Ein Leben für die Kultur
04.04.2023 AadorfEine grosse Macherin der Kulturszene – in Aadorf und darüber hinaus – tritt kürzer: Lilo Wellinger. Nach dem letzten Montag-Blues-Konzert wird sie Kultur künftig von der anderen Warte aus geniessen und vermehrt ihren Hobbys nachgehen. Ein Blick auf ihr ...
Eine grosse Macherin der Kulturszene – in Aadorf und darüber hinaus – tritt kürzer: Lilo Wellinger. Nach dem letzten Montag-Blues-Konzert wird sie Kultur künftig von der anderen Warte aus geniessen und vermehrt ihren Hobbys nachgehen. Ein Blick auf ihr jahrzehntelanges Schaffen.
Lilo Wellinger darf ohne Umschweife als die grosse Dame der Aadorfer Kulturszene genannt werden. Sie machte sich in der Gemeinde und darüber hinaus jahrzehntelang mehr als verdient. Die 74-Jährige setzte sich über all die Jahre fast ein Leben lang dafür ein, dass Kultur den bedeutenden Stellenwert – den sie verdient – erhält und bewahrt. Kultur ist wichtig, zwar nicht alles, aber ohne sie ist alles nichts. Sie regt an zum Nachdenken, bringt Menschen zum Lachen und Entspannen. Sie weckt Emotionen.
Nachdem sich die immer bescheiden gebliebene Wellinger nun aus dem Verein Montag Blues Aadorf zurückzog, ist es Zeit auf ihr Schaffen zurückzublicken:
LILO WELLINGER, DAS LETZTE KONZERT UNTER IHRER ÄGIDE IST GESCHICHTE. SIE DURFTEN VERDIENTERMASSEN AUF DEM THRON PLATZ NEHMEN UND WURDEN GEWÜRDIGT. WAS WAREN IHRE EINDRÜCKE?
Wie immer gönnten wir uns ein Nachtessen mit den Künstlern. Kurt Gerber meinte, dass ich mein letztes Konzert ansagen dürfe, er aber vorher noch ein paar Worte an mich richten wolle. Ich sagte ihm noch, das dürfe aber wegen des Publikums nicht zu lange werden. Schliesslich wurde ich überrascht durch Oliver Kühn, mit dem ich manches Jahr im Theater Jetzt zusammenarbeitete, wo ich die Produktionsleitungen innehatte. Seine kurze, zackige Laudatio war eine schöne Überraschung.
ALSO EIN EINDRÜCKLICHER UND EMOTIONALER ABEND?
Ja, sehr. Die Emotionen kochten hoch, ich erinnerte mich an den Start vor elf Jahren und die Zusammenarbeit. Es war ein würdiger, spezieller Abend im prächtigen Stuhl, auf dem ich das Konzert geniessen durfte.
KURT GERBER, PASCAL METTLER UND SIE GRÜNDETEN 2012 DEN VEREIN MONTAG BLUES AADORF. EURE VISION: AADORF SOLL ZUM «BLUES-MEKKA» DES KANTONS THURGAU WERDEN. ZIEL ERREICHT?
Ich würde nicht gerade Mekka sagen, aber es kommen Künstler von überall her.
AUCH INTERNATIONALE INTERPRETEN …
… Genau. Und das Interesse der Künstlerinnen ist sensationell. Wir haben eine Warteliste, was zeigt, dass sie gerne in den Rotfarbkeller kommen. Die Akustik ist toll, das Ambiente schön. Wir haben ein angenehmes Publikum, das dem Blues zuhört. Zudem ist der Montag ideal, denn er ist kein Vereinsabend.
MAN KANN SAGEN, EINE ELFJÄHRIGE ERFOLGSGESCHICHTE. WAS WAREN DAFÜR DIE WICHTIGSTEN ECKPUNKTE, NEBST DER LOCATION?
Sicher, dass die Musiker gerne kommen. Der Gong veranstaltete jahrelang, als er noch im Graffiti-Keller war, Blueskonzerte. Dann kamen wir in die Gemeinde und mussten feststellen, dass der Kleinkunstsaal für solche Gigs nicht sehr geeignet ist. Man stoppte also diese events, ich hatte aber viele Connections zu Bluesbands im In- und Ausland. Durch das, dass ich im Gong aufhörte und Kurt Gerber immer schon meinte, wir sollten im Rotfarbkeller etwas aufziehen, kamen wir zusammen und sagten uns: Wir machen hier unten Blues. Die Musiker trugen schliesslich hinaus, wie angenehm schön es hier ist und wie herzlich sie empfangen werden. Bei uns sind sie zu Hause.
SIE STELLEN DIE MUSIKER IN DEN FOKUS, WAS AUCH SEIN SOLL. IHR VOM VEREIN ARBEITET IM HINTERGRUND UND SEID NICHT DIE HAUPTPERSONEN. TROTZDEM: EUER WIRKEN UND DIE ZUSAMMENARBEIT IM VORSTAND IST WICHTIG UND SCHEINT ZU FUNKTIONIEREN.
Die Zusammenarbeit wuchs. Wir waren zu dritt am Anfang. Kurt arbeitete noch, Pascal war viel in der Kultur unterwegs und ich eigentlich die, welche das Know-how und die Kontakte hatte. Pascal und ich begleiteten und leiteten dazumal schon viele Projekte und wussten dadurch, wie man sowas aufzieht. Zu Beginn machte ich vieles selbst. Ich organisierte die Künstler, suchte Sponsoren nahm mich dem Vorverkauf an und so weiter. Pascal half am Abend jeweils aus und Kurt war für den Keller zuständig.
MIT DER ZEIT SPIELTE SICH DAS EIN?
Mit den Jahren, ja. Ganz wichtig waren dabei natürlich die Helferinnen und Helfer sowie Rob Meijer, der die Abendkasse betreute. Er übernahm dann schliesslich die ganze Kasse. So konnte ich ihm alles, was dazu gehörte, wie beispielsweise die Mitgliedschaften, übergeben. Es war für mich eine Erleichterung, dass ich ihm die Finanzen abtreten durfte. Inzwischen konnte die Arbeit auf alle Vorstandsmitglieder gut verteilt werden, was meiner Nachfolgerin Imelda Rupper den Einstieg vereinfachen dürfte.
SCHWEIFEN WIR KURZ VOM MONTAG BLUES AADORF AB. IHR NAME STEHT FÜR JAHRZEHNTELANGES ENGAGEMENT ZUGUNSTEN DER KULTUR DER GEMEINDE. ZU ERWÄHNEN SIND DA NEBST DEM MONTAG BLUES AADORF DIE MITORGANISATION DES KLEINKUNSTFESTIVALS «DIE KRÖNUNG» SOWIE DIE GRÜNDUNG UND MASSGEBLICHE PRÄGUNG DES KULTURVERANSTALTERS GONG. DA WAR DIE ERNENNUNG 2019 ZUR AADORFER PERSÖNLICHKEIT DES JAHRES EINE SCHÖNE UND VERDIENTE ANERKENNUNG?
Sie wollten mir diesen Preis eigentlich schon lange übergeben, doch ich lehnte ihn immer ab. Ich habe ein wenig etwas dagegen, wenn man lokale Persönlichkeiten in den Himmel hebt. Es gibt doch so viele Freiwillige im Hintergrund, die das genau so verdient hätten. Ich war auch der Meinung, dass man das nicht machen sollte, solange ich in der Kulturkommission bin. Zuletzt ging es dann doch, was mich freute. Es war auch ein sehr schöner, auf mich abgestimmter Anlass. Klar leistete ich viel für die Kultur in Aadorf, aber ich bin halt ein Kulturmensch, komme aus kulturellem Haus. Für mich gehört es einfach dazu. Ich muss dennoch sagen, dass es in Aadorf etwas harzt mit der Kultur.
INWIEFERN?
Es machen viele Kultur, aber es wird irgendwie übersehen. Beispielsweise Carmen Puccio mit dem Tanztheater oder Luca Scioscia mit seiner Tanzschule. Auch sie sollte man einmal würdigen, ihnen zeigen, dass sie jemand sind. In anderen Kantonen und vielen Kulturkommissionen wird diesbezüglich mehr gemacht. In Aadorf, ja im ganzen Kanton Thurgau harzt es diesbezüglich ein wenig.
VIELLEICHT FEHLT HIER ETWAS DIE KULTURLOBBY? SIE ERLEBTEN DIE ENTWICKLUNG IN ALL DEN JAHREN MIT …
Das ist so. Ich muss aber auch sagen, dass den Kulturschaffenden alles in die Wiege gelegt wurde. Und jetzt müssen sie an die Säcke. Man muss von ihnen halt auch spüren, dass etwas kommt. Gemeinde oder Kanton «höbelen» ihnen halt nicht hinterher. Es liegt also auch an den Kulturschaffenden selbst.
IHR EINFLUSS GEHT MIT DER PRODUKTIONSLEITUNG DES THEATERS JETZT IN SIRNACH, ALS MITINITIANTIN ZUR GRÜNDUNG DES VEREINS KULTUR SÜDTHURGAU UND BEI DER MITHILFE ZUR NEUGRÜNDUNG DES VEREINS THURKULTUR ÜBER DIE GEMEINDEGRENZE HINAUS. WAS IST FÜR SIE KULTUR UND WESHALB IST SIE SO WICHTIG?
Weil Kultur Freude bereitet. Sie verschönert den Alltag und ist eine andere Sichtweise. Nicht stur, sondern flexibel soll man sein. Man muss auf die Leute zugehen. Es braucht Kultur, ohne sie fehlt etwas. Mein Vater war Mohammedaner, weshalb ich in zwei Kulturen aufwuchs. Ich bekam die Verschiedenheiten hautnah mit und lernte, davor Respekt zu haben.
MAN DARF VIELLEICHT AUCH FANTASIEN AUSLEBEN, WAS MAN IN ANDEREN LEBENSBEREICHEN MÖGLICHERWEISE NICHT ODER WENIGER KANN.
Das ist sehr wichtig. Man darf auch mal etwas sagen, das man sonst nicht würde (lacht).
ZURÜCK ZUM MONTAG BLUES AADORF. MIT DEN 75 KONZERTEN WÄHREND IHRER ÄRA SIND SICHERLICH VIELE SCHÖNE MOMENTE VERBUNDEN. GIBT ES DA EIN PERSÖNLICHES HIGHLIGHT?
Für mich war es immer ein Höhepunkt, wenn die Mojo Blues Band bei uns im Rotfarbkeller spielte. Seit sie dazumal noch im Graffiti-Keller aufspielte begleiten Erik Trauner und seine Leute meinen Blues. Wir hatten sie auch schon im grossen Saal, wobei ich mich an etwas ganz Spezielles erinnern kann. Ich kannte Trauner bereits seit 30 Jahren, er feierte seinen 60., ich meinen 70. Geburtstag und die Band das 40-Jahre-Jubiläum. Das war ein wirklich feierlicher Anlass. Ansonsten darf ich sagen, dass jedes der 75 Konzerte der Montag-Blues-Reihe ein Spezielles war.
EINE KULTURSZENE OHNE LILO WELLINGER IST FAST UNDENKBAR. BLEIBEN SIE IHR IN IRGENDEINER ART UND WEISE ERHALTEN?
Im Moment nur noch mit der «Krönung». Oliver Kühn vom Theater Jetzt darf mich aber immer fragen, wenn irgendwo Not an der Frau ist. Ansonsten werde ich jetzt Kultur von der anderen Warte aus geniessen.
WAS SIND IHRE WÜNSCHE FÜR DIE AADORFER KULTURSZENE ALLGEMEIN?
Dass sie weiterbesteht, immer durch die Gemeinde unterstützt wird und man alle Kulturschaffenden besser wahrnimmt.
UND FÜR DEN VEREIN MONTAG BLUES AADORF IM SPEZIFISCHEN?
Dass es wie bis anhin weitergeht und der Erfolg anhält.
UND AM WICHTIGSTEN : WAS WÜNSCHEN SIE SICH SELBST FÜR DIE ZUKUNFT?
Dass ich gesund bleibe und noch viele Jahre mit meinem Hund arbeiten kann. Er ist zweieinhalbjährig und wir betreiben Menschensuche. Zudem wandern wir viel und sind in der Natur draussen. Ich freue mich auf zusätzliche Zeit für Hobbys wie Boots- oder Schifffahrten, Hausbootreisen auf den französischen Kanälen mit Hund und Ehemann Arthur oder auf weitere Expeditionsreisen in den Norden auf den Hurtigruten-Schiffen mit meiner Kollegin.
EIN DANK ZUM ABSCHLUSS?
Ich bedanke mich bei allen, die mich bei meinen Kulturaktivitäten unterstützten. Ich war nicht immer die Einfachste. Und ich freue mich auf manches Wiedersehen!
TEXT UND INTERVIEW: RENÉ FISCHER
Liebe Lilo
Von Herzen möchte ich dir im Namen aller Kulturschaffenden, Kulturgeniesserinnen und Mitstreiter für dein grosses Engagement, die tollen Stunden danken, die wir mit dir mit deiner unerschöpflichen Energie hinter, auf und vor der Bühne erleben durften und immer noch dürfen! Du hast mit deinem grossen Herz und dem unermüdlichen Schöpfergeist unser Leben und unsere Umgebung geprägt und verschönert. Und so wie ich dich kenne, wirst du das noch lange weiter tun. Du wolltest nie allein als Veranstalterin, als Macherin verdankt werden, für dich steht das Team im Vordergrund. Nun ist es aber Zeit, sich bei dir ganz allein zu bedanken und deine wunderbare Arbeit, die du immer als Lebensantrieb mit Lust und Freude gemacht hast, zu würdigen. Herzlichen Dank!