Eine starke Bindung als Rüstzeug für eine positive Zukunft
20.05.2025 GuntershausenAngesichts einer Welt voller Herausforderungen und Unsicherheiten spüren Kinder und Jugendliche oft Angst und Verunsicherung. Wie Eltern sie trotz allem stärken und ihnen den Umgang mit Krisen vermitteln können, zeigte ein Vortrag des Elternforums VSG Aadorf.
...Angesichts einer Welt voller Herausforderungen und Unsicherheiten spüren Kinder und Jugendliche oft Angst und Verunsicherung. Wie Eltern sie trotz allem stärken und ihnen den Umgang mit Krisen vermitteln können, zeigte ein Vortrag des Elternforums VSG Aadorf.
«Beschütz mich!» – diese Bitte sendet jedes Kind an seine Eltern. Doch wie gelingt es, sie in einer sich ständig wandelnden Welt zu begleiten und ihnen Perspektiven zu vermitteln?
Einer Studie zufolge machen sich 71 Prozent der Jugendlichen Sorgen über ihre Zukunft, nur gerade vier Prozent sehen optimistisch und der Rest immerhin eher optimistisch auf das Kommende. Als Einstieg liess Referentin Daniela Holenstein, Expertin für gewaltfreie, anleitende Erziehung, die Teilnehmerinnen Stichworte zum Thema «Zukunftsperspektiven» aufzählen: Fortschritt, Optimismus, künstliche Intelligenz, Ausbildung, Zufriedenheit, Eigenverantwortung, Veränderung wurden genannt. Zögerlich kamen negative Begriffe, die eher zur eingangs erwähnten Umfrage passten: Der Umgang mit Ressourcen, Ängste und Unsicherheit. Dass das aktuelle Weltgeschehen mehr als zu früheren Zeiten bis ins Kinderzimmer vordringt und beschäftigt, zeigte das Beispiel einer Mutter, die erzählte, dass ihr Siebenjähriger nach Hause kam und fragte: «Gäll, de Putin isch en Blöde?» Sobald sich Kinder im Netz bewegen, bekommen sie mit, was aktuell passiert. In diesem Moment sei es wichtig, die Fragen des Kindes ernst zu nehmen und darauf einzugehen.
Dass der Nachwuchs mitbekommt, was Eltern beschäftigt, war schon immer so – ein Rückblick auf angsteinflössende Geschehnisse wie Tschernobyl, den Irak-Krieg, Öl- und Umweltkatastrophen, sind im Gedächtnis der heute Erwachsenen. Ein guter Ansatz mit den Sorgen und Ängsten von Kindern und Jugendlichen umzugehen sei, sich zu überlegen: «Was hätte mir damals geholfen, als ich Angst hatte?» Eine grosse Veränderung gegenüber früher ist, dass die Intervalle zwischen den Krisen in der heutigen Zeit kürzer geworden sind. Das Leben eines heute Zehnjährigen ist mehrheitlich von Unsicherheiten geprägt: Auf Corona folgte nahtlos der Ukraine-Krieg, der noch immer andauert – mehr als die Hälfe seines bisherigen Daseins. Kinder fühlen sich solchen Meldungen und Situationen hilflos ausgeliefert, es fehlen ihnen mögliche Bewältigungsstrategien.
Das Zeitfenster der Gesprächsbereitschaft erkennen
Der Kernauftrag an Eltern gegenüber ihren Kindern ist es, sie zu beschützen und ihnen zu zeigen, «wie man lebt». Eltern bleiben im Normalfall die wichtigsten Bezugs- und Ansprechpersonen lange über das Kindesalter hinaus. Damit ein Dialog zustande kommt, müssen beide Seiten einiges richtig machen. Geben die Erwachsenen bereits die Lösung vor, negieren oder verniedlichen sie die Ängste, ist dies mit Sicherheit nicht zielführend. Ein Gespräch lässt sich auch nicht erzwingen. «Achten Sie auf die Signale der Kinder; sie zeigen, wann sie über etwas reden wollen. Fragen Sie nach, was los ist und was die Bedürfnisse sind. Aber nie nach dem Warum, denn darauf hat das Kind keine Antwort und beendet den Austausch.» Ein guter Einstieg könne auch sein, aus der eigenen Kindheit zu erzählen.
Eine Mutter aus dem Kreis der Teilnehmerinnen meldete sich und erzählte, dass ihr halbwüchsiger Sohn auf die Frage, was los sei, jeweils mit «nichts» antworte. Er wolle nie über etwas reden, ganz anders als die Tochter. Die Expertin riet ihr, herauszufinden, in welcher Situation allenfalls ein Gespräch entstehen könnte: Beim gemeinsamen Spaziergang oder sonst einer Tätigkeit? Die Mutter winkte ab: «Ich habe noch kein Mittel gefunden, das ihn gesprächiger macht.» Trotzdem, das Angebot für einen Austausch spiele eine grosse Rolle, schon das bewirke etwas im Gegenüber. «Kinder wollen Wertschätzung, sie möchten ihren Beitrag zur Gesellschaft leisten und brauchen dafür unsere Unterstützung.» Wichtig sei das Zeitfenster zu erkennen, wann Gesprächsbereitschaft da sei. «Dann ist es ‹jetzt› und nicht eine halbe Stunde später oder am Abend.»
Die Folgen von psychischen Problemen und schlechter mentaler Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sind gravierend. Sie reichen von Leistungseinbrüchen in der Schule, über Depressionen, Essstörungen hin zu Selbstverletzungen und der Verstärkung von bereits vorhandenen biologischen Hintergründen wie ADHS. Weltweit steigen die Zahlen von Jugendlichen mit Depressionen kontinuierlich an.
Erwachsene und Kinder gleichermassen unter Druck
Um ‹richtig› zu erziehen, gibt es kein allgemeingültiges Rezept. Holenstein lehrt eine anleitende und gewaltfreie Erziehung, bei der sich Kinder und Eltern auf Augenhöhe begegnen. Sie orientiert sich an den Bedürfnissen beider Seiten und beruht auf einer einfühlsamen und klaren Kommunikation. Die Eltern definieren Regeln, Werte und Normen, als Anleitung für die ganze Familie. Damit einher geht eine liebevolle, warmherzige und aufmerksame Haltung.
Eltern müssten neue Wege finden, Angst vor dem Vater oder der Mutter sei kein probates Mittel mehr. Sie müssten authentisch sein und dem Nachwuchs nichts vorspielen, das werde heute durchschaut. «Kinder lesen die Gefühle der Eltern. Falls diese über ihre eigenen Bedürfnisse und Probleme nicht kommunizieren, können die Kinder Schuldgefühle entwickeln.» Besser sei ein gemeinsames Gespräch, wo der Schuh drücke und wie man damit umgehe. Nur so würden sie eigene Strategien entwickeln, mit Herausforderungen umzugehen.
Gemäss Job-Stress-Index von 2022 gaben über 28 Prozent der Befragten an, dass sie im Arbeitsleben mehr Belastungen als Ressourcen ausgesetzt seien, über 45 Prozent, sie befänden sich in einem sensiblen Bereich und nur gerade etwas über 26 Prozent sagten, ihre Lage sei vorteilhaft. Dieser Index zeigt deutlich auf, dass sich sowohl Eltern wie Kinder gleichermassen in belastenden Situationen befinden, ausgelöst jedoch durch verschiedene Faktoren.
Resilienzfähigkeit ist lernbar
Das etwas in Mode gekommene Wort «Resilienz» sagt aus, wie man Rückschläge und Niederlagen aushält und aus eigenen Ressourcen daraus wieder aufsteht – oder «Zukunftsresilienz» entwickelt. Diese Fähigkeit, zurück zur Kraft zu finden, lässt sich lernen, sie ist nicht einfach gegeben. Als bildhaftes Beispiel zeigte Holenstein eine kleine Holzgiraffe mit Gummizügen im Innern: Unter Druck fiel sie in sich zusammen und richtete sich wieder auf, sobald der Druck nachliess. Entscheidend zur Befähigung, eigene Ressourcen zu entwickeln, ist eine gute Verbindung zwischen Eltern und Kindern. «Eine sichere und starke Bindung zu den Kindern ist der wichtigste Schutzfaktor im Leben», betonte Holenstein.
Um starke innere Kräfte aufzubauen, rät die Expertin zum Modell des Wirkungskreises – ein praxisnaher Leitfaden mit grosser Wirkung. Dabei geht es darum, sich bewusst auf drei Bereiche zu konzentrieren: zuerst auf das, was man selbst entscheiden, dann auf das, was man beeinflussen kann, und zuletzt auf alles, was ausserhalb der eigenen Kontrolle liegt. Indem man den Fokus hauptsächlich auf die eigenen Entscheidungen richtet, nutzt man seine Energie gezielt und baut so mehr innere Stärke auf. Mit diesem Vorgehen erscheinen die Bereiche, die man direkt beeinflussen kann, grösser – das Gefühl «ich bin handlungsfähig» wird zentral. Als positives Beispiel nannte Holenstein die Figur von Pippi Langstrumpf «Ein starkes Mädchen mit guten Ressourcen, das Zuversicht vermittelt.»
In der Schlussrunde nannten die Mütter, was sie als zentrale Erkenntnisse aus dem Abend mitnehmen wollten: Den Kindern Werte vermitteln, dass Geschichten und eigene Erlebnisse von früher gute Gesprächseinstige sind, dass es unabdingbar ist, das Zeitfenster für eine Unterhaltung zu erkennen und dass das Modell nach dem Wirkungskreis auf einfache Weise viel bewirkt.
Sie waren mit Fragen an den Vortrag gekommen, sie gingen mit neuen Fragen nach Hause, aber nicht, ohne ebenso viele Antworten erhalten zu haben.
MARIANNE BURGENER
Daniela Holenstein, Mutter von vier Kindern, hält seit 2006 Vorträge zu gewaltfreier, anleitender Erziehung. Sie arbeitet für den Kinderschutz Schweiz, für die Elternbildung und ist Weiterbildungsverantwortliche der Spitex Kanton Zürich.
Mehr Informationen auf ihrer Webseite: www.bildungszimmer.ch