Gesellschaftskritischer Saisonstart unter dem Sternenhimmel
22.08.2023 EttenhausenDer Kulturveranstalter Gong lud wie jedes Jahr nach den Sommerferien zu seiner Saisoneröffnung ins Openair-Kino. Das perfekte Wetter lockte ein grosses Publikum auf das Schulareal in Erwartung eines Filmklassikers, der nach seiner Erscheinung in einigen Ländern zensiert oder ...
Der Kulturveranstalter Gong lud wie jedes Jahr nach den Sommerferien zu seiner Saisoneröffnung ins Openair-Kino. Das perfekte Wetter lockte ein grosses Publikum auf das Schulareal in Erwartung eines Filmklassikers, der nach seiner Erscheinung in einigen Ländern zensiert oder sogar verboten wurde.
Vor dem Eingang bildete sich eine lange Schlange, die sich nach kurzer Zeit vor dem Buffet wiederfand. Grill, Kuchen und Getränke wechselten den Besitzer, bevor sich die Nacht über das Areal senkte und die Vorführung starten konnte. Für die einen Besucher war es eine Reise zurück in ihre Jugend, für die anderen die Entdeckung neuer Musik und einer neuen Welt aus einer anderen Zeit: Zum Saisonauftakt flimmerte der Musicalfilm «Hair» aus dem Jahr 1979 über die Leinwand. Die Handlung spielt während des Vietnamkriegs und folgt einem jungen Mann namens Claude, der von seinem ländlichen Heimatort in Oklahoma nach New York City kommt, um sich bei der Armee zu melden. Er will die Stadt erkunden; doch anstatt der Sehenswürdigkeiten lernt er im Central Park eine bunte Gruppe von Hippies kennen und verbringt die Tage vor der Einberufung mit ihnen. Der angepasste und unerfahrene junge Bursche lernt Dinge kennen, von denen er bisher nicht einmal wusste, dass sie überhaupt existieren. Er kifft, verletzt mehrfach das Gesetz und bewegt sich jenseits all seiner bisherigen Grenzen. Seine Versuche, die Gruppe zu verlassen, scheitern allesamt am charismatischen Berger, dem Anführer der Hippies. Trotzdem findet er sich letztendlich im Rekrutierungsbüro der Army wieder und wird nach Nevada zur Ausbildung für den Krieg verlegt. Die Geschichte nimmt eine überraschende Wende, mit dem guten Ende für Claude, dafür dem denkbar schlechtesten für den Pazifisten Berger.
Über 40-jährig und aktueller den je
Der Film dreht sich um die Themen Liebe, Freiheit, Anti-Kriegsbewegung und die Suche nach Identität. Es ist eine Geschichte über Freundschaft, Selbstentdeckung und den Widerstand gegen Ungerechtigkeit. Die Hippie-Kultur und der Flower-Power-Stil stehen im Mittelpunkt, die namensgebenden Haare dienen als Symbol für Individualität und Rebellion. Die Charaktere kämpfen gegen gesellschaftliche Konventionen, die Militärpflicht und den Krieg.
Die Filmmusik ist geprägt von mitreissenden Songs, die die Stimmung und den Zeitgeist der 1960er-Jahre einfangen. Auch wenn die Texte den heutigen Ansprüchen einer gendergerechten, inklusiven Sprache nicht mehr genügen mögen, wenn teilweise rassistische Stereotypen bedient werden, die sensible Gemüter erhitzen können, das Thema ist topaktuell. Nach wie vor schicken westliche Nationen junge Soldaten in den Tod, mischen sich Regierungen in fremde Konflikte ein oder führen Stellvertreterkriege und die grosse Mehrheit der Bevölkerung nimmt dies schweigend hin und schaut weg. «Hair» hat die Gesellschaft gespalten und polarisiert. Konservative Kreise störten sich an seiner Freizügigkeit und seiner Darstellung von Drogenkonsum. Die Politik fürchtete ihn aufgrund seiner subversiven Haltung gegenüber Autoritäten.
Ein Abend mit viel mehr als fünf Sternen
Für Gong-Vorstandsmitglied Pascal Mettler war es ein äusserst gelungener Abend, für den grossen Publikumsaufmarsch fand er nur lobende Worte, ebenso für das Wetter: «Wir hatten selten so ein Wetterglück wie heute!» Die Wahl des Films begründete er damit, dass das Team immer versuchen würde, Filme mit einem gewissen kulturellen Anspruch zu zeigen. Ein Blick auf die Liste, der seit 2009 gezeigten Streifen zeigt, dass dieses Ansinnen bisher mehr als gelungen ist. Diese Einschätzung teilten auch die gefragten Zuschauer: «Wir besuchen die Openair-Vorstellung eigentlich jedes Jahr, es ist immer eine schöne Stimmung und dieses Jahr natürlich besonders auch wegen des Films», war von einer Elggerin und ihrem Mann zu hören. Zehnders aus Ettenhausen konnten dem nur beipflichten: «Der Film erinnert uns stark an unsere Teeniezeit, wir sind mit dieser Musik aufgewachsen.» Glücklich mit der Filmwahl waren aber nicht nur die Gäste im mittleren Alter; zufrieden schienen auch jene etwas darüber; und selbst jene, die 1979 noch nicht geboren waren, hatten ihre Freude. Ob und was sie aus der Geschichte mitnehmen, bleibt ihr Geheimnis. Kein Geheimnis war, dass der diesjährige Saisonauftakt nicht nur mit fünf, sondern mit unzähligen Sternen brillieren konnte, was ein Blick nach oben eindrücklich bewies.
MARIANNE BURGENER