Ein Wahnsinniger greift nach der Weltherrschaft
23.08.2022 EttenhausenEine Schlagzeile, wie aus einer Nachrichtensendung dieser Tage. Glücklicherweise beschreibt sie nur in Kürzestform den Inhalt des Films «Der grosse Diktator», der allerdings trotz seiner 82 Jahre aktueller nicht sein könnte. Ein geselliger Filmabend zwischen Gemütlichkeit, Lachen und Entsetzen.
Am Freitag, dem Tag der Open-Air-Kinovorführung, schüttete es wie aus Kübeln. Dass der langersehnte Regen kam, störte niemanden. Aber ausgerechnet an diesem Abend, nach gefühlten 100 Tagen Sonnenschein, war schon etwas ärgerlich und liess den Verdacht aufkommen, dass der angekündigte Film Petrus zünftig missfallen musste. Kurz vor Türöffnung hatte er dann doch noch ein Einsehen und drehte den Wasserhahn zu. Das Publikum liess sich von den Launen des Wettermachers nicht vom gemütlichen Kinoabend abhalten und erschien in ansehnlicher Zahl. Die Festbänke unter dem gedeckten Durchgang beim Schulhaus füllten sich im Verhältnis dazu, wie sich der Grill leerte. Die Organisatoren, der Kulturveranstalter Gong und der Männerchor Ettenhausen, hatten wohl nicht damit gerechnet, dass die Bevölkerung derart wetterfest war.
Von Pascal Mettler, dem Präsidenten des Männerchors und Vorstandsmitglied beim Gong, war zu erfahren, dass der Anlass in diesem Jahr bereits zum 14. Mal durchgeführt wurde, bisher des Wetters wegen nur einmal auf die Turnhalle ausgewichen werden musste und einmal mitten in der Vorführung während der Pause. Nicht ohne Stolz erzählte er, welche Filmperlen er der Ettenhausener Bevölkerung schon servieren konnte. So wurden auf dem Schulhausareal bereits Streifen wie «Rocket Man» – die Filmbiografie über Elton John, «Blues Brothers» oder «Mamma Mia» gezeigt. «Gerne hätte ich in diesem Jahr ‹Bohemian Rhapsody›, die erfolgreiche Biografie über Freddie Mercury und Queen, gezeigt, aber meine Bemühungen, den Film zu bekommen, waren leider erfolglos», wie der Organisator verrät. Vielleicht klappt es damit ja nächstes Jahr.
Topakuteller 80-jähriger Film sorgt für Beklemmung
In der Turnhalle wurden Dias der diversen Sponsoren gezeigt, ohne deren Unterstützung Veranstaltungen wie diese nicht möglich wären. Der Männerchor ergriff ebenfalls die günstige Gelegenheit, beim aufmerksamen und erwartungsvollen Publikum für neue Mitglieder zu werben, bevor der grosse Diktator die Bühne betrat und sich anschickte, die Weltherrschaft an sich zu reissen.
Premiere feierte das geschichtsträchtige Werk vor 82 Jahren, im Oktober 1940 in New York. Als Mitte der 30er-Jahre durchgesickert war, dass Charlie Chaplin einen Film über Hitler plante, wurde das Projekt vehement bekämpft. Nebst Drohungen deutscher Diplomaten und des nationalsozialistischen German-American-Bunds übten auch die Briten Druck aus, um ihre zurückhaltende Politik gegenüber Hitler nicht zu gefährden. Heftigen Widerstand gegen das Projekt gab es sogar aus Hollywood – aus Angst um den deutschen Markt. Chaplin setzte sich durch und drehte auf eigenes Risiko. Nach dem Machtantritt von Hitler Ende Januar 1933 wurden die Filme des weltbekannten Spassmachers in Deutschland sofort verboten.
Die Handlung ist aktueller denn je. Ein grössenwahnsinniger Diktator, dessen Sturmtruppen Juden und Andersdenkende in Ghettos sperren und terrorisieren, marschiert hinter dem Rücken seines Verbündeten ins Nachbarland ein und besetzt dieses. Seine Absicht keine geringere, als letztendlich die Weltherrschaft an sich zu reissen. Mit irren Reden in wirrer Sprache, der Abschaffung von Freiheit und Bürgerrechten zwingt er die Massen hinter sich. Erst die fatale Verwechslung mit einem jüdischen Friseur, dem Tyrannen wie aus dem Gesicht geschnitten, stoppt den Wahnsinn. Anstelle des Diktators hält der Friseur die Antrittsrede vor dem eroberten Volk und versammelter Armee- und Parteispitze. Ein flammender Appell an Menschlichkeit, Hoffnung und Miteinander, der aktueller nicht sein könnte. Eine Filmszene, die in die Geschichte einging und die Hitler-Parodie für alle Zeiten unvergesslich werden lässt.
Die grossen unbeantworteten Fragen des Lebens
Es war kurz vor Mitternacht, als nach der bewegenden Rede des falschen Diktators «The End» auf der Leinwand erschien – das Ende eines Werks zwischen Lachen und Grauen. Einen Moment lang war es stockdunkel und mucksmäuschenstill in der Turnhalle. Den Worten, wie aktuell der Film in der momentan instabilen Weltlage mit Krieg und Bedrohung wieder sei, folgte Applaus, bevor sich das sichtlich ergriffene und betretene Publikum auf den Heimweg machte.
Die Voten Chaplins, dass die Menschheit zwar die Geschwindigkeit erfunden hätte, innerlich aber stehen geblieben sei, und Maschinen erfunden worden wären, die für uns arbeiten, aber auch denken würden, dürften beim einen oder anderen noch länger nachhallen. Man darf sich die Frage durchaus stellen, warum die Menschheit nicht in der Lage ist, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Warum sich die Erkenntnis nicht durchsetzt, wie wunderbar das Leben ohne Hass, Habgier und Missgunst sein könnte.
MARIANNE BURGENER