Drei Märtyrer aus Stammheim und Nussbaumen enthauptet
28.09.2024 RegionMit der Verbrennung der Marien-und Heiligenbilder in der Stadt Zürich und in ihrer Landschaft verschärfen sich vor 500 Jahren die konfessionellen Spannungen zwischen den katholischen und reformierten Orten in der Eidgenossenschaft. Im Sommer 1524 kommt es im Stammertal und beim Sturm ...
Mit der Verbrennung der Marien-und Heiligenbilder in der Stadt Zürich und in ihrer Landschaft verschärfen sich vor 500 Jahren die konfessionellen Spannungen zwischen den katholischen und reformierten Orten in der Eidgenossenschaft. Im Sommer 1524 kommt es im Stammertal und beim Sturm auf das Kartäuserkloster Ittingen zu Bilderzerstörungen. Die Tagsatzung verlangt die Bestrafung der Schuldigen. Welches Tribunal sollte richten? Die niedere Gerichtsbarkeit liegt bei Zürich, bei Malefizsachen ist der Landvogt der Eidgenossen in Frauenfeld zuständig.
Die biblisch ausgerichtete Zürcher Reformation hatte mit der Ablehnung der Bilderverehrung an den auf Tradition und Hierarchie basierenden Grundlagen der katholischen Religion gerüttelt. Die innern Orte beharrten jedoch auf ihrem Beschluss von Beckenried vom 8. April 1524, «bei dem wahren rechten Christenglauben wie von altersher zu bleiben und diese lutherische, zwinglische, irrige, verkehrte Lehre in allen unsern Gebieten auszurotten.» Die Gewissheit beider Konfessionen, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein, erlaubte es noch nicht, dem Gegenüber neutral und tolerant zu begegnen, auch im Wissen unerledigter Wahrheitsfragen.
Das reformierte Zürich macht sich unter massivem Druck an die Verhaftung von Verantwortungsträgern auf dem Lande. Am 26. Juli ziehen dreihundert Bewaffnete unter Hauptmann Göldli in die Gegend von Stammheim und verhaften den Untervogt Hans Wirth, seine beiden Söhne Johannes und Adrian sowie den Untervogt im benachbarten Nussbaumen, Burkhart Rütimann. In Stein am Rhein werden diese vorerst im Gefängnis verwahrt, dann über Diessenhofen nach Zürich in den Wellenbergturm gebracht.
Sie lassen sich abführen. Sie haben ein gutes Gewissen. Im Auftrage Zürichs in ihren Dörfern die Reformation einzuführen, war in ihren Augen kein Verbrechen. Beim Ittinger Sturm waren sie als erste heimgekehrt. Sie hatten die verbliebenen Aufrührer und die Vorgänge bei der Plünderung und dem Brand des Kartäuserklosters nicht mehr zu beeinflussen vermocht.
Gegen Zwinglis Rat liefert Zürich, als die katholischen Orte mit Ausschluss aus der Tagsatzung,Verlust des Bundes und mehr drohen, die Verhafteten aus. Allerdings nur unter dem Vorbehalt, Verhör und Urteil dürften sich auf den Ittinger Sturm, nicht aber auf den evangelischen Glauben beziehen.
Am 19. August werden die Gefangenen nach Baden überführt. Landvogt Amberg aus Frauenfeld – er hatte den Prädikanten Hans Oechsli auf Burg Stein am Rhein nachts verschleppen lassen und damit den Ittingersturm mitprovoziert – ist Ankläger! Als im Verhör Untervogt Wirth entgegen der Zusicherung auch zur Stammheimer Bilderzerstörung befragt wird, verlassen die Zürcher den Gerichtssaal und liefern den Untervogt schutzlos den Altgläubigen aus.
Am 3. September geht der Prozess weiter. Diesmal werden die beiden Untervögte mit dem Folterseil traktiert. Zur dritten Verhandlung am 23. September lässt Zürich die Gattin beziehungsweise Mutter der drei angeklagten Wirth samt ihrem jüngsten Kind nach Baden kommen. Sie werden von einem Zürcher Vertreter den Boten der anderen Stände vorgeführt, um an ihre Menschlichkeit zu appellieren. Doch selbst Hieronymus Stockar von Zug, der als ehemaliger Thurgauer Landvogt den Untervogt Wirth kennt und ihn als ehrlich, redlich, gehorsam und nicht aufrührerisch charakterisiert, ist der Auffassung, Wirth müsse sterben, weil er die selige Mutter Anna, die Grossmutter Christi und die Mutter Maria, verbrannt habe.
Nach harten Folterungen werden die Angeklagten schliesslich als Ketzer und Kirchenschänder zum Tode verurteilt. Vater Hans und sein Sohn Pfarrer Johannes Wirth sowie Burkhart Rütimann werden am 28.September 1524 mit dem Schwert hingerichtet. Die drei Männer bestärken sich im Glauben gegenseitig. Pfarrer Adrian Wirth wird verschont und seiner Mutter übergeben. Als Vater Wirth das Urteil hört, bittet er seinen Sohn Adrian, keine Rache zu üben; Gott räche zu seiner Zeit alles unschuldige Blut.
Am Tage der Hinrichtungen kommt Hans Oechsli frei und übernimmt als erster Reformierter die Pfarrstelle in Elgg. Adrian Wirth kehrt mit seiner Mutter nach Stammheim zurück und wird später Pfarrer in Fehraltorf.
Das Martyrium in Baden gerät nicht in Vergessenheit. Berichte und Kommentare über die Ereignisse folgen, Vorträge und Gedenkveranstaltungen am Wohnort der Hingerichteten bewegen bis in die Gegenwart.
MARKUS SCHÄR