Eine über fünfstündige Liebeserklärung an Elgg
27.02.2025 ElggZum 50-Jahr-Jubiläum der Heimatschutz-Vereinigung wurde Elgg gefeiert – mit Leidenschaft, klugen Thesen und einer klaren Botschaft: Historische Bauten sind kein Ballast, sondern das Herz. Wer aufmerksam durch den Flecken geht, sieht nach diesem Abend einiges mit anderen ...
Zum 50-Jahr-Jubiläum der Heimatschutz-Vereinigung wurde Elgg gefeiert – mit Leidenschaft, klugen Thesen und einer klaren Botschaft: Historische Bauten sind kein Ballast, sondern das Herz. Wer aufmerksam durch den Flecken geht, sieht nach diesem Abend einiges mit anderen Augen.
Zu einem runden Geburtstag ist es durchaus üblich, dass viele Gäste erscheinen. So erstaunt es nicht, dass Aktuar Peter Trüb während seiner Begrüssungsrede zur 50-Jahr-Jubiläumsfeier der Heimatschutz-Vereinigung (HVE) minutenlang Behörden-, Vereins- und Kirchenvertreter im vollen Saal des Werkgebäudes willkommen hiess. Besondere Lorbeeren verteilte er den Damen des Frauenturnvereins, die während des Abends dafür sorgten, dass die über 100 Personen das, was in der Küche vom Team der Eintracht zubereitet wurde, zur rechten Zeit am rechten Ort ankam.
Viel Lob für Einwohner, Behörden und Vereine
HVE-Präsidentin Sabine Stindt Rhiner würdigte in ihrer persönlichen Sicht auf Elgg die Lebendigkeit, die Eigeninitiative, die vielen verschiedenen Interessen und die gegenseitige Rücksichtnahme darauf. Diese Vielseitigkeit widerspiegle sich nicht nur im Alltag, sondern ebenso in der bunten Gästeschar des Anlasses. Im Fokus der Vereinigung liege der historische Kern, wo sich das meiste abspiele: «Hier wird gelebt, gewohnt und gearbeitet. Da wird deutlich, dass wir in Elgg sind und anderswo; das alte Zentrum ist das Herz des gesamten Gemeindegebiets.» Natürlich wachse, verändere und entwickle sich auch Elgg laufend weiter, aber trotzdem dürfe man stolz sein, ein nach wie vor lebendiges Zentrum erhalten zu haben, das mit vielen gesellschaftlichen Aktivitäten locke. In diesem Zusammenhang lobte sie die Hauseigentümer, die ihre Häuser und Gärten mit viel Liebe und Engagement pflegten. Sie dankte den Gewerbetreibenden, die für ein attraktives Angebot sorgten, und hob besonders die wertvolle Arbeit der Genossenschaft für Wohnen, Arbeiten und Kultur (WAK) hervor. Diese habe bereits etliche Liegenschaften vor Immobilienhaien geschützt und sie der Bevölkerung für vielseitige Nutzungen erhalten. In der präsidialen Rede fehlten weder der Äschli, die erfolgreich betriebene Untermühle noch die vielen privaten, behördlichen oder in Vereinen organisierten Mitwirkenden, die rund ums Jahr dafür sorgten, dass Elgg ein bunter und ansprechender Lebensraum sei und bleibe. «Der Gemeinderat hat das vor zehn Jahren erkannt und eine Arbeitsgruppe mit dem Namen ‹Netzwerk Altstadt› eingesetzt. Unsere Vision, als Collage erarbeitet, wird nun vom Planungsbüro Metron zu einem Leitbild weiterentwickelt. Das Ziel ist die Erhaltung der Dynamik im Flecken, wir wollen ein Zentrum, das vor Selbstvertrauen strotzt, ausstrahlt und anzieht.» Mit einem kleinen Seitenhieb auf den Schweizer Heimatschutz, der jährlich den Wakkerpreis vergibt und am Fest durch den nächsten Referenten, Professor Dr. Martin Killias, vertreten war, schloss sie ihre Liebeserklärung an das Landstädtchen.
Heimatschutz verhindert nicht, er verschönert
«Menschen haben ein Bedürfnis nach Erinnerung», eröffnete Killias, Präsident des Schweizerischen und des Zürcher Heimatschutzes, seine Rede. Er mahnte, dass historische Gebäude nie zuvor so bedroht waren, wie aktuell. «Noch nie in der Geschichte zuvor wurde bewusst so viel Baukultur zerstört. 80 Prozent des Materials landet auf Deponien, was zusätzliche Probleme bringt. Abbruch und Herstellung von neuem Beton brauchen enorme Mengen Energie. Daraus folgt, dass die Öko- und Energiebilanz des Neubaus für mindestens 50 Jahre negativ ist – und dann wird auch der Neubau heutzutage bereits wieder abgerissen.» Eine sanfte Renovation der alten Bausubstanz wäre das bessere und respektvollere Vorgehen. Dem Argument, dass Zuwanderung und Wachstum eine verdichtete Bauweise erforderten, hielt der Experte entgegen: «Nichts ist so verdichtet gebaut, wie Altstädte. Es geht nur um Rendite, die Neubauten verdrängen oft alte und günstigere Wohnungen.» Ebenso sei es absurd, den Heimatschutz als bösen Verhinderer hinzustellen. «Wir schützen nur zehn Prozent der Gebäude. Wenn es uns gelingt, den Abriss eines alten Hauses zu verhindern, ist das Resultat am Ende etwas Schönes. Der Ruf nach Lockerung des Denkmalschutzes, weil mehr gebaut werden soll, entbehrt jeglicher Grundlage. Wenn es uns nicht gäbe, gäbe es bald keine historischen Zentren mehr und vielleicht gäbe es Elgg in dieser Form bald nicht mehr.» In seiner leidenschaftlichen Rede sprach er nicht nur gesellschaftspolitische Themen an, wie die Immobilienspekulation und die Frage, wie viele Einwohner die Schweiz verträgt, sondern auch die Problematik lebloser Innenstädte, die von aussen zwar schön anzusehen, aber hinter der Fassade leblos seien. Er lobte das friedliche und facettenreiche Miteinander, das Elgg auszeichnet. «Den Wakkerpreis kann ich zwar nicht versprechen, aber ich wünsche Ihnen alles Gute, dass es irgendwann klappt.»
Attraktivität durch Überlagerung von Nutzungen
Die nächste Referentin, Ute Sakmann vom Amt für Raumentwicklung und in dieser Funktion zuständig für den Ortsbildschutz von Elgg, definierte dem Publikum zum Einstieg den Begriff «Ortsbild». Dazu zeigte sie Stiche aus dem Jahr 1642, alte Fotos und eine Luftaufnahme aus den 30er-Jahren und erklärte: «Historische Orte sollen nicht konserviert werden, sie dürfen sich weiterentwickeln.» Sie erörterte den Sinn von «Isos», dem Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder von nationaler Bedeutung und rief in Erinnerung, dass das Landstädtchen sowohl national als auch kantonal geschützt sei.
Wichtiger Bestandteil eines Ortsbildes sei der öffentliche Raum. Dass dieser attraktiv sei, entstehe dadurch, dass sich verschiedene Nutzungen überlagern: «Das Gemeindehaus, die Schulen, Restaurants, Gewerbe und Läden und Plätze für Festivitäten.» Sakmann forderte die Gemeinde auf, nicht nur den obligatorischen Verkehrsrichtplan zu berücksichtigen. «Wir ermutigen die Gemeinden, ebenso einen Siedlungs- und Landschaftsrichtplan zu erstellen, der diese Themen koordiniert.» Der Heimatschutz sei ein wesentlicher Schlüssel zur Ortsbildwahrung.
Die fünf Thesen für eine lebendige Stadt
Zwischen den Gängen, mittlerweile war der Hauptgang serviert, gaben die alten Schwarzweissfotos auf der Leinwand zu reden. Die Frage, oder mehr der Ausruf «Jesses, weisch na!» war an allen Tischen zu hören. Vor dem Dessert betrat Paul Dominik Hasler, ein Experte des Netzwerks Altstadt bei Espace Suisse, die Bühne. Als negatives Beispiel stieg er mit einem Bild der Shoppingzone bei Oftringen in seine reich bebilderte Präsentation ein. Dort reihen sich anonyme Möbelhäuser, Elektronikund Bekleidungsfachmärkte aneinander, durchtrennt durch eine Hauptstrasse und enorme Parkplatzflächen. «Im Kern ist eine Stadt ein aussergewöhnliches, exklusives Ereignis. Wegen des Autos hat sie die Exklusivität verloren, der Handel findet neuerdings nicht mehr in der Mitte, sondern ausserhalb statt.»
Er wartete mit fünf Thesen auf, die das Leben in einer Stadt wieder lebenswert machen sollen. Die erste nahm direkten Bezug auf die Tatsache, dass die Zentren die Exklusivität verloren haben. «Die Zukunft wird ausserhalb entschieden, es braucht eine Umlandstrategie.» Damit meinte er, dass es wichtig sei, die Grossverteiler möglichst nahe oder ins Zentrum zu bringen – gut gelungen sie dies beispielsweise Delémont. Die weiteren Thesen umfassten die Fragen, wieviel Modernität ein historischer Stadtkern vertrage und wie bedeutend es sei, dass sich Zentren auf die Menschen fokussierten. Spannend die Thesen vier und fünf: «Eine Städtestrategie muss eine Aussenraumstrategie sein, das heisst, sie muss klar definieren, wo Zentrum ist, wo Spielraum, wo Romantik.» Und natürlich brauche es eine «Gute-Laune-Strategie» – die Leute müssten als positive Botschafter die Lebendigkeit nach aussen tragen. Er gab zum Schluss allen eine Aufgabe mit auf den Weg: «Womit könnte Elgg im positiven Sinne aus dem Rahmen fallen, womit könnt ihr auftrumpfen?» Als Denkanstoss schlug er «Züri 2.0» vor, schliesslich sei ein gesundes Selbstvertrauen gut.
Für die Gäste gab es anschliessend an die viele Kost eine erfrischende Süssmostcrème, für die drei Referenten eine Elgger-Chronik und einen Elggermaa.
Zum Abschluss des Geburtstagsfestes nahm Peter Trüb alle mit auf einen virtuellen Dorfrundgang. Er präsentierte zahlreiche Bilder vom Flecken mit vielen Details und Gebäuden einst und heute. Besonders das stattliche Haus zur Meise war immer wieder Gegenstand seines Rückblicks. Bei dieser Gelegenheit erwähnte er, dass anlässlich des «GrUm’25» am 10. Mai das Haus auch von Innen besichtigt werden könne.
Es war ein kurzweiliger und spannender Rückblick auf die bewegte Geschichte. Die wertvolle Arbeit der Heimatschutzvereinigung wurde – wie so oft an diesem Abend – einmal mehr betont und manch einer mag auf dem Heimweg das eine oder andere Gebäude in einem anderen Blickwinkel, vielleicht sogar mit Zuneigung betrachtet haben. So eine mehr als fünfstündige Liebeserklärung hinterlässt mit Sicherheit ihre Spuren.
MARIANNE BURGENER