Ein glaubwürdiger Truppenkommandant und Zürcher Historiker
25.10.2025Die Freunde alter und ehemaliger Burgen führen gerne an einen auserlesenen Ort: Die Autobahn A4 zwischen Winterthur und Schaffhausen bei der Ausfahrt Kleinandelfingen verlassen. In Kleinandelfingen die Thur auf der alten Holzbrücke überqueren, dann auf der Flaacherstrasse weiter in ...
Die Freunde alter und ehemaliger Burgen führen gerne an einen auserlesenen Ort: Die Autobahn A4 zwischen Winterthur und Schaffhausen bei der Ausfahrt Kleinandelfingen verlassen. In Kleinandelfingen die Thur auf der alten Holzbrücke überqueren, dann auf der Flaacherstrasse weiter in westlicher Richtung. Kurz nach Andelfingen zweigt rechts die Strasse nach Alten ab. Wiederum die Thur überqueren und im Dorfzentrum links in die Ellikonerstrasse einbiegen. Nach dem Dorf der nach Süden abzweigenden Wespersbühlstrasse folgen – diese endet direkt bei der Burgstelle Wespersbühl.
Hermann Steinbuch erwirbt den Burgplatz Wespersbühl.
Südlich von Alten thronte einst über der Thur die Burg Westersbühl. Der Ort mag Erstinteressierte als eine unaufhörliche Geschichte der Handänderungen, der Bauten und des Zerfalls verwirren. Sie beginnt im 13. Jahrhundert mit den ersten Besitzern, den Herren von Wespersbühl. Und die Ritter lösen sich über die Jahrhunderte im Besitztum ab. Gerne hätte die Gemeinde Alten den zur Burg gehörenden Hof mit weitläufigen Waldungen erworben. Neuer Besitzer des Hofes wurde aber der unbekannte Andreas Keller aus dem Nachbardorf Marthalen.
Und die nächste Ueberraschung: Den Burgplatz erwirbt im Jahre 1906 der Zürcher Oberst Hermann Steinbuch (1863–1925), dessen Erben er noch 1940 gehört. Warum kauft der hohe Berufsoffizier die bedeutungslos gewordene Oertlichkeit? Es dürfte verschiedene, auch unbekannte Gründe dazu geführt haben: als Leiter militärischer Uebungen in der Region zur Zeit des Ersten Weltkrieges und des Aktivdienstes war Steinbuch die Gegend zwischen Thur und Rhein bestens bekannt. Er wird sich mit bestimmten Orten im Zürcher Weinland beruflich, ausserdienstlich und persönlich stark verbunden gefühlt haben. Ein weiterer Grund für den Kauf der Burgstelle dürfte an Steinbuchs grossem Interesse an der Geschichte, insbesondere an der Zürcher Stadt- und Landschaftsgeschichte, gelegen haben.
Militärdienst
Nach einem Studium der Rechte in Zürich wird der am 16. Juli 1863 in Zürich geborene Steinbuch Instruktionsoffizier der Infanterie und Generalstabsoffizier, Kommandant der Schiessschulen Walenstadt, Mitautor des grundlegenden Exerzierreglements für die Infanterie, avanciert 1910 zum Kommandanten der 5. Division und führt von 1919–1925 das 3. Armeekorps. Von 1911–1925 ist er Dozent an der militärwissenschaftlichen Abteilung der ETH Zürich. Während der Herbstmanöver 1925 in der Ostschweiz verstirbt er völlig unerwartet am 30. September in Bischofszell im 63. Lebensjahr.
Oberst Wille, der Sohn des Generals, schreibt dazu: «Der kluge und vornehm hagere Kommandant des 3. Armeekorps erhielt in Zürich das militärische Ehrengeleit und die drei Gewehrsalven. (Die Zürcher Illustrierte berichtete über die Bestattungsfeier in der Fraumünsterkirche.) Erinnerung an ihn bedeutet Dankbarkeit und Ehrerbietung. Jeder, der das Glück hatte, ihn näher zu kennen, weiss selbst, was er ihm zu danken hat, und was er in ihm verliert. Wohl war er vornehm zurückhaltend, aber er besass die Gabe, sich vor den Menschen natürlich und gemütlich zu geben. Und von ihm selbst war jedermann gern gesehen, der sich ebenfalls einfach und anständig zeigte. Die einfache Soldatenpflicht, vor der es kein geistreiches Ausweichen gibt, zog ihn an. Eine gute Armee verwirklicht unter allen staatlichen Organisationen dieser unvollkommenen Welt am besten eine tüchtige Mannhaftigkeit.
Es bleibt allen Augenzeugen die Energie unvergesslich, mit der der Verunfallte, von seinem schweren Beinbruch nur teilweise geheilt, seine Division an den Manövern 1912 bei Kirchberg und Wil erfolgreich geführt hat. Auch dem deutschen Kaiser machte es tiefen Eindruck. Unter seiner Führung lernte, wer mit ihm durch unser Land ziehen durfte, Land und Leute kennen, ihre Geschichte verstehen und dadurch unsere Miteidgenossen aller Art lieben und schätzen. Im Dienst gab es nur selten Reibungen. Er wusste das Gefühl voller Zusammengehörigkeit zu pflanzen.
Er kommandierte seine Division bis zum Schluss des Aktivdienstes. In der Grippezeit war er selbst schwer erkrankt und eilte, nur halb erholt, in den Novembertagen 1918 wieder an seinen Posten. Steinbuch war ein vom Zeitgeist unabhängiger Offizier und Eidgenosse. Wo immer er sein Urteil abzugeben hatte, wirkte es überzeugend. Beispielhaft bleiben seine Manöverbesprechungen bei Mörsburg und Henggart.
Freund der Lokalgeschichte
1920 bedankt sich der Zürcher Regierungsrat bei Hermann Steinbuch, Mitglied der Kyburger Schlosskommission: «Dieser Tage ist die Broschüre «Grafschaft und Landvogtei Kyburg» im Drucke erschienen, für welche Sie das Manuskript der Baudirektion in überaus freundlicher Weise zur freien Verfügung gestellt haben. Die Arbeit ist für die Verwaltung des Schlosses Kyburg von großer Bedeutung. Sie gibt dem Besucher des Schlosses vorzüglichen Aufschluß über dessen Vergangenheit; sie hebt dadurch das Interesse und die Freude an diesem geschichtlichen Denkmal, das nun in staatlichem Besitze bleiben soll.»
Im «Neujahrsblatt der Feuerwerker Gesellschaft (Artillerie-Kollegium) in Zürich 1930 steht: «Das Bild Steinbuchs wäre unvollständig, wenn nichts über seine Tätigkeit und Stellung im bürgerlichen Leben gesagt würde. Auch hier hat er trotz seiner grossen Arbeitslast Bedeutendes geleistet. Besondere Tätigkeit entfaltete er als Vorsitzender der Gesellschaft zur Constaffel, jener auf die Brunsche Verfassung zurückgehenden «Zunft«. Er versah sein Amt bis zu seinem Tode mustergültig und brachte die Gesellschaft wieder zu grosser Blüte.
Steinbuch hat mit viel Liebe die Archive der Constaffel, die er in jungen Jahren revidiert und geordnet hatte, durchforscht und dann der Gesellschaft in den Monatszusammenkünften vom Ergebnis seiner Studien in einem Vortrag Kenntnis gegeben. So entstanden fünf lokalgeschichtlich bemerkenswerte Studien: «Mitteilungen aus der Geschichte der Constaffel vom Anfang des 19.Jahrhunderts bis 1870»; «Geschichte der Constaffel um 1690»; «Die Constaffel nach der Schlacht bei Kappel 1531»; «Die Constaffel im 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts«; «ein Stammbuch der Constaffel», neben einigen andern Arbeiten.
Schliesslich antwortet er auf die Glückwünsche zur Vollendung seines 60. Altersjahrs:
«Mir liegen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Gesellschaft am Herzen (…) ohne etwas anderes zu suchen als die Genugtuung, an der Spitze einer Gesellschaft zu stehen, der zu allen Zeiten hervorragende Männer Zürichs angehört haben und noch angehören.«
Das Lokalblatt berichtete
Das Winterthurer Volksblatt, eine Vorgängerin der Elgger Aadorfer Zeitung, hatte in der Ausgabe vom 2. Oktober 2025 die unerwartete bestürzende Nachricht verbreitet, dass der Tod sich mit Oberstkorpskommandant Hermann F. Steinbuch, mitten aus den herbstlichen Manövern heraus, einer der bedeutendsten Truppenkommandanten geholt hat.
Der Chef des 3. Armeekorps ist, während seine Truppen im Felde standen, von einem rasch sich verschlimmerndem Unwohlsein befallen worden und hat in Bischofszell im Heim von Major Lager freundliche Aufnahme und Pflege gefunden. Dort stellten die Aerzte einen starken Kräftezerfall fest, der offenbar seine direkte Ursache in einer Gehirnblutung hatte. Die Krankheit blieb in ihrem Charakter unentschieden, bis am Mittwoch, den 30. September eine Wendung zum Schlimmern eintrat, die Kräfteabnahme sich beschleunigte, und nachmittag halb vier Uhr der Patient in die Ewigkeit hinüber schlummerte.
Der geschilderten Karriere des Verstorbenen wird beigefügt: Während des Aktivdienstes (1914–18) nahm sich der damalige Oberstdivisionär lebhaft und eifrig der Fürsorge für seine Soldaten an. Er stellte sich an die Spitze der Bewegung und bot überall Hand, wo es immer galt, für die Soldaten und ihr Wohl einzutreten.
Das Lokalblatt berichtet ausführlich über die eindrückliche Bestattung am 3. Oktober im Fraumünster in Zürich als einer machtvollen Dankeskundgebung für den verstorbenen Heerführer, der seinerseits 8 Monate zuvor von seinem General Ulrich Wille Abschied genommen hatte. In schlichter Weise zeichnete der Geistliche die kraftvolle Persönlichkeit des Verblichenen, dessen, aus unerschütterlicher Liebe zur Heimat hervorgegangene Losungswort war: «Auf deinem Posten sei wach!» Die militärischen und politischen Repräsentanten aus den Kantonen und des Bundes waren versammelt.
An der Spitze des spätern Ehrengeleites ritten zwei Züge der Dragonerschwadron 9 und das Schützenbataillon 6. Neben dem Sarge schritten alle Korpskommandanten der Schweiz (Bornand, Bridler, alt Generalstabschef von Sprecher, Wildbolz und Weber). Es folgten die Bundesräte Scheurer und Häberlin. Der Abschluss des circa 1,5 Kilometer langen Trauerzuges, der sich an den vielen Zehntausenden spalierbildenden Zürcherscharen vorbei durch den Thalacker und die Badenerstrasse nach dem neuen Krematorium bewegte, bildete die Mitrailleurkompagnie 4/6 und ein Zug Dragoner.
Vor dem Krematorium skizzierte Bundesrat Scheurer in markanten Sätzen die schwere Aufgabe, die unsern Heeresführen übertragen ist. Und in formvollendeter Rede nahm der welsche Bornand, Kommandant des 1.Armeekorps, von dem auch in der Westschweiz erfolgreich wirksam gewesenen guten Kameraden Abschied.
MARKUS SCHÄR


![Wespersbül. Escher, Hans Erhard [1656-1689] 1673. Zentralbibliothek Zürich. Bilder:zVg Wespersbül. Escher, Hans Erhard [1656-1689] 1673. Zentralbibliothek Zürich. Bilder:zVg](https://elgger-zeitung-img.localpoint.ch/i/0/13//md_c5d603d1f6d422d00348e298efdc79a2.jpg?151844187)