Herz über Kopf – oder doch mehr Bauch?
22.11.2022 AadorfWirtschaft, Sport und Politik: Diese Worte stehen für den beliebten Event, der in seiner elften Ausführung im Aadorfer Gemeindesaal mit vielseitigem Programm begeisterte. Die Gäste der Talkrunde boten spannende Einblicke in ihr Leben und bisweilen auch in ihre ...
Wirtschaft, Sport und Politik: Diese Worte stehen für den beliebten Event, der in seiner elften Ausführung im Aadorfer Gemeindesaal mit vielseitigem Programm begeisterte. Die Gäste der Talkrunde boten spannende Einblicke in ihr Leben und bisweilen auch in ihre Abgründe, sehr zur Erheiterung von Moderator und Publikum.
Der diesjährige Anlass stand unter dem Motto «Herz über Kopf – oder doch mehr Bauch?». Am erfolgversprechenden Ablauf des Abends wurde nicht gerüttelt, mit dem bewährten Rezept Networking, Gesprächsrunde und Stehdinner mit bekannten Teilnehmenden war der Wirtschaft-Sport-Politik (WSP)-Event auch in diesem Jahr wieder ausverkauft.
Die erste Stunde des Abends stand im Zeichen des ungezwungenen netzwerkens. Zu Häppchen und Apéro konnte im Foyer des Gemeindehauses manch bekanntes Gesicht ausgemacht, manch spannendem Gespräch gefolgt werden. Eine kurze Begrüssung und Vorstellung des Organisationsteams läuteten den zweiten Teil des Abends ein. Moderator Lukas Studer betrat – oder vielmehr – behumpelte die Bühne mit Krücken, er habe versucht, Fussball zu spielen, wie er erklärte. Willkommen geheissen nicht nur vom Publikum – per Video wurde der Sportgast vom Vorjahr, Marc Berthod, zugeschaltet, der sich umgehend über Schiene und Stöcke ebenso lustig machte, wie die drei Gesprächsgäste, die danach das Podium betraten. Susanne Giger, Wirtschaftsmoderatorin, Autorin, Dozentin und Unternehmerin, wurde als erste vorgestellt. Ihr folgten Marcel Dobler, Unternehmer, Sportler und Nationalrat sowie die ehemalige Kunstturnerin Giulia Steingruber, Gewinnerin einer olympischen Bronzemedaille sowie vieler Europa- und Schweizermeistertitel in diversen Disziplinen.
In jeder Hinsicht sehr vielseitige Gäste
Die drei führten sich kurz mit ihrem Werdegang und ihren Hobbys ein. So war von Giger zu erfahren, dass sie eine leidenschaftliche Tänzerin ist, bevorzugt «Shakti Dance», eine Mischung aus Yoga und Tanz. Studers Nachfrage trug ihm prompt eine Einladung zu einer Tanzlektion ein. Dobler sagte von sich selbst, dass er versuche, in Würde zu altern. Nach dem Verkauf seines Unternehmens Digitec habe er mit Zehnkampf und Bobfahren angefangen und es damit je zum Schweizermeister gebracht, auf internationaler Ebene habe er keine bedeutenden Erfolge feiern können. Er könne vieles, aber nichts richtig – eine Aussage, die Studer sofort ausnutzte: «Aha, darum bist du Politiker geworden.»
Steingruber stellte sich als Person vor, die gerne reist und neues entdeckt, als besondere Erlebnisse erwähnte sie Australien und die Fidschi-Inseln. Im Rahmen ihrer neuen Tätigkeit im Marketing ist sie als Mitverantwortliche für die Fanzonen an der Fussball-Euro 2024 viel in Deutschland unterwegs. Zur Weltmeisterschaft in Katar sagte sie: «Ich sehe das Turnier mit den Augen einer Sportlerin. Ich werde die Spiele der Nati verfolgen, die Akteure auf dem Rasen können nichts für die ganze Diskussion.»
Wie jedes Jahr wurden die Gäste gebeten, etwas Persönliches mitzubringen. Als erste präsentierte Susanne Giger ihre Gegenstände. Sie zeigte ihr Buch, das sie über den 90-jährigen Bankier Hans Vontobel geschrieben hatte, und danach einen schwarzen Pullover von Carl Lewis, dem amerikanischen Leichtathleten, der zwischen 1983 und 96 im Sprint und Weitsprung die Konkurrenz dominiert hatte. «Während eines Trainings im Letzigrund hat Lewis sich seiner Hose und dessen Pullis genau vor meiner Nase entledigt. Das Kleiderhäufchen lag so nahe vor mir und er kam einfach nie zurück, die Sachen zu holen. Bevor jemand anders es mitnahm, habe ich den Pulli halt eingepackt», erzählte sie unter Lachen. Giulia Steingruber hatte ihre olympische Bronzemedaille von 2016 aus Rio de Janeiro mitgebracht, die ihr nach wie vor sehr viel bedeutet – schliesslich war sie der Lohn für damals jährlich über 2000 Trainingsstunden. Marcel Dobler zeigte dem Publikum eine rote Krawatte, die sinnbildlich für seinen Start in die Politkarriere steht. Kein Freund dieses Accessoires, habe er nach seiner Wahl zum FDP-Nationalrat erfahren, dass in seiner Partei für das Bundeshaus Krawattenpflicht bestehe; da habe er wohl das Kleingedruckte nicht gelesen ...
Jeder Entscheid lässt Neues entstehen
Danach war Zeit für die erste von drei Thesen, zu der die Gäste Stellung beziehen mussten: «Kopfentscheide bereue ich eher als Herzentscheide.» Nach Dobler eine wahre These, der er beipflichten konnte. Grundsätzlich seien Fehler menschlich und: «Für Kopfentscheide nimmt man sich lange Zeit, Herzentscheide basieren auf Emotionen. Erstere sind schwieriger zu akzeptieren.» Moderator Studer hakte nach und zog als Beispiel die Firma Amorana heran, bei der Dobler nach dem Digitec-Verkauf trotz Anfrage nicht eingestiegen war. «Ja, vielleicht war ich ein Feigling, aber als frischgebackener Nationalrat fand ich es nicht angebracht, als erste Aktion gleich einen Sexshop zu kaufen. Im Nachhinein hätte ich es vielleicht machen sollen», sinnierte der Politiker weiter und erklärte, dass er diesen Kopfentscheid tatsächlich bereut. Steingruber, die sich selbst als stur bezeichnet, erzählte die Geschichte einer Wettkampfteilnahme 2018 in Frankreich, die sie entgegen den Vorzeichen mit dem Kopf durchgesetzt hatte und die endete, wie sie enden musste. Sie riss sich in den ersten Minuten das Kreuzband und vereitelte sich so die Teilnahme an der späteren Europameisterschaft. «Hätte ich auf meinen Körper gehört und die Vorzeichen nicht ignoriert, wäre das nicht passiert.» Susanne Giger sagte, sie hätte grundsätzlich Schwierigkeiten damit, Entscheide zu bereuen: «Schliesslich entsteht aus jedem Entscheid etwas Neues. Ich bereue lediglich, was ich nicht gemacht habe, das Leben ist kurz; es gilt, vieles auszuprobieren.»
Entscheid in Millisekunden bestimmt über Erfolg
«Muss ich eine Entscheidung schnell treffen, entscheidet der Kopf», lautete die zweite These, die Lukas Studer aufstellte und zu der als erstes Marcel Dobler Stellung bezog. Er sagte, dass er in jedem Interview schnell entscheiden müsse, was er sage. Die Fragen der Journalisten seien manchmal perfide und es lohne sich, auch mal zu schweigen, denn: «Was du nicht sagst, kann auch nicht gesendet oder geschrieben werden.» Susanne Giger fügte diesem Statement an, dass auch der Interviewer schnell sein und gescheite Fragen stellen müsse. Je nach Antwort bestimme er, welche Richtung er dem Gespräch geben möchte, und müsse entsprechend die nächste Frage stellen. Für sich persönlich könne Sie einen Vorteil im Älterwerden ausmachen: «Ich fälle viele Entscheide im Kopf, aber gut sind sie erst, wenn auch das Herz mitentscheidet, dann fliesst es. Das fällt mir zunehmend einfacher.» Sie erzählte von ihrer Tätigkeit als Verwaltungsrätin bei Coop und untermalte ihre Ansicht über Kopf- respektive Herzentscheide mit spannenden Beispielen.
Als letzte tat Giulia Steingruber ihre Meinung zu Studers Behauptung kund. Im Kunstturnen müssen während einer Übung innert Millisekunden entscheide gefällt werden, um einen Sturz zu verhindern oder bei einer Landung sauber zu stehen: «Man entwickelt in der Luft das Gespür und entscheidet, mehr Drehung in den Salto zu geben oder früher zu öffnen, um eine perfekte Landung vorzubereiten. Es sind unzählige Gedanken in einer einzigen Sekunde.» Ihre weiteren Ausführungen boten einmalige Einblicke in die Welt des Kunstturnens.
Die dritte und letzte These, «Männer entscheiden eher mit dem Kopf, Frauen vermehrt mit dem Bauch», bediente die aktuelle Genderdebatte. Giger dementierte umgehend: «Meiner Ansicht nach vereint jeder Mensch sowohl weibliche als auch männliche Seiten in sich. Manchmal überwiegt die eine, das nächste Mal die andere.» Im Vorfeld habe der Moderator ihr sein jeweils umfangreiches Prozedere erklärt, das für einen Jeanskauf nötig sei, bevor er sich zum Kauf entschliessen würde. Sie dagegen gehe in den Laden, probiere und kaufe. Entscheide würden mehr durch die Zeit des Findungsprozesses als durch das Geschlecht beeinflusst.
Dass zwischen Männern und Frauen durchaus Unterschiede bestehen, bestätigte die Erzählung aus der Aktivzeit von Giulia Steingruber. So würden sich Frauen vor Wettkämpfen klar strukturiert einturnen, während die Jungs einfach machen würden. Es wirke alles viel lockerer, am Ende funktioniere beides. Sie selbst würde viel über den Kopf beschliessen, zum Beispiel bei der ganzen Diskussion um die ethischen Probleme im Kunstturnen: «Ich habe mich hier komplett zurückgehalten und mich dazu nicht äussern wollen, obwohl ich meine Meinung habe.» Ein klarer Kopfentscheid. Auch Marcel Dobler tat sich mit der Klassifizierung in männliche oder weibliche Entscheide schwer. Dies würde vermitteln, dass es klare Unterschiede zwischen den verschiedenen entscheiden geben würde, was er so nicht stehen lassen wollte, das sei einfach ein Klischee. Ob eine männliche Frau, ein weiblicher Mann oder andersherum, sei letztendlich eine Frage des Charakters. Und: «Ich beobachte, dass je höher die Position einer Frau in einem Unternehmen, umso ähnlicher verhalten sich weibliche und männliche Teammitglieder, ihre Entscheidungen gleichen sich einander an.»
Erstklassige, unterhaltsame Zusammenfassung
Die Diskussionsrunde, durch die Lukas Studer mit der nötigen ernsthaftigkeit und ebenso Humor geführt hatte und der es nicht an gegenseitigen Sticheleien und dem einen oder anderen kleinen Abgrund mangelte, wurde am Ende von Sandra Künzi, Spoken-Word-Performerin, zusammengefasst. Sollte dem Publikum die eine oder andere Pointe entgangen sein, wurde sie spätestens in diesen letzten Minuten noch einmal überzeichnet dargeboten, was erneut für Erheiterung und viel Applaus sorgte. Dieser galt selbstverständlich der gesamten Podiumsrunde und dem Anlass als Ganzes.
Zum Abschluss der sehr gelungenen Veranstaltung wurde ein umfangreiches Stehdinner mit Speis und Trank aus dem Restaurant Heidelberg serviert. Unterstützt wurde das Team von den Damen des Volleyballclubs Aadorf. An den Tischen wurde rege genossen und diskutiert, das Gehörte und Gesehene bot mehr als genug Stoff für Unterhaltungen; unter den Gästen ebenfalls die Teilnehmenden der Gesprächsrunde, die mit Fragen gelöchert wurden. Hier und da wurde wohl bereits auf die zwölfte Durchführung angestossen.
MARIANNE BURGENER