Für Haribo ging es nochmals gut aus
08.08.2023 HofstettenDas Katzenelend in der Schweiz erlebt einen neuen Höhepunkt: Es gibt keine Plätze mehr für Katzenfamilien in Not. Können Tierschützer keine Hilfe anbieten und die Tiere adäquat unterbringen, wird allzu oft mit der Tötung gedroht. Auch ein Fall in ...
Das Katzenelend in der Schweiz erlebt einen neuen Höhepunkt: Es gibt keine Plätze mehr für Katzenfamilien in Not. Können Tierschützer keine Hilfe anbieten und die Tiere adäquat unterbringen, wird allzu oft mit der Tötung gedroht. Auch ein Fall in Hofstetten lässt aufhorchen.
Auf einem stillgelegten Hof irgendwo in Hofstetten: Netap (Network for Animal Protection) rückt an, um Katzen einzufangen. Alles fing mit der Meldung über ein verlassenes, sehr krankes Katzenkind an. «Nachdem wir vor Ort waren, stellten wir fest, dass es da noch zahlreiche weitere unkastrierte Katzen gibt. Wir suchten nach dem Eigentümer des Hofs und vereinbarten mit ihm, dass wir sämtliche Katzen einfangen, untersuchen, behandeln, impfen, kastrieren sowie markieren und die jungen dem Tierheim übergeben würden», teilt Netap-Präsidentin Esther Geisser auf Anfrage mit. In der Folge hätten sie zehn erwachsene und vier junge Tiere eingefangen. «Wir fanden aber auch tote Katzen auf dem Hof», so die Gründerin der Tierschutzorganisation.
Später sei ein neuer unkastrierter Kater (Haribo) zugelaufen, der sich offenbar mit den Katzen des Nachbarn zoffte. Auch ihn fingen die Tierschützerinnen und -schützer ein und er durchlief das Kastrationsprogramm. Doch Geisser muss eingestehen: «Obschon wir den Anwohnern sagten, dass ein Kater, nachdem er kastriert ist, nach ein paar Wochen viel friedfertiger wird, waren die Leute vor Ort nicht mehr bereit ihn zu tolerieren. Man nötigte uns, den Kater nochmals einzufangen und einen neuen Platz für ihn zu finden. Er sei asozial und müsse umgehend weg, sonst finde man selbst eine Lösung.» Man will gar nicht wissen, wie diese ausgesehen hätte.
Kastrationspflicht ist zwingend nötig
Zum Glück fand die Tierschutzorganisation jemanden, der bereit war den Kater aufzunehmen. Esther Geisser berichtet über das Happy End: «Wir stellten einen mobilen Zwinger und siedelten Haribo am neuen Ort erfolgreich an. Durch die paar Wochen im Zwinger wirkte auch die Kastration und er wurde ein friedlicher Kater, der schnell mit den anderen Katzen vor Ort Freundschaft schloss.» Hätten die Leute ein bisschen Geduld gehabt, hätte er sein Revier nicht verloren. Aber nun habe er wenigstens ein Zuhause, wo er willkommen ist.
Hofstetten sei ein typischer Fall: Eine einzelne Katze wird gemeldet, woraus sich eine grössere Sache ergibt, die dann wegen Neuzugängen meist immer wieder aufgerollt werde. «Solange es keine Kastrationspflicht gibt, wird das so bleiben. Denn man darf nicht vergessen: Jede herrenlose und/oder verwilderte Katze wie Haribo hat ihren Ursprung bei einem verantwortungslosen Halter», gibt Geisser zu bedenken. Auch in Hagenbuch und Elgg habe Netap immer wieder Einzelmeldungen erhalten, Katzen eingefangen und kastrieren lassen.
Keine Betreuungsplätze mehr vorhanden
Baustellen, Kellerräume, Estriche, Gartenhäuser, Scheunen, Holzbeigen in Wäldern, Heustöcke, Industriedächer – kaum ein Ort, an dem die Tierschutzorganisation Netap nicht schon Katzenmütter mit Babys einfangen musste. Doch während in den Jahren zuvor im Notfall immer noch irgendwo ein Platz für die Tiere gefunden werden konnte, sieht es heuer ganz anders aus. «Wir fragten über 100 Tierheime und Tierschutzorganisationen an, ob sie noch Platz für wilde Katzenmütter mit Nachwuchs hätten, doch leider gab es nur Absagen», erklärt Esther Geisser. Inzwischen können keine neuen Fälle mehr angenommen werden, denn «wir wissen wirklich nicht mehr, wohin mit all den Tieren».
Dass es keine Plätze mehr gibt, ist für die Einsatzkräfte von Netap sehr belastend. Sowohl Landwirte als auch Privatleute würden regelmässig deutlich erklären, für eine definitive Lösung zu sorgen, sollten die Tiere nicht umgehend abgeholt werden. «Dann sterben sie eben an einer Bleivergiftung» oder «der Hofhund regelt das mit den Katzenbabys», seien zum Beispiel Aussagen, welche die Tierschützerinnen zu hören kriegen.
Fehlende Unterstützung aus der Politik
Von Behörden- oder Politikerseite könnten die Tierschützer keine Hilfe erwarten. Seit das Parlament die deutliche Forderung nach einer Kastrationspflicht diskussionslos ablehnte, höre man von Bundesbern nichts mehr. In einer Stellungnahme letzten September habe das Bundesamt für Landwirtschaft und Veterinärwesen geschrieben, dass Vorschriften zur Kastration von Katzen nebst den Tierschutzanliegen auch solche der Katzenhalterinnen sowie der Vollzugsbehörden berücksichtigen müssen. Es sei betont worden, dass keine weiteren Auskünfte mehr erteilt würden. Seither sei in Bern nichts mehr passiert, das Leiden der Tiere gehe aber ungehindert weiter.
«Die Behörden machen es sich sehr leicht», meint Esther Geisser. «Regelmässig werden wir – auch von amtlicher Seite – gebeten, Katzenkolonien auf Höfen oder an anderen kritischen Orten zu kastrieren. Neue Regeln werden aber nicht eingeführt. Staatliche Gelder gibt es auch keine. Meldungen über vernachlässigte Katzen, werden zwar zur Kenntnis genommen, unternommen wird aber kaum etwas.» Zumindest registriere die Tierschutzorganisation in vielen Kantonen kein Handeln seitens der Behörden. «Wir haben auf verschiedenen Höfen Katzen in besorgniserregendem Zustand eingefangen», erzählt die Tierschützerin. Den zuständigen Veterinärämtern seien diese Höfe nach eigener Aussage bereits bekannt. «Da stellt sich mir die Frage, in welchem Zustand die Tiere denn sein müssen, damit ein Veterinäramt überhaupt handelt.»
RENÉ FISCHER
Über Netap
Netap ist die einzige Organisation in der Schweiz, die mittlerweile fast in allen Kantonen direkt an der Front im Einsatz ist und täglich aktiv gegen das Katzenelend vorgeht. Meldungen über Katzenmütter, die irgendwo Nachwuchs bekommen haben und verschwinden sollen, gehen bei der Tierschutzorganisation praktisch täglich ein.
2020 verlieh der Dachverband an Netap den Berner Tierschutzpreis für das nachhaltige Engagement gegen das Katzenelend in der Schweiz und speziell im Kanton Bern. 2014 wurde die Organisation mit dem Tierschutzpreis der Elisabeth-Rentschler-Stiftung ausgezeichnet. Dieser wurde verliehen für die nachhaltige und konsequente Umsetzung des Tierschutzgedankens und die Verdienste für Nutz- und Strassentiere an der Front.