Früher war Schulsport für einige ein Graus

  21.04.2022 Aadorf

In Ettenhausen musste die Kletterstange dem Neubau eines Schulpavillons weichen. In Wittenwil zählen Kletter- und Reckstange noch zur Ausstattung. Gelegenheit für einen Exkurs in frühere Zeiten und zu einer Momentaufnahme.

Wer ältere Semester um Erinnerungen an den Schulsportunterricht befragt, muss sich nicht wundern, wenn die Wogen sogleich hochgehen. Unterschiedlicher könnten ihre Äusserungen nicht sein, zusammengetragen in einer Stammtischrunde. Von purem Horror ist im folgenden Narrativ die Rede.
Dass nicht immer positive Gefühle mit dem Schulturnen verbunden wurden, überraschte nicht. Einige Beispiele: «Wenn Mannschaften gewählt und Bändel verteilt wurden, gehörte ich immer zu den Letzten, also den Verlierern. Das war diskriminierend und frustrierend», sagt einer. Und gleich lösen sich die Zungen. Erinnerungen reihen sich an Erinnerungen: «Im Völkerball drückte ich mich jeweils zuhinterst an die Wand und hoffte, nicht vom Ball am Kopf getroffen zu werden. Dummerweise machte ich noch bei jedem Wurf meine Augen zu.» Ein anderer warf ein: «Beim Über-das-Böckli-Springen ging es mir genauso mies. Bisch du en Hosli, titulierte mich der Lehrer, mich, dem die Motivation fürs Turnen mehr und mehr abhandenkam. Selbst der Purzelbaum und die Rolle vorwärts waren für mich als Unbeweglicher eine grosse Qual. Gespielt wurde meist nur noch in den letzten zehn Minuten. Brauchte es einen Goalie, so stellte ich mich ins Tor, weil ich damit keine Laufarbeit verrichten musste und hoffte, zwischen den Pfosten kein grösseres Unheil anzurichten.»
Und: «Für unseren Lehrer war das Tambourin der ständige Begleiter beim Einlaufen. Im militärischen Takt ging es hin und her, von Wand zu Wand. Dann folgten noch die Übungen aus dem Armeeturnprogramm, ehe es an Geräte ging. Für das Spielen blieb dann kaum noch Zeit übrig.» Oder: «Für mich war das Wasser nicht das bevorzugte Element. Der Köpfler war das Schlimmste. Doch das störte unseren Lehrer nicht: Er hob die wenig Wagemutigen an den Füssen hoch und liess sie kopfvoran ins Wasser plumpsen. Das war nicht für alle lustig.»

Not mit den Noten

«Unser Turnlehrer war im Militärdienst ein hohes Tier. Er jagte uns über die Böden der Turnhalle, als wären wir Rekruten. In der Pubertät war ich übergewichtig und hatte eine grosse Abneigung gegenüber dem Sport. Nach der Schulzeit änderte sich die Einstellung: Ich machte Ausdauerläufe, beteiligte mich an Militärwettmärschen, kaufte ein Rennrad und halte mich noch heute mit längeren Ausfahrten fit. Mein ehemaliger Lehrer, dem ich später bei einem Wettkampf begegnete, konnte diese Entwicklung kaum fassen. Das hätte ich nie gedacht, dass aus dir noch ein richtiger Sportler wird, gab er seinem Erstaunen Ausdruck», war eine weitere Anekdote.
Und wie verhält es sich mit Turnnoten? Weil Noten nötig waren, hängte sich ein Lehrer jeweils am Ende des Semesters eine Stoppuhr um den Hals und liess seine Zöglinge die Stangen hochklettern. Nicht die schrägen, sondern die geraden. Für die schnellste Zeit gab es die Note 6, danach ging es in Zehntelschritten abwärts. Wehe dem Tollpatsch mit null roher Kraft in den Armen und schlechtem Beinverschluss. Demütigungen waren damals an der Tagesordnung. Und heute sähe es nicht besser aus, denn gemäss der Aussage eines Turnlehrers würde nur mehr rund die Hälfte seiner Klasse die fünf Meter erklimmen.

Zunehmend ein Auslaufmodell

Soweit einige Erinnerungen. Die Aussagen mögen wohl nicht repräsentativ sein. Sie zeigen jedoch auf, dass sich in der Zwischenzeit ein Wandel vollzogen hat. Der Turn- hat sich zum Sportunterricht entwickelt. Nicht nur auf pädagogischer, sondern auch auf zwischenmenschlicher Ebene hat sich inzwischen vieles verändert.
Ebenfalls den neuen Erkenntnissen angepasst hat sich die Ausstattung im Innen- und Aussenbereich der Turnhallen. Gemäss Empfehlungen des Bundesamts für Sport werden Kletterstangen in Aussenanlagen nicht mehr empfohlen. Auf der Sportanlage Löhracker ist nicht nur die Stabhochsprunganlage mangels Benutzung von der Bildfläche verschwunden, sondern auch die Kletterstange. Nicht zuletzt sicherheitshalber. Im Gegensatz zu Wittenwil, wo Kletter- und Reckstangen auf der Aussenanlage immer noch dienlich sind. Mit dem Auslaufmodell konkurrieren eine gepflegte Spielwiese, ein roter Hartplatz, zwei Handball- und Fussballtore, ein Tischtennistisch und Klettergerüste. So, wie es sich die Kinder eben wünschen. Auch wenn grössere Gemeinden etwa mit Fit-21-Anlagen, Pumptracks und Workout-Stations auftrumpfen können.

KURT LICHTENSTEIGER


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