Im Einsatz für ein besseres Leben
05.11.2022 ElggGut zu wissen, dass es Menschen gibt, die in schwierigen Lebenssituationen für einen da sind. Das Betreute Wohnen Elgg hat dieses Jahr ihre magische Altersgrenze erreicht: Seit 25 Jahren begleitet die Institution Persönlichkeiten mit besonderen Bedürfnissen in Sachen Arbeit, Wohnen und Freizeit.
Die Welt ist voller Herausforderungen, die manche Menschen scheinbar einfacher meistern als andere. Jeder durchlebt Probleme im Alltag, persönliche Niederlagen, Sucht, Schwächen und so manche Schicksalsschläge. Das richtige Handeln ist gar nicht so einfach. Was tun, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht? Am Dienstagabend öffnete die Werkstatt des Betreuten Wohnens (Bewo) ihre Türen für alle Interessenten. Im Industriegebiet an der St. Gallerstrasse befindet sich ein geschützter Ort, in dem ihre Bewohner tun können, was ihr Herz begehrt. Die Nachbarin, die Keller Zargen AG, beliefert das Atelier mit Europaletten, die von den Betreuten zerkleinert und in Holzscheite und Anzünder verwandelt werden. Im Bewo wird in drei Gruppen unterschieden: Die Arbeitsgruppe geht raus, erledigt Unterhaltsarbeiten in und rund um die zehn vorhandenen Wohnungen im Städtchen. Die zweite kümmert sich um logistische Arbeiten. In der Kreativgruppe darf jeder selbst entscheiden und dort in der Werkstatt nach Lust und Laune malen, tonen, häckeln, basteln, flicken, schleifen.
Oder sich um das Wohl anderer Lebewesen kümmern: Schafe, damals beheimatet an der Ettenhauserstrasse, wurden einst von der Institution betreut. Die Bewohner kümmerten sich liebevoll um die Tiere und angestandene Aufgaben. Heute werden sie nur noch von ihnen gefüttert, denn sie wechselten vor vier Jahren den Besitzer. Überschüssiges Brot der Bäckerei Fritz wird geschnitten und getrocknet. Auch der Entenweiher wurde eine Zeit lang vom Bewo instandgehalten. Doch zu viele fremde Enten über dem Teich waren stets im Landemanöver, von der exzellenten Betreuung angelockt, was ein Problem darstellte. Und so wurde auch die Arbeit mit den gefiederten Genossen Geschichte.
Ein schönes Zuhause für jeden
Zu den lebloseren Projekten der Werkstatt gehören unter anderem Möbelrestaurationen und Fahrradreparaturen. Nicht alle Bewohner sind den Gruppen zugeteilt, manche arbeiten in IV-Werkstätten im Raum Winterthur und Frauenfeld. Das Betreute Wohnen zählt 15 Mitarbeiter, die in den beiden Teams Betreuung Wohnen und Betreuung Tagesstätte tätig sind. Ist es ihr Ziel, die Menschen möglichst schnell in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren? «Es ist immer ganz unterschiedlich», so Stephan Huber, der seit über zehn Jahren als Arbeitsagoge beim Bewo Elgg tätig ist. «Die meisten haben eine psychiatrische Erkrankung. Manchmal ist schon von Anfang an klar, dass sie es auf dem ersten nicht schaffen.» Der zweite Arbeitsmarkt wird gegliedert in Tages- und Werkstätten. «Wir betreuen hier eine Tagesstätte für Schwächere. Es hängt von ihrer Leistungsfähigkeit und dem Erkrankungsgrad ab. Angestrebt werden fünf strukturierte Halbtage, an denen man sich sinnvoll beschäftigen sollte, damit niemand in der Wohnung vereinsamen muss. Doch in erster Linie möchte man den Menschen ein Zuhause bieten, mit der Chance, ein ganz normales Leben zu führen. Aktuell bietet die Organisation Platz für 48 Bewohner, nicht alle Zimmer sind belegt. Für den Notfall werden immer zwei freigehalten.
Der Job ist Herzenssache
Manche können auch über Jahre nicht die Lust aufbringen, sich mit den Beschäftigungsangeboten anzufreunden. «Wir lassen unseren Bewohnern den grösstmöglichen Freiraum. Niemand wird zu etwas gezwungen», erzählt Huber. So viele individuelle Geschichten, die nur das Leben schreibt, so unterschiedlich gestaltet sich auch die Betreuung jedes einzelnen. Die Einrichtung verlassen, müssen Leute ständig. «Es ist normal geworden, dass unsere Klienten nach zwei bis drei Jahren gehen», erzählt Sandra Meier, Geschäftsführerin. Von Schizophrenie über Depressionen; es wäre natürlich einfacher für alle Beteiligten, sich um ein gebrochenes Bein kümmern zu müssen. Über die Jahre seien die Hilfesuchenden immer jünger geworden. Ausserdem haben sie häufiger eine eigene Wohnung gefunden.
Man stellt oft fest, dass solche Menschen viel feinfühliger sind als jene auf dem ersten Arbeitsmarkt. «Therapiemethoden und Medikationen haben spürbar einen grossen Sprung nach vorne gemacht.» Wie beschreiben die Mitarbeiter den Alltag? «Die Arbeit lässt sich mit den Tätigkeiten eines Altersheims vergleichen», meint Meier, «denn auch dort sterben Menschen und man muss leider auch damit rechnen, jemanden leblos auffinden zu müssen. Wir sind zwar ein Betreutes Wohnen, doch nicht 24 Stunden anwesend.» «Jeder Tag ist einzigartig und die Zeit vergeht manchmal wie im Flug», findet Stephan Huber. «Es ist für mich eine Herzensangelegenheit, dass unsere Leute ein schönes Zuhause haben.»
«Ich kann die Anwohner in Elgg gut verstehen»
«Die Leute leben am Rande der Gesellschaft, das brauchen wir nicht schönzureden», sagt Sandra Meier. «Ein friedliches Miteinander in der Gemeinde ist für uns das oberste Gebot.» Das Team des Betreuten Wohnens ist immer froh um Rückmeldungen. «Da wir keine rundum Betreuung anbieten, sind wir über jegliche konstruktiven Äusserungen dankbar. Dafür, dass wir bereits Mitteilungen erhalten, möchte ich mich bei den Einwohnern Elggs bedanken. Ich kann verstehen, dass es schwierig für sie ist, wenn Menschen mit Suchtproblemen und psychischen Erkrankungen in solch einer geballten Ladung hier vertreten sind. Doch auch sie sind Söhne, Töchter, Schwestern oder Brüder eines jemanden und brauchen einen Ort zum Wohnen. Und wenn es nicht Elgg ist, dann wäre es eine andere Gemeinde. Darum bin ich sehr dankbar, wenn man mit uns das Gespräch bei Problemen sucht, und bitte um Verständnis.»
JULIA MANTEL
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