Hollywood im Monsun
16.08.2025Seit drei Tagen schon werfen sich die Katzen und Hunde dutzendfach aus dem Himmel – wie es so schön auf Englisch heisst. Der Regen prasselt unermüdlich auf den Asphalt, der schon vorher aussah wie ein nahöstliches Kriegsgebiet. Der kratertiefen Schlaglöcher wegen, ...
Seit drei Tagen schon werfen sich die Katzen und Hunde dutzendfach aus dem Himmel – wie es so schön auf Englisch heisst. Der Regen prasselt unermüdlich auf den Asphalt, der schon vorher aussah wie ein nahöstliches Kriegsgebiet. Der kratertiefen Schlaglöcher wegen, allesamt scharfkantig, wie aus einem Stück Fleisch herausgebissen. Nun haben sich in den Vernarbungen kleine Seen gebildet, die bei jeder Erschütterung vibrieren. Von den mehr oder minder schwachen Beben gibt es viele stadteinwärts nach L.A., denn über die mehrspurigen Strassen rollt ein SUV nach dem anderen. In Klein zu denken, liegt den Amerikanern nicht.
Auch mein Bus bewegt sich holpernd über diese Mondlandschaft. Jede Sekunde lässt er mich an meinem Platz unfreiwillig ein paar Zentimeter in die Höhe hüpfen, so dass ich mich krampfhaft am Vordersitz festhalte, um nicht unangenehm an mein Frühstück erinnert zu werden. Ich versuche mich zu konzentrieren. Den Blick aus dem Fenster, durch den Schleier hindurch, in die Ferne zu werfen. Doch weit komme ich nie. Immer nur bis zum nächsten, sich in die Höhe streckenden Bau und der darauf angebrachten grossformatigen Netflix-Werbetafel. Irgendwie erinnert mich diese flächendeckende Beschilderung in der Engelsstadt an die Schildkrötenformation des römischen Heeres, zum Schutz vor starkem Beschuss. Netflix bläst zum Grossangriff auf die Filmindustrie – nirgendwo sonst spürt man das so deutlich wie hier.
Ok, denke ich, dann vielleicht lesen? Paul Auster oder lieber Charles Bukowski: intellektuelle Kühle oder schmuddelige Bar? New York oder Los Angeles? Da ich in einem Bus durch L.A. rattere, ist die Entscheidung schnell gefallen. Vielleicht bringt mich Bukowski auf andere Gedanken, obwohl – was stand noch auf seinem Grabstein? «Don’t try» («Versuche es nicht»). Damit meinte er zwar etwas Anderes, nämlich sich selbst treu zu bleiben und sich nicht zu verbiegen. Doch wer findet noch Authentizität in einer Stadt, die an jeder Ecke zu einer Filmkulisse geworden ist? «Da drüben standen Richard Gere und Julia Roberts für ‘Pretty Woman’ auf der Feuerleiter. Hier in dieser Kirche wurde ‘Sister Act’ mit Whoopie Goldberg gedreht».
So tönte es zu Beginn meiner Reise, als ich noch trockenen Fusses unterwegs war, aus dem Lautsprecher des gutgelaunten Stadtführers. In dessen rosafarbenen Jeep sass ich samt rosafarbenem Welcome Drink als einzige Schweizerin – was ihn aus mir nicht bekannten Gründen ebenfalls amüsierte – und brauste einmal über die Hollywood Hills und zurück. Munter zählte der Tourguide dabei die Wohnstätten der Stars auf, während Katy Perry winkend an uns vorbei joggte und die Nicht-Schweizer im Auto fast aus demselbigen fielen.
Das war die wasserarme Glamourfahrt. Doch heute fahre ich nasse Holzklasse. Irgendwann hält der Bus und ich steige aus. Orientierungslos kämpfe ich mich irgendwie zu meinem Hostel. Los Angeles sei für Fussgänger genauso ungeeignet, heisst es, wie einen Dschungel während des Monsuns zu durchqueren. Das merke ich auch. An diesem und an den nächsten Tagen. Die vielen Kreuzungen sind verwirrend und geben keine Auskunft darüber, in welche Richtung man sich bewegen soll. Und auch noch Stunden später weiss man nicht, ob man überhaupt vom Fleck gekommen ist. Die Entfernungen sind riesig – die Boulevards und Avenues ziehen sich wie Kaugummi. Zudem ist der Begriff Monsun treffend – es giesst ohne Unterbrechung. Mittlerweile haben die Sturzfluten fast überall Rinnsale gebildet, die sich entlang der Bordsteine schlängeln.
Der Regen hat alles im festen Griff. Es scheint fast so, als hätte er in den schattigen Ritzen gelauert, auf seine Chance gewartet, den sonst so sonnendurchfluteten Hollywood’schen Glanz einfach wegzuspülen. Den Stern von Donald Trump auf dem Walk of Fame, direkt vor dem Dolby Theatre, kann er gleich mit sich reissen. Kein Geld, um Strassen zu sanieren, aber sich Denkmäler setzen. Was für eine Farbe haben eigentlich Lügen? Kopfschüttelnd laufe ich weiter. «God bless you», bedankt sich der Obdachlose, dem ich meine paar Cents in seinen Plastikbecher werfe. Er lächelt und sein Lächeln wirkt ehrlich. Ich mag sein Gesicht, es erzählt Geschichten, einfach so. Und zum ersten Mal an diesem Tag rückt das stete Prasseln in den Hintergrund.
SARAH STUTTE
Die Autorin … … verbrachte einen Teil ihrer Kindheit in Nordrhein-Westfalen, bevor sie mit ihren Eltern ins Wallis auswanderte. Heute lebt sie in Elgg und hat einen Sarah Stutte Beruf, der sie viel reisen lässt. Sie hat versucht, sich das «im Hier und Jetzt leben» zu bewahren. Und auch die Einstellung, dass einem immer alle Möglichkeiten offen stehen und man an jedem Punkt im Leben, diesem wieder eine neue Richtung geben kann. Doch ab und zu hätte sie gerne noch diese unumstössliche Gewissheit, die sie als Kind hatte. Dass die Zeit viel langsamer vergeht und kein Ende davon in Sicht ist.