Es soll summen und brummen, kreuchen und fleuchen
29.10.2024 ElggBiodiversität ist in aller Munde, nicht erst seit dem Abstimmungskampf. Dem Artensterben entgegenzuwirken ist nicht eine Aufgabe «der Andern» – jeder Einzelne kann etwas beitragen. Dies und das Reparaturangebot des Vereins Rundummüli waren die Themen des ...
Biodiversität ist in aller Munde, nicht erst seit dem Abstimmungskampf. Dem Artensterben entgegenzuwirken ist nicht eine Aufgabe «der Andern» – jeder Einzelne kann etwas beitragen. Dies und das Reparaturangebot des Vereins Rundummüli waren die Themen des Herbstanlasses der Energiekommission.
Eröffnet wurde der Abend durch die zuständige Gemeinderätin Mirjam Lehmann, die nach der Begrüssung die grüne Wiese Geni Widrig, dem ersten Referenten, übergab. Der Diplom-Ingenieur in Landschaftsarchitektur wartete mit einer unerschöpflichen Fülle an Beispielen und Tipps auf, wie die Artenvielfalt unterstützt werden kann, selbst mit wenig Budget und auf kleiner Fläche.
Der Kernbotschaft: «Je mehr verschiedene Pflanzen in einem Garten wachsen, umso biodiverser ist er. Bei 3500 einheimischen Pflanzenarten eine lösbare Aufgabe», folgte der Vergleich, dass von einem Zierrasen vielleicht eine Amsel profitiert, die einen Wurm findet. Von einem Blumenrasen oder einer Blumenwiese dagegen eine Vielzahl verschiedener Tiere. Die Aufnahmen von Wiesen voll blühender Blumen in Privatgärten, öffentlichen Anlagen oder entlang von Strassen und Trottoirs machten weitere Erklärungen überflüssig.
Das Gesetz schreibt in der Bauzone keinerlei Verpflichtung zur Förderung der Biodiversität vor. Die Landwirtschaft dagegen muss sieben Prozent beitragen, der Wald zehn.
Zahlreiche Möglichkeiten zur Unterstützung
Gebäude eignen sich sowohl vertikal als auch horizontal. Ein begrüntes Dach erschwert dabei die Montage einer Photovoltaikanlage in keiner Weise, beides kann gut kombiniert werden. «Auf einem begrünten Dach in Zürich, auf dem ebenfalls eine PV-Anlage steht, wachsen inzwischen 14 verschiedene Orchideenarten.» Gute Möglichkeiten bieten auch Fassaden, aber hier sei Vorsicht geboten, mahnte Widrig: «Efeu ist schön, solange es am Haus ist; wird es entfernt, ist der Verputz ziemlich lädiert. Vielleicht weicht man besser auf eine Pflanze mit einer anderen Kletterstrategie aus, auf einen Winder etwa.»
Wer etwas wirklich Gutes tun wolle, solle einen Baum pflanzen – für das Klima gäbe es fast nichts Sinnvolleres. «Am besten eine Eiche, sie ist der ökologischste Baum überhaupt.» Jeder der 80 einheimischen Bäume weise einen eigenen Ausdruck, einen eigenen Charakter auf. Der Besitzer habe die Wahl, zwischen wunderbaren Eigenschaften auszuwählen – eines hätten sie alle gemeinsam: «Ein Baum benötigt keinen Schnitt, ausser Obstbäume. Es ist der Mensch, der Bäume schneiden will.»
Ein wichtiges Gestaltungselement in Gärten sind Hecken. Glücklicherweise gibt es zu den langweiligen Thuja- oder Kirschlorbeerbepflanzungen viele einheimische Alternativen, die vielen Tieren Zuhause und Nahrung bieten. Widrig zählte in der Folge diverse Sträucher auf, die sich besonders dafür eignen: «Sanddorn, Schwarzdorn, Kornelkirsche, Feldahorn oder Schwarzer Holunder.» Wer sich für Sanddorn entscheide, müsse beim Kauf unbedingt eine weibliche Pflanze kaufen, sonst werde er nie in den Genuss der herrlich orangen Beeren kommen. Dies gelte für einige Pflanzenarten, die meisten jedoch würden weibliche und männliche Teile auf sich vereinen.
So wenig wie möglich, so viel wie nötig
Nach 25 Jahren Kampf sei der Verkauf einzelner invasiver Neophyten seit dem 1. September nun endlich verboten. Dabei seien nicht die fremden Arten per se ein Problem, sondern nur die invasiven, die einheimische Pflanzen verdrängen und der Umwelt schaden. Der Fachmann erzählte, dass er sich ab und zu den Spass erlaube, in Gartencentern nach der «einheimischen» Palme zu fragen und man ihm dann die chinesische Hanfpalme als Tessiner Palme verkaufen wolle.
Nach dem kurzen Ausflug in die «Don’ts» im Garten kehrte Widrig zu den positiven Massnahmen zurück und zählte weitere Optionen auf, wie aus einem langweiligen oder tierfeindlichen Garten eine Wohlfühloase, in der es summt und brummt, wird. Er erklärte, wie eine Ruderalfläche entsteht, welche Stauden in eine Rabatte gehören und welcher Pflege sie bedürfen. Er betonte die Wichtigkeit diverser Strukturen wie Ast- und Steinhaufen. Sie würden, schön angelegt, zum ästhetischen Blickfang und dienten zahlreichen Tieren als Quartier.
Ein grosser Fokus liegt auf Wasser, bereits kleine Tümpel, Trinkschalen oder Badegelegenheiten werden dankbar angenommen. Zentrale Aussage: «Es muss nicht immer aufgeräumt werden, vor allem nicht im Herbst. Mit einem geputzten Garten nehmen wir vielen Kleintieren Winterquartier und Nahrungsquelle. Biodiversität erfordert so wenig Pflege wie möglich und so viel wie nötig.»
Der irreführende Begriff «Wildbienenhotel»
Die Institution «Hotel» impliziere, dass Bienen oder allgemein Insekten dort für eine Nacht einchecken, um Party zu machen. Dabei sei es so, dass in die Hohlräume Eier abgelegt würden, aus denen Larven und schliesslich Insekten würden – die korrekte Bezeichnung müsse daher eher «Geburtsstätte» lauten. Von den über 612 bekannten Wildbienenarten nutzen fünf die angebotenen Unterkünfte, alle anderen sind Bodenbrüter, die ihre Eier in Sand- oder Kieslöcher legen.
Nicht nur Insekten kann mit gezielter Infrastruktur geholfen werden, auch viele Vogelarten und Fledermäuse nehmen gerne vom Menschen bereitgestellte Nisthilfen an. Hier böte sich eine wohlüberlegte Platzierung an, nicht jeder freue sich über tägliche Verschmutzung des Gartensitzplatzes «von oben» – aber: «Wer Fledermäuse bei sich beherbergt, der darf sich ‹von› schreiben!» Mit einer Übersicht über verschiedene Zäune und Einfriedungen und dem Aufruf, auf Tierfallen im Garten zu achten, beendete er seinen Vortrag – zwar nach der doppelten Zeit wie vorgesehen, was aber mit Sicherheit niemanden im vollen Saal gestört hatte.
Zum Ende sprach er Elgg ein dickes Lob als sehr fortschrittliche Gemeinde aus, belegt mit diversen Fotobeispielen. Widrig reicherte jedes Thema mit Erlebnissen, Geschichten und Anekdoten aus seiner Praxis an; ein von seiner Arbeit begeisterter Referent, dessen Begeisterung im Nu auf sein Publikum übersprang.
Fördergelder für das Projekt «flick.müli»
Anstelle des bisherigen Energiepreises sollen künftig innovative Projekte unterstützt werden – entsprechende Anträge seien in der Energiekommission willkommen. Damit leitete Gemeinderätin Lehmann über zum zweiten Teil des Abends, der «flick.müli», die aktuell von diesem Fördergeld profitiert. Christoph Burr, Präsident des Vereins Rundummüli, verdankte einleitend die Hilfe. Er begründete die Anfrage um Geld bei der Gemeinde: «Wir haben bald festgestellt, dass wir für unser Vorhaben eine gewisse Anschubfinanzierung brauchen, für Werkzeuge etwa.»
Im August fand der erste Reparatur-Anlass statt. Dabei hätten diverse Kleidungsstücke und anderes Genähtes ein zweites Leben erhalten, aber auch ein Veloanhänger, ein Entfeuchtungsgerät, eine Nähmaschine und ein Diaprojektor. In einem separaten Raum wurde Computer-Support angeboten: «Hier wurde weniger geflickt, dafür mehr unterstützt. Funktionierte der PC nach dem Update nicht mehr, haben wir das bei uns wieder in Ordnung gebracht.»
Die nächste «flick.müli» ist für Januar geplant, dann wieder im Sommer. Stösst das Angebot auf wachsenden Zuspruch, kann Burr sich auch mehr als zwei Durchführungen pro Jahr vorstellen, ganz im Sinne der Nachhaltigkeit. Er versprach abschliessend, sich dafür einzusetzen und stark zu machen, damit weniger weggeworfen, dafür umso mehr rezykliert werde.
Darüber und über mehr Biodiversität konnten sich die Gäste beim anschliessenden Apéro austauschen. Zumindest Geni Widrig war ein gefragter Gast. «Ich chum grad wieder, ich muess ihn na go fröge», war ein häufig gehörter Satz beim gemütlichen Beisammensein. Natur und Umwelt wird’s freuen.
MARIANNE BURGENER
Mehr Informationen
Vortrag Biodiversität:
www.suisseplan.ch
Rundummüli:
www.rundum.müli-elgg.ch