Ein neues Jahr für zweite Chancen
30.12.2025Das Flackern kleiner Möglichkeiten – Gedanken zum Jahreswechsel
ZUM JAHRESWECHSEL
Das neue Jahr poltert nicht immer mit Pauken und Trompeten herein. Hin und wieder schleicht es sich leise in unser Leben, setzt sich ungefragt neben uns und ...
Das Flackern kleiner Möglichkeiten – Gedanken zum Jahreswechsel
ZUM JAHRESWECHSEL
Das neue Jahr poltert nicht immer mit Pauken und Trompeten herein. Hin und wieder schleicht es sich leise in unser Leben, setzt sich ungefragt neben uns und lächelt still fragend: «Was wäre, wenn? Vielleicht diesmal anders?» In Momenten wie diesen – irgendwo zwischen einem Zwinkern, einem Lächeln oder einem Stolpern – entstehen zweite Chancen.
Nicht im flüchtigen Glanz und opulenten Donnern eines Feuerwerks, sondern im Flackern kleiner Möglichkeiten. Weniger im pompösen Neuanfang als im leisen Wiederentdecken.
Mutige Einladungen
Zweite Chancen sind keine inszenierten Versprechen, sie sind mutige Einladungen für einen Weg aufeinander zu. Wenn wir genau hinhören, so klopfen zweite Chancen immer wieder an unsere Lebenstür – mal zögerlich, mal hartnäckig. Wo können wir auf unsere Mitmenschen zugehen und die Richtung neu definieren? Wo Seite an Seite voranschreiten? Vielleicht dort, wo wir einst abgebogen sind, ohne uns ein weiteres Mal umzudrehen. Wo Stolz lauter war als Verständnis. Wo Schweigen bequemer erschien als ein ehrliches Wort. Für einen neuen Anlauf reicht oft ein erster kleiner Schritt. Ein Blick. Ein «Lass es uns noch einmal versuchen».
Altes loslassen
Missverständnisse sind eigensinnige Begleiter, mitunter sogar richtig seltsame Wesen. Sie entstehen aus Halbsätzen, aus falschem Timing, aus ungefragten Annahmen, die meist niemand überprüft hat. Und doch halten wir sie erstaunlich lange fest wie ausgediente Rettungsringe, obwohl sie längst ihre Luft verloren haben.
Wäre es nicht an der Zeit, einige davon über Bord zu werfen? Sie den Weiten zu überlassen, damit sie in den Tiefen versinken dürfen? Nicht aus Vergessen, sondern aus Erleichterung.
Spuren im Sand
Es gibt diese Augenblicke, in denen wir innehalten sollten – bevor wir antworten, bevor wir werten, bevor wir die Stimme erheben. Tief durchatmen – wirklich tief. Nicht um Recht zu behalten, sondern um Raum zu schaffen. Für ein Gespräch, das nicht gewinnen muss, sondern verstehen will. Und dabei auch mal ein bisschen stolpern darf.
Und dann sind da noch diese Inseln. Kleine, stille Orte in unserem Innersten, auf denen wir Dinge sachte an den Strand legen können, die wir nicht mehr mit uns herumtragen möchten: Unsicherheiten. Unausgesprochene Erwartungen. Verletzungen. Enttäuschungen – Ereignisse, die schwer geworden sind. Der Sand nimmt sich diesen Spuren an. Die Wellen kommen und gehen. Und irgendwann weicht der Schwere ein Gefühl von mehr Leichtigkeit.
Grenzen und neue Türen
Doch zweite Chancen bedeuten nicht Grenzenlosigkeit. Es gibt Linien, die bleiben müssen. Grenzen, die uns schützen, für die wir einstehen dürfen – ruhig, klar, ohne Schuldgefühle. Denn wer sich selbst achtet, begegnet auch seinem Gegenüber aufrechter. Nicht jede Tür muss wieder in derselben Form geöffnet werden. Aber manche dürfen einen Spalt breit aufgehen. Und das darf bisweilen reichen.
Ein Licht am Wegesrand
Das Leben schenkt uns auch im neuen Jahr die Möglichkeit, ein neues Licht anzuzünden. Kein grell blendendes Scheinwerferlicht, eher eine kleine Lampe am Wegesrand. Sie zeigt nicht alles – aber genug, um weiterzugehen.
Geben wir ihnen Raum, den zweiten Chancen? Uns selbst? Den anderen? Vielleicht ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt, neu zu beginnen. Nicht perfekt, aber ehrlich. Und mit einem Lächeln im Gepäck.
SARAH UTZINGER

