ich regelmässig jeden Freitag von 18 Uhr bis 19.30 Uhr im Schulhaus Neuwiesen in Winterthur und jeden Donnerstag von 20 Uhr bis 21.30 Uhr im GZ Buchegg in Zürich. In Elgg gebe ich Zumba für Erwachsene im Eulachfit. Daneben gebe ich Workshops mit dem Titel «Afrika Erleben» in verschiedenen Schulen. Dabei unterrichte ich afrikanischen Tanz, Rhythmus mit Schlagzeugsticks und Trommeln auf dem Djembé. Am Schluss können die Schüler Fragen über das Leben in Westafrika stellen.
Was erwiderst du jemandem, der dir sagt, dass er nicht tanzen kann?
Jede und jeder kann tanzen. Auch diejenigen, die nicht tanzen. Allein wenn wir vorwärtslaufen, ist das schon eine Bewegung. Jeder Mensch tanzt in seinem Rhythmus. Ich mag es, Menschen zu sehen, von denen gesagt wird, dass sie nicht tanzen können. Wenn sie sich dann zur Musik bewegen, spricht nicht ihr Körper, sondern ihr Herz. Ich glaube, es ist einfach, mit mir tanzen zu lernen. Ich finde einen Weg für die Person, sich individuell auszudrücken. Sie muss nicht alles so tun, wie ich es tue. Dieselbe Bewegung und Geste sieht bei jedem Menschen anders aus, weil jeder seinen Charakter, seinen Körper und sein Herz in den Tanz hineinlegt und dadurch einen ganz eigenen Ausdruck kreiert.
Was fasziniert dich an der Musik?
Ich mag Rhythmen sehr und auch das Entdecken. Bei anderen Musikerinnen und Musikern höre ich zu und ihre Art zu spielen und zu singen, gibt mir selbst Inspiration. Ich teile Musik von Natur aus gerne. Wenn jemand eine Melodie mitbringt, suche ich eine Begleitung, die gut dazu passt. Wenn dann noch jemand singt, jemand dazu tanzt oder noch mehr Perkussion dazukommt, weitet sich die Musik. Das gefällt mir sehr gut.
Wir Westeuropäer haben die Rhythmen nicht so im Blut wie die Südländer oder eben auch Afrikaner. Ist das etwas, was du hier vermisst?
Ich versuche, die Menschen zum Tanzen zu bringen. Ich versuche, die Menschen zur Bewegung zu bringen. Es gibt viele, die keinen Rhythmus haben – auch Afrikaner –, aber die sich trotzdem bewegen. Und wenn sie sich bewegen, bewegen sie sich aus Spass, um die Musik zu spüren. Ich hatte Glück, dass ich schon als Baby den Rhythmus mit auf den Weg bekommen habe. Wenn ich geweint habe, hat meine Mutter mit mir getanzt oder mir Lieder vorgesungen. Und wenn ich als Kind wütend war, habe ich mich bewegt, angefangen zu tanzen und dann gelacht.
Wie viel bedeutet es dir, dass es ein Festival wie Afro-Pfingsten ganz in deiner Nähe gibt, das jedes Jahr die afrikanische Kultur feiert?
Als ich das erste Mal nach Winterthur kam und dieses Festival entdeckte, war ich erstaunt darüber, dass es hier so etwas gibt. Seitdem habe ich mich gefreut, jedes Jahr dabei zu sein. Natürlich ist es anders als bei uns. In der Côte d’Ivoire ist es eine Kultur, auf den Strassen zu tanzen. Wenn bei uns ein Fest stattfindet, wenn du die Musik hörst, brauchst du nicht eingeladen zu werden. Du gehst einfach hin. Dieses Gefühl versuchen wir auch hier mit den Aufführungen und dem Strassentanz zu vermitteln. Wir alle teilen die Energie der Musik. Das geht von den Musikern und den Tänzern über zum Publikum. Und das erinnert mich ein bisschen an die afrikanischen Traditionen. Ich erinnere mich an ein Jahr, in dem es sehr heiss war. Wir tanzten auf einem sehr trockenen Boden. Und als wir tanzten, haben wir den Staub regelrecht aufgewirbelt. Der Staub war wie ich, ich fühlte mich wie in Afrika. Normalerweise gibt es hier in der Schweiz nur geteerte Strassen. Deshalb war dieser Moment so besonders für mich. Ich teile die afrikanische Kultur sehr gerne, weil sie für mich Lebensfreude widerspiegelt.
SARAH STUTTE
Afro-Pfingsten: Family Drumming:
Samstag, 09.30–10.25 Uhr
Sonntag, 09.30–10.25 Uhr
Sonntag, 13.00–13.55 Uhr
Afro-Pfingsten: Family Dancing:
Samstag, 10.30–11.25 Uhr
Sonntag, 10.30–11.25 Uhr
Ort: Alte Kaserne Kulturzentrum Winterthur, die Kurse kosten je 15 Franken
Weitere Infos: www.afro-pfingsten.ch,www.durangodance.ch