Gute (Tisch-)Manieren schaffen Verbindungen
03.08.2024 ElggGutes Benehmen und einwandfreie Tischmanieren können ein Schlüssel zum Erfolg sein. Wer sein Wissen auffrischen möchte, besucht einen entsprechenden Kurs beim Fachmann. Damit wird der nächste gesellschaftliche Anlass zum Vergnügen und nicht zum ...
Gutes Benehmen und einwandfreie Tischmanieren können ein Schlüssel zum Erfolg sein. Wer sein Wissen auffrischen möchte, besucht einen entsprechenden Kurs beim Fachmann. Damit wird der nächste gesellschaftliche Anlass zum Vergnügen und nicht zum Minenfeld.
Wer dem Wegweiser «Bed & Breakfast Bad Tiefenau» folgt, gelangt in ein kleines Paradies. Idyllisch in Waldesnähe liegt das alte Landgut und ehemalige Heilbad aus der Mitte des 19. Jahrhunderts am Nordhang von Rumisberg und Buecheren. Die Ruhe, die Gebäude und Umgebung eigen ist, scheint auf die Bewohner Susan Kuske und Jörg Gnotke übergegangen zu sein. Doch die beiden sind nicht eingezogen, um dem Nichtstun zu frönen; ganz im Gegenteil. So sollen in Kürze die ersten Gäste in den sanft renovierten Zimmern nächtigen, am langen Tisch frühstücken oder als Teilnehmer einem Back- oder Kochkurs folgen.
Gnotke, der zusammen mit Kuske die Firma Adagio Expert gründete, gibt mit dem Dritten im Bunde, Jens Solbach, Kurse für gutes Benehmen und einwandfreie Tischmanieren. Beides sind gestandene Gastronomie- und Hospitalityprofis, während Kuske der kreative Kopf des Unternehmens ist und sich zudem der Administration und betriebswirtschaftlichen Themen annimmt. Die Lebensläufe der drei sind vielseitig, wie die bunten Blumenrabatten, die den Gartensitzplatz einrahmen.
Als Initialerlebnis für die Benimm-Kurse nennt Gnotke seine Tätigkeit in den 1990er-Jahren als Stewart und Ausbildner bei Schweizer Airlines. Der Umgang mit verschiedenen Charakteren und Kulturen auf engem Raum erfordere ganz besonderes Fingerspitzengefühl. «Es ist wichtig zu wissen, wie man eine schwierige Situation meistert, wann man sich zurückziehen muss, ein Gespräch abbricht oder in eines eintritt.» Mit dieser Erfahrung im Gepäck gab eines das andere und er wurde zum gefragten Experten, anderen gute Manieren beizubringen. Geschäftskunden greifen auf das Know-how zurück, wenn es darum geht, das Management für den Austausch mit anderen Kulturen zu schulen. Private, um sich auf spezifische Anlässe vorzubereiten oder ihr Wissen hinsichtlich heutiger Benimmregeln aufzufrischen.
Im Angebot sind kurze Onlineberatungen, über einstündige bis abendbegleitende Kurse. Akademikerinnen und Manager seien manchmal etwas irritiert darüber, dass sie einen derartigen Kurs besuchen müssten. Am Ende aber bekomme er viel Dankbarkeit zu spüren, erzählt Gnotke. «Ist der Anfangsschreck überwunden, kommen oft Fragen, die den oder die Betreffenden seit Langem beschäftigen.»
Stolperstein Gastgebergeschenk
Gutes Benehmen ist nach Meinung des Experten der Schlüssel, der im entscheidenden Moment weiterbringen kann: «Tadellose Manieren ermöglichen es manchmal, gleich mehrere Felder zu überspringen.» Gesellschaftliche Anlässe sind für Ungeübte wahre Minenfelder. Bereits im Vorfeld stellt sich beispielsweise die Frage, was ein geeignetes Geschenk für den Gastgeber ist. Es bringe nichts, bei einem Anlass mit 100 Personen der Gastgeberin Blumen zu bringen. Wer habe schon dermassen viele Vasen zu Hause? Oder einem Bordeaux-Liebhaber mit einem grossen Weinkeller einen Wein aus den Ferien in Österreich. Viel besser seien da Aufmerksamkeiten aus der Region: ein Honig, eine Konfitüre aus dem Hofladen, hübsch verpackt; ein spezieller Käse oder ein Stück Mostbröckli vom Bauern nebenan. Diese Geschenke erfüllten einen Zweck und beim Genuss denke der Beschenkte positiv an den Überbringer. Auf jeden Fall «etwas Vergängliches».
Sitzt die Gesellschaft schliesslich am Tisch, warten die nächsten Stolpersteine: Welches Besteck ist für welche Speise? Wie sind sperrige Salatblätter zu bändigen? Wie isst man Krustentiere, darf man die Finger zu Hilfe nehmen? Unhöflich sei generell, zu schnell zu essen, sagt Gnotke. «Man muss die anderen beobachten, sich dem allgemeinen Tempo anpassen, in die Gesellschaft integrieren.» Ein Klassiker unter den No-Gos ist das Reden beim Essen mit vollem Mund. Bei der Frage nach dem korrekten Einsatz des Bestecks lacht der Gastroprofi auf: «Der Umgang mit Messer und Gabel ist teilweise komplett unbekannt.»
«C’est le ton qui fait la musique»
Die heutige Gesellschaft mag Regeln, die dem einen oder andern durch die Eltern mit Nachdruck vermittelt wurden, vielleicht belächeln. «Man sitzt gerade, die Hände gehören auf den Tisch, die Ellbogen hingegen nicht. Das Besteck geht zum Mund und nicht umgekehrt.» Wer sie aber befolgt, der gewinnt in jedem Fall. Zusätzlich zu diesen «alten» Vorschriften gilt es heute, den Umgang mit den allgegenwärtigen Smartphones zu beachten. Wo liegt das Gerät während des Essens, welche Anrufe dürfen entgegengenommen werden? Wie ist die Kommunikation gegenüber den anderen Personen am Tisch? «Eine belanglose Plauderei am Telefon bei Tisch ist respektlos und entwertet das vorher geführte Gespräch.»
Wer mit der Situation konfrontiert werde, einen unangenehmen Zeitgenossen am Tisch zu haben, dem rät Jörg Gnotke, die Person höflich auf das unangebrachte Verhalten wohlwollend hinzuweisen. Zum Beispiel: «Könntest du das bitte stoppen. Wir möchten, dass du ein Teil unserer Gemeinschaft bist.» Es bringe nichts, wegzuschauen und sich zu ärgern. Der Fehlbare dürfe aber nicht gedemütigt werden, ein achtsamer Umgang sei wichtiger denn je.
Der «Knigge» ist nach wie vor ein guter Ratgeber
Heutzutage werde oft die angebrachte Distanz zum Gegenüber nicht mehr gewahrt. «Wir kommen uns zu nahe, beugen uns in unhöflicher Manier nach vorne, was für den anderen bedrohlich wirken kann. Oft liegt es jedoch nicht einmal am Einzelnen, sondern wir werden durch äussere Umstände zur Nähe gezwungen. Etwa, wenn Tische zu eng gestellt sind. Das erzeugt automatisch eine etwas aggressive Grundstimmung.» Das Gespräch über Restaurants bringt Gnotke zu manch lustiger oder komischer Geschichte, die er im Laufe der Zeit erlebte. Schmunzeln muss er darüber, wenn Gäste das Tischtuch mit der Serviette verwechseln, sich dann vom Tisch erheben und alles ins Rutschen zu drohen gerät.
Zum Schluss kommt er noch einmal zurück auf den Umgang mit dem Besteck. «Dieses spielt nicht nur während des Essens eine Rolle, sondern auch danach. Wie es hingelegt wird, ist eine eigene Sprache aus der ersichtlich ist, ob der Gast genug hat, ob es schmeckte, oder eben weniger.» Leider ist diese Sprache kaum jemandem bekannt.
Ein guter Ratgeber ist nach wie vor der «Knigge». Die Regeln, die darin aufgeführt sind, seien bis heute mehrheitlich aktuell. Natürlich gäbe es Dinge, die von der Zeit überholt wurden. Beispielsweise, dass sich die männlichen Teilnehmer einer Gesellschaft erheben müssten, wenn eine Dame den Tisch verlasse. Bei den heutigen Frauenquoten in Firmen würde dieses Verhalten für die Männer ziemlich mühsam und ihnen sozusagen den Gang ins Fitnessstudio ersparen. Jeglichem guten Benehmen stellt nicht selten auf der Zielgeraden übermässiger Genuss von Alkohol noch ein Bein – dies ist allerdings ein ganz anderes Kapitel. Dagegen kann auch der beste und intensivste Benimmkurs nichts ausrichten, da ist jeder seines Glückes eigener Schmid.
MARIANNE BURGENER