Immer der Nase nach
10.01.2023 ElggWer es nicht mehr könnte, würde es missen: die Fähigkeit zu riechen. Wussten Sie, dass man sich mit gewissen Aromen unter der Nase wohler fühlt und sie sogar Heilung versprechen? Verena Stalder-Müller von Verabotanica Elgg gibt Auskunft, wann woran geschnuppert ...
Wer es nicht mehr könnte, würde es missen: die Fähigkeit zu riechen. Wussten Sie, dass man sich mit gewissen Aromen unter der Nase wohler fühlt und sie sogar Heilung versprechen? Verena Stalder-Müller von Verabotanica Elgg gibt Auskunft, wann woran geschnuppert werden sollte.
Seit Jahrhunderten ist die Wirkung von Düften bekannt. Die Industrie missbraucht den Geruchssinn schon lange – um zu manipulieren. Ein Geschäftszweig, der im Leder des neuen Autos, in Markenjeans, supermärkten oder an Hotelrezeptionen für Verführung sorgt. Riechen ist wie kein anderer Sinn so unlenkbar mit Gefühlen verknüpft und kann nicht willentlich ausgeschaltet werden. Beim Einatmen geht der ungefilterte Duft über die Riechrezeptoren ins limbische System. In diesem Teil des Gehirns befindet sich das menschliche Gefühlszentrum, eintreffende Duftinformationen werden so unmittelbar in Emotionen umgewandelt.
Die zertifizierte Aromatherapeutin Verena Stalder-Müller vermittelt ihr Wissen in Gruppenkursen von drei bis acht Personen. Die unterschiedlichsten Leute, Pflegefachpersonen, Lehrer, auch Jugendliche oder ganze Familien, kommen zu Besuch, um mehr über die Welt der Düfte und die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu erfahren. Viele duftende Pflanzen enthalten ein ätherisches Öl. Es kann in Wurzeln, Harz, Blüten, Schalen, Blättern oder sogar Holz stecken. Um beispielsweise an das süsse Öl einer Zitrusfrucht heranzukommen, werden ihre Schalen abgerieben und gepresst. Direkt in der obersten Schalenschicht befinden sich ihre Öldrüsen.
Von Einschlaf- bis Konzentrationsproblemen, Essstörungen, Schwangerschafts- und Kreislaufbeschwerden – die Liste an Leiden, die mit dem richtigen ätherischen Öl gelöst werden könnte, ist nicht kurz. Auch ein verlorengegangener Geruchssinn kann im privaten Riechtraining wiedererlangt werden. Im Gebrauch von ätherischen Ölen ist grösste Vorsicht geboten. Jedes hat seine eigene spezifische Wirkung. Fachwissen zu vermitteln, ist das Ziel der Erwachsenenbildnerin, um Unfällen wie Verätzungen oder Vergiftungserscheinungen bei einer Nutzung vorzubeugen.
Der Husten war verduftet
Einnehmen sollte man sie besser nicht, denn die Vielstoffgemische sind hochkonzentriert. Man braucht zum Beispiel sechs bis acht tonnen Melissenkraut, um ein Kilogramm ätherisches Öl herzustellen. Somit gehört es zu den wertvolleren, wie das des Sandelholzes oder der Rose. Bei der Wasserdampfdestillation entsteht während der Abkühlung das Destillat. Obenauf schwimmt das ätherische Öl, den Rest nennt man aromatische Wässer oder auch Hydrolate. Ein reines Hydrolat kann man in der Küche verwenden, trinken oder einreiben. Rosenhydrolat macht müde Augen wieder fit und das der Pfefferminze hilft bei Kopfschmerzen.
«Meine Tochter hatte als Kleinkind eine tiefe Bronchitis, die einfach nicht weggehen wollte. Die Ärzte wussten nicht weiter, bis man dachte, es sei vielleicht psychisch», erzählt Verena Stalder, «sie hustete teilweise bis zum Erbrechen. Eine Freundin aus dem Aromaladen Farfalla empfahl mir, Lavendel und Bergamotteöl auszuprobieren. Die zwei Entspannungsöle, die man heute noch empfiehlt und auch bei Kindern gut verwenden kann, brachten den Husten ganz ohne Medikamente endlich weg.»
Stalder bittet um besondere Vorsicht, wenn es um eigene Recherchen geht: «Glauben Sie nicht jedem Post im Internet. Pur auf die Haut dürfen nur die allerwenigsten Öle, und das ebenfalls nur in Ausnahmesituationen.» Die Duftexpertin erhofft sich zukünftig mehr für die heilende Kraft der Riechwelt: «Heute hört man viel Falsches über die Verwendung der ätherischen Öle, was gefährlich werden kann. Wenn die kostbaren Aromen in Verruf geraten, werden sie verboten. Das wäre ein grosser Verlust, denn sie leisten in vielen Bereichen einen wichtigen Einsatz und müssten da sogar gefördert und vermehrt eingesetzt werden.» Wenn in der Direktvermarktung keine Gefahrenzeichen auf der Flasche vorhanden sind, ist nach wie vor Vorsicht geboten: «Die ätherischen Öle hier in der Schweiz werden hauptsächlich nach dem Chemiegesetz deklariert. Ausländische Anbieter verkaufen oftmals unter dem Lebensmittel- oder Kosmetikgesetz und umgehen so die Deklaration der Gefahrensymbole. Doch ein Rosmarin- oder Salbeiöl gehört in erfahrene Hände. Man muss wissen, dass damit der Blutdruck erhöht werden oder es in der Schwangerschaft zu frühzeitigen Wehen kommen könnte.»
Die Kraft wohnt in der Umgebung
Über die Kräuterkraft ist über die Jahre viel Wissen verloren gegangen. Doch mit einem Blick zurück zu den Urvätern ist klar: Es braucht keine weithergereisten Gojibeeren oder aufgeweichte Chiasamen. Viele Pflanzen aus der Umgebung werden bedauerlicherweise als Unkraut abgestempelt. Doch auch sie enthalten wertvolle Inhaltsstoffe. Eine Waldheidelbeere oder Leinsamen gehören zum einheimischen Powerfood. Aus Mitbringseln von Wiesen, Feldern und Wäldern können Fussbäder, Badesalze, Naturdeos, Tinkturen und Parfüms entstehen. Verena Stalder war schon immer an Wildkräutern und der entsprechenden Küche interessiert und gibt ihr Wissen gerne weiter. In ihren Kursen werden je nach Thema Bouillons, Gewürzsalze, Schnäpse, Essige und Speiseöle kreiert.
Hinausspazieren und etwas über Gewächse wie die Brennnessel lernen, die vielfältig einsetzbar ist, das ganze Jahr über wertvolle Vitamine liefert und sogar bei Prostataleiden oder schönen Haaren Nutzen verspricht − in Planung ist bei Verena Stalder-Müller ein Vier-Jahreszeiten-Kurs. Laut der Aroma- und Phytotherapeutin sollte man sich in der Umgebung orientieren: «Ich sage immer, die Pflanzen, die in unserem Kulturkreis wachsen, sind für uns gedacht.»
JULIA MANTEL