Er weibelt für den Kanton Zürich

  07.05.2022 Wittenwil

Der Standesweibel (auch Staats-, Landes- oder Ratsweibel, je nach Kanton) dient der Regierung, dem Parlament oder dem Gericht. Er erledigt Botengänge, wirkt als Saaldiener und hat zeremonielle Aufgaben; zu solchen begleitet er in festlicher Amtstracht in den Kantonsfarben ein hochrangiges Mitglied der Regierung.

In der alten Eidgenossenschaft war der Weibel ein untergeordneter Amtsträger einer Obrigkeit oder Herrschaft und nahm vielfältige Aufgaben in der Verwaltung und im Gerichtswesen wahr. Sie waren die Nachfolger der Herolde im Mittelalter, die in den Wappenfarben ihrer Herren gekleidet deren Erscheinen ankündigten. Bei der Gründung der neuen Eidgenossenschaft 1815 wurde die Amtstracht der Kantonsweibel gleichzeitig mit den Kantonswappen durch die helvetische Regierung für alle Kantone eingeführt. Die alten Stände haben ihre althergebrachte Weibeltracht beibehalten, der Talar der neugeschaffenen Kantone wurde unter Verwendung der Farben der neuen Kantonswappen dem alten Amtsgewand nachgebildet. Einer der Zürcher Weibel wohnt in Wittenwil und er hat dieser Zeitung von seinem eher aussergewöhnlichen, traditionsreichen Beruf und den Aufgaben, die dieser heutzutage mit sich bringt, erzählt.
Vor einigen Tagen stand Patrick Hofmann als Begleiter des Kantonsratspräsidenten Benno Scherrer am Zürcher «Sächsilüüte» im Einsatz. Nebst müden Füssen vom langen Umzug hat er viele bleibende Eindrücke gesammelt, wie er schildert: «An den Tausenden von lachenden, winkenden, fröhlichen Menschen vorbeizuziehen, war schon sehr emotional und bewegend. Und natürlich war da die Nähe zum brennenden Böögg, dessen Hitze enorm war – so nahe kommt man ihm als Zuschauer nie, das war wirklich einmalig.» Eine Aussage, die gut nachvollziehbar ist, müssen die Weibel unter ihrem sieben bis acht Kilogramm schweren Ornat doch stets einen Anzug mit Hemd, Blazer und Handschuhen tragen, ungeachtet der herrschenden Witterung.
Bereits diese Woche stand ein weiteres wichtiges Ereignis an, das die Anwesenheit eines Weibels erforderte. Am 2. Mai wurde der Beginn des neuen Amtsjahres mit einem Festanlass gefeiert. Hofmanns Aufgabe bestand einerseits aus einer repräsentativen Funktion – die Anwesenheit verleiht einem Anlass einen offiziellen und würdevollen Charakter – andererseits musste er die verschiedenen Rednerinnen und Redner vom Sitzplatz zum Rednerpult und wieder zurückbegleiten.

Vorausschauend und dem Risiko ausweichend

Auf die Frage, ob ein Weibel auch eine schützende Rolle einnehmen müsste, wenn Gefahr in Verzug ist, antwortet Patrick Hofmann, dass er und seine Berufskollegen zwar keine Bodyguards im eigentlichen Sinne seien, aber trotzdem eine gewisse Verantwortung für die zu begleitende Amtsperson innehätten: «Wir müssen mit vorausschauendem Blick unterwegs sein und ein Gespür für brenzlige Situationen entwickeln, damit ein Regierungsmitglied gar nie in eine ungemütliche Lage gerät.» Grundsätzlich sei die Funktion heutzutage aber eher eine traditionelle und repräsentative. An jenen Tagen, an denen keine offiziellen Einsätze in der Öffentlichkeit stattfinden, arbeiten die Weibel im Parlamentsgebäude als gute Seelen. Sie sind verantwortlich für den reibungslosen Betrieb der Sitzungen von Kantons- und Gemeinderat, der Kirchenparlamente sowie der Kantonsregierung.
Eine vakante Stelle wird öffentlich ausgeschrieben, jeder geeignete Kandidat kann sich bewerben. Allerdings wird ein neuer Mitarbeitender nicht vom ersten Tag an als Standesweibel eingesetzt. Er übernimmt zuerst Aufgaben im inneren des Ratsdienstes und rückt in die offizielle Aufgabe erst später nach. In kleineren Kantonen ist es zudem üblich, dass ein Verwaltungsangestellter die Funktion im Nebenamt abdeckt.

«Isch dänn scho Fasnacht?»

Natürlich bringt ein Auftritt im auffälligen Ornat auch lustige Begebenheiten mit sich. So fragt sich Hofmann zu Recht, in wie vielen Fotoalben dieser Welt er wohl schon verewigt ist. Wann immer er im offiziellen Gewand vor die Tür des Rathauses tritt, richten Touristen ihre Kameras auf ihn und schiessen ein Bild von ihm. Unvergessen auch das Kind, das seine Mutter bei seinem Anblick aufgeregt am Ärmel zupfte und verwirrt fragte: «Isch dänn scho Fasnacht?»

MARIANNE BURGENER


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