Gemeinwohl-Ökonomie als Chance für eine bessere Welt

  27.01.2024 Elgg

Wirtschaft und Gesellschaft stehen vor gravierenden Herausforderungen. Profit und Geld sind anstelle des Wohlergehens für Mensch und Umwelt im Zentrum. Das Modell der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) engagiert sich dagegen für wertebasiertes und nachhaltiges Wirtschaften.

Die Organisation GWÖ ist weltweit in über 30 Ländern tätig, seit Dezember 2013 auch in der Schweiz. Zentral ist ein Wirtschaftsmodell mit dem primären Ziel, ein gutes Leben auf einem gesunden Planeten für alle zu ermöglichen. Im Mittelpunkt steht die Idee, dass werteorientierte Unternehmen vier Grundwerte berücksichtigen: Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und Mitentscheidung. Das Zusammenleben ist gekennzeichnet durch ein Miteinander, ein hohes Mass an Vertrauen und Wertschätzung, einen starken sozialen Zusammenhalt, überschaubare Strukturen und Grundrechte.
Drei Mitglieder der Regionalgruppe Winterthur, David Rhiner, Jürg Wülser und Alex Wissmann, präsentierten anlässlich des Netzwerkanlasses für Unternehmer und Unternehmerinnen in den Räumlichkeiten der Spenglerei Schnyder Verein, Werte und ihre eigenen Erfahrungen. Eine der zentralen Forderungen der GWÖ ist, dass Unternehmen, die im Sinne der definierten Grundsätze arbeiten, von Vorteilen profitieren sollten und nicht durch preisliche Nachteile behindert würden, wie dies heute der Fall sei. Der Elgger Architekt Rhiner veranschaulichte dies mit dem Beispiel einer Flasche Süssmost, die nachhaltig und regional produziert vier Franken kostete. Aber: «Herkömmlich hergestellt hätte ich auch für viel weniger Geld einen Liter kaufen können – und das ist einfach nicht in Ordnung.»
Das Beispiel brachte die Grundsätze des propagierten Wirtschaftsmodells auf den Punkt, nach dem sich langlebige, nachhaltige Produkte durchsetzen müssten, weil «die Wertschöpfung in der Region verbleibt, Arbeitsplätze geschaffen werden und das wirtschaftliche Miteinander wieder menschlicher wird». Ausserdem böte der Ansatz grosses Potenzial für sinnvolle Umwelt- und Klimapolitik.

Durchleuchtungsprozess bringt spannende Erkenntnisse

Jürg Wülser, Inhaber eines Malerbetriebs in Winterthur, erzählte, dass er sein Unternehmen mit 30 Mitarbeitenden und sechs Lernenden bereits zweimal einer Gemeinwohlbilanz unterzogen hatte. Den Leitfaden bot ihm dazu die Wertematrix der GWÖ. «Die erste Bilanzierung machte ich vor zehn, die zweite vor sechs Jahren. Durchleuchtungsprozess und Erkenntnisse daraus sind sehr spannend. Ein wichtiger Punkt für mich sind die Mitarbeitenden. Ich will ja, dass sie sich wohlfühlen und lange bleiben, was auch gegen aussen ein gutes Zeichen sendet. Wer mit ausgefahrenen Ellbogen geschäftet und andere über den Tisch zieht, schneidet sich am Ende ins eigene Fleisch.»
Der Fachmann zeigte sich überzeugt, dass einige der anwesenden Unternehmerinnen bereits heute nach vielen der Werte und Grundsätze der Gemeinwohl-Ökonomie arbeiten würden. Aber erst durch die durchlaufene Gemeinwohlbilanz könne dieser Vorteil aktiv kommuniziert werden: «Wir zeigen gegen aussen, dass wir bestrebt sind, unser Geld auf eine ökologische, faire und transparente Weise zu verdienen; das generiert uns zufriedene (und immer mehr) Kunden, denen diese Punkte wichtig sind.» Wülser ist sich sicher, dass diese Art und Weise der Arbeit auf längere Zeit unabdingbar wird.
Als ein Vorzeigebetrieb, der zwar nicht Mitglied der GWÖ sei, aber trotzdem bereits in vielen Bereichen nach deren Werten arbeite, übergab der Maler das Wort an den Gastgeber des Anlasses: Valentin Schnyder.

Wachstum als Resultat des Erfolgs

In seinem Betrieb werde das Wort «Miteinander» bereits seit 20 Jahren grossgeschrieben. Dies beinhalte die Definition der Jahresziele, Strategie, sogar die Investitionen würden im Plenum besprochen. Das Ziel, das er kurz nach seiner Firmengründung gemeinsam mit seiner Frau gefasst habe, sei gewesen: «Wir wollen immer unsere Kunden glücklich machen.» In der Zwischenzeit gewann Schnyder zweimal den Stellenschaffer-Preis und blickt auf ein Team mit 35 Mitarbeitenden aus zwölf Nationen; eigentlich etwas, dass er so nie geplant hatte. «Ich wollte vielleicht einen Mitarbeiter, einen Lernenden, gute Maschinen und glückliche Kunden.» Die Spenglerei Schnyder ist nicht nur besonders im Hinblick auf den Umgang untereinander, sondern auch in der Art und Weise der Zusammenarbeit im Alltagsgeschäft. Um aufzuzeigen, wie er das meinte, holte Schnyder etwas aus: «Um an Aufträge zu kommen, muss man üblicherweise einfach die günstigste Offerte einreichen. Obwohl allgemein bekannt ist, dass ein Handwerker, der Wind und Wetter ausgesetzt ist, seine Arbeit kaum im Voraus kalkulieren kann. Ein Umfeld, wo alles voneinander abhängig ist und trotzdem jeder für sich arbeitet und macht, wofür er einen Werkvertrag unterzeichnen musste, ist unberechenbar.»
Seiner Behauptung liess er bildhafte Beispiele aus der Praxis folgen die verdeutlichten, dass auf diese Weise kaum ein grösseres Projekt effizient und innerhalb des vereinbarten Preises realisiert werden kann. Abschliessend gab er Einblicke in verschiedene Klauseln des Werkvertrages, den jeder Handwerker zu unterzeichnen hat; mehr ein Knebel als beidseitige Sicherheit.

Neues Modell wird sich etablieren

Dem gegenüber steht eine neue Form der Zusammenarbeit. Dabei sitzen von Anfang an alle beteiligten Unternehmen inklusive Planungsfirma und/oder Architekt an einem Tisch und besprechen das Projekt. Gemeinsam wird ein Ablauf auf einer Timeline erstellt und alle bringen ihre Erfahrungen mit ein. Es wird losgelöst von starren Werkverträgen gearbeitet, dafür Hand in Hand. Ist der Dachdecker vor Ort, kann aber aufgrund Verzögerungen des Zimmermanns nicht starten, geht er diesem zur Hand, damit keine Wartezeit entsteht. Abgerechnet wird nach effektiv geleisteten Stunden und nicht vertraglich exakt vordefinierten Tätigkeiten. «Bereits vier Projekte konnten wir so umsetzen. Wir sind überzeugt, dass sich dieses Arbeitsmodell durchsetzen wird.» Schnyder erzählte, dass mit der Zeit gut eingespielte Handwerkerteams entstehen und damit die Arbeiten effizienter erledigt würden, ein weiterer Vorteil für Bauherrschaft und Handwerksbetriebe.
Als neustes auf diese Weise fertiggestelltes Bauvorhaben präsentierte Schnyder das klimapositive Holzheizkraftwerk «Bioenergie Frauenfeld»; eine Anlage, die innerhalb eines Jahres gebaut wurde, heute 8000 Haushalte mit Strom versorgt und 50 Prozent des Wärmebedarfs der Zuckerfabrik deckt. Die im Prozess anfallende Biokohle kommt als wertvoller Werkstoff der Landwirtschaft zugute.
Dass dieses Modell Zukunft hat, zeigt sich daran, dass Energie 360 Grad auch künftige Vorhaben so realisieren wird – mit an Bord: das eingespielte Handwerkerteam. Der grosse Unterschied sei, dass diese Art der Zusammenarbeit auf Vertrauen basiere, ein enorm wichtiger Begriff und etwas, dass auf keinen Fall missbraucht werden dürfe. Ein geschädigter Ruf sei nicht mehr zu reparieren, mahnte Schnyder.
Nur wertebasierte Kooperationen und Geschäftsmodelle – mit oder ohne Mitgliedschaft bei Gemeinwohl-Ökonomie – sind jene, die uns als Gesellschaft weiterbringen. Da waren sich alle Anwesenden einig.

MARIANNE BURGENER

Weitere Infos unter: www.gwoe.ch


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