«Ich hatte schon immer Fernweh»
20.12.2022 HagenbuchMitte September hiess es Abschied nehmen. Eine junge Hagenbucherin kehrte der Schweiz endgültig den Rücken zu. Mégane Alves da Costa wanderte aus Liebe zur Ferne gemeinsam mit ihrem Mann Roberto nach Brasilien aus.
Schon während dem Studium in Sozialer ...
Mitte September hiess es Abschied nehmen. Eine junge Hagenbucherin kehrte der Schweiz endgültig den Rücken zu. Mégane Alves da Costa wanderte aus Liebe zur Ferne gemeinsam mit ihrem Mann Roberto nach Brasilien aus.
Schon während dem Studium in Sozialer Arbeit wuchs der Wunsch, im Ausland zu arbeiten. Das ständige Fernweh begleitete sie schon das ganze Leben. Mégane Alves da Costa heiratete im Juni. Sie und ihr Mann Roberto lernten sich vor ein paar Jahren kennen, denn sie arbeiteten im selben Betrieb.
Am 18. September hiess es dann: Abflug ins neue Leben. Ein schwieriger Abschied für Familie und Freunde, begleitet von Sehnsucht nach dem Neuanfang. Alvorada (TO) war das Ziel ihrer Reise, die Heimatstadt ihres Mannes, mit knapp 10’000 Einwohnern, etwa in der Mitte Brasiliens liegend. Ihre Muttersprache, Französisch, war in Sachen Portugiesisch hilfreich, es ging nicht lange, bis sie auch diese Sprache fliessend sprechen konnte. «Eine Voraussetzung vor der Einwanderung war, dass ich mich bereits zu verständigen wusste. Ansonsten wäre es undenkbar gewesen», erzählt die 27-Jährige. Bereits zweimal vor der Auswanderung besuchte sie ihr zukünftiges Zuhause. 500 Kilometer liegen zwischen ihr und dem nächsten Flughafen. «Es wären genau 24 Stunden von meiner Haustüre bis zu dieser in der Schweiz.»
Vom Büro auf die Rinderfarm
Nicht nur ihr neues Umfeld, auch ihr Job nahm ganz andere Dimensionen an, denn die Sozialarbeiterin ohne landwirtschaftliche Erfahrung kümmert sich heute um 120 Rinder. «Wir besitzen eine Farm auf 20 Hektaren Land.» Das Paar verkauft ihre Tiere für die Fleischproduktion. Sie verbringen rund sechs Monate auf der Weide. Später werden die Kühe an Dritte verkauft. «Mein Mann wuchs auf einem Hof auf und kennt sich aus. Diese Landwirtschaft haben wir allein auf die Beine gestellt. Das Land war Urwald, komplett verwildert und musste zuerst geformt werden.» Alvoradas Bruttoinlandsprodukt liegt unter den Top Fünf der höchsten von ganz Brasilien. Viel Fleisch und Soja werden dort angebaut. «Nach offiziellen Zahlen des Steueramts sind hier die meisten Reichen des Staats vertreten.» Gehört man zur Mittelschicht, genügen etwa 1000 Franken im Monat. Das beinhaltet Geld für ein eigenes Auto, Miete, Freizeitaktivitäten und andere Bedürfnisse. «Mein Ziel ist es, hier als Sozialarbeiterin zu arbeiten. Der Ausländerausweis ist bereits beantragt. Danach müssen meine Diplome anerkannt werden. Eine Prüfung, in der unter anderem die Sprache getestet wird, folgt im Anschluss», erzählt die motivierte Hagenbucherin.
Brasilianische Lebensfreude
Die junge Auswanderin hatte das Leben in der Schweiz satt. «Jeder ist nur für sich. Die Arbeit hatte in meiner alten Heimat höchste Priorität. In Brasilien arbeite ich zwar auch viel, grundsätzlich an sieben Tagen die Woche, doch die Freizeit gestaltet sich ganz anders. Schweizer haben einfach weniger Spontanität. Der Alltag in der Schweiz ist ein Hamsterrad. Ein soziales Leben gibt es nicht wirklich», erzählt sie und würde es wahrscheinlich als den grössten Unterschied bezeichnen.
«Die Lebensfreude in Brasilien ist grösser, das hat schon mit dem Wetter zu tun. Hier herrschen immer warme Temperaturen. Aber vor allem fühlt sich der familiäre Zusammenhalt stärker und die Nächstenliebe ausgeprägter an.» Spontan zum Grillieren treffen, kommt in der Schweiz im Vergleich zu Brasilien wahrscheinlich eher selten vor. «Die Leute bleiben stehen, reden und trinken etwas mit dir, einfach so.» Im Restaurant gibt es ebenfalls bemerkbare Unterschiede. «Wenn man hier essen geht, dauert es zwei Minuten und du redest mit allen, die auch im Lokal sind», erzählt die offene junge Frau, die ihr neues Umfeld als viel kommunikativer beschreibt. «So etwas sieht man in der Schweiz selten. Die herzliche Art der Menschen erleichtert mir den Start enorm.»
Die Sache mit der Zuverlässigkeit, ist eine andere Moral: «Wenn du dich mit einem Handwerker auf morgen verabredest, könnte es sein, dass er erst nächste Woche kommt», erzählt Alves da Costa. «Mühsam für jemanden mit Schweizer Gewohnheiten. Doch ich rege mich nicht mehr so auf, wie anfangs.»
Das Aromat musste mit
Mégane Alves da Costa fühlte sich in der neuen Heimat sofort akzeptiert. «In der Schweiz wäre ich einfach ‹die Ausländerin›. Hier in Alvorada wurde ich sofort willkommen geheissen, alle wollten meine Geschichte hören und waren begeistert.» Mit sechs Koffern wanderte das Paar damals aus. Im Gepäck durften ein paar Dinge aus der Heimat nicht fehlen. «Aromat musste einfach mit», erzählt sie. Auch Fondue- und Racletteofen hatten keine andere Wahl, als mitzufliegen. In Brasilien gibt es ebenfalls allerlei Käsesorten. Doch es fehlt ihr nicht an Käse oder «Schoggi»: «Das erste Essen, das ich vermisste, war ein Döner.»
Diese Weihnachten kommen die traditionellen Schweizer Utensilien aber nicht zum Zug. «Wir feiern brasilianisch, es wird viel Fleisch vom Grill geben; Truthahn, Rind und vieles mehr.» Beim Dessert sind dann doch noch Gemeinsamkeiten zu finden. «Panettone ist auch hier eine Tradition.»
JULIA MANTEL